Bericht der »National Post« bezog sich nur auf Ontario. Bioethiker, »Transplant Quebec« und ein Ethik-Komitee der Regierung von Quebec sprachen sich im letzten Jahr dafür aus, dass Euthanasie eine gute Quelle für Organgewinnung sein könne, daher ist es sehr wohl möglich, dass auch in dieser Provinz ähnliche Vorgehensweisen stattgefunden haben.
»Wenn wir es akzeptieren, dass Menschen selbst über ihr Lebensende entscheiden dürfen, und wenn wir den Herzstillstand als Voraussetzung für die Organspende akzeptieren, dann sollte dies akzeptabel sein«, sagte Dr. James Downar vom Verein »Dying with Dignity Canada« gegenüber der »National Post«, um Befürchtungen zuvorzukommen, dass auf Patienten Druck ausgeübt werden könnte, damit sie ihre Organe spenden.
Interessanterweise ist dies ein Thema, das in Diskussionen über Euthanasie nicht erörtert wurde, bevor der »Supreme Court« im Jahr 2015 Euthanasie legalisierte. Ein einflussreicher Bericht des »Royal Society of Canada Expert Panel« z. B. erwähnte es noch nicht einmal, und auch nicht die Entscheidung des Supreme Court: Carter gegen Canada.
Organexplantationen von euthanasierten Patienten werden schon seit mehreren Jahren in Belgien und den Niederlanden vorgenommen. Über etwa 40 Fälle in den beiden Ländern wurde berichtet. Im letzten Jahr veröffentlichten holländische Mediziner am »Maastricht University Medical Center« und des »Erasmus Medical Center Rotterdam« ein fachübergreifendes Handbuch für diese komplexe Vorgehensweise.
Ein vor kurzem veröffentlichter Artikel im »Impact Ethics« Blog von Professorin Jennifer A. Chandler von der Universität Ottawa stellte dar, dass die Kombination von Euthanasie und Organspende problematische Aspekte mit sich bringe in Hinsicht auf Ethik, Gesetzeslage und Gewissensgründe:
- Was wäre, wenn ein Patient euthanasiert werden will, damit ein Angehöriger seine Organe erhält? Das Potenzial für Missbrauch ist offensichtlich.
- Was wäre, wenn ein Angehöriger einer Organspende zustimmen soll, nachdem ein Patient euthanasiert worden ist, der aber keine genauen Anweisungen hinterlassen hat?
- Was wäre, wenn der Transplantationschirurg aus Gewissensgründen diese Prozedur ablehnt? Sollte er dann dazu gezwungen werden?
- Was wäre, wenn ein Empfänger es ablehnt, ein Organ von einem euthanasierten Patienten anzunehmen?9
»NEW YORK ORGAN DONOR NETWORK« SETZT ANGEHÖRIGE UNTER DRUCK
Auch in Deutschland gibt es Schulungen für professionelle Gesprächsführung im Umgang mit trauernden Angehörigen, die in der Situation unter Schock stehen und deshalb keine verantworbare Entscheidung treffen sollten. Inwieweit hierzulande Ärzte auch Druck ausüben, werden Betroffene beantworten können. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist die Frage bereits entschieden, wie folgender Bericht zeigt. Dort werden sogar Familieprofile erstellt, um den richtigen Zugang zu den Trauernden zu finden.
Das »New York Organ Donor Network« übte Druck auf Klinikangestellte aus, Patienten für hirntot zu erkären, damit man ihnen Körperteile entnehmen konnte – und beauftragte sogar »Unterweiser«, welche die Mitarbeiter darin schulen sollten, wie sie überzeugender sein könnten. Dies behauptete eine 2012 eingereichte aufsehenerregende Klage. Die vom Staat finanzierte Non-profit-Organisation setzte ein Quoten-System ein und übte starken Druck auf die Angehörigen aus, ihre schriftliche Zustimmung zu erteilen, wenn die Patienten nicht als Organspender registriert waren, behauptete die Klage.
Die Klageschrift, die vor dem Manhattan Supreme Court eingereicht wurde, bezog sich auf vier Fälle von Organentnahmen, die nicht nach den vorgeschriebenen Regeln vorgenommen wurden. In einem Fall versuchte der sogenannte Hirntote noch eigenständig zu atmen und wies laut Klageschrift Anzeichen von Hirnaktivität auf. Hirnaktivitäten wurden auch bei einem weiteren Patienten nachgewiesen wie auch Lebenszeichen bei einer Frau, eine weitere Patientin wurde nach einer Überdosis an Drogen eingeliefert und für hirntot erklärt, obwohl ihr Körper noch zuckte. Deshalb verabreichte man ihr muskelentspannende Mittel.
Patrick McMahon, ausgerechnet ein aufmerksamer Transplantations-Koordinator und Krankenpfleger, sagte zu den Vorfällen, »Sie spielen Gott«, und reichte eine Zivilkläger ein. Daraufhin sei er nach einigen Monaten entlassen worden, nachdem er gegen diese Vorgehensweise protestiert habe.
Das Netzwerk »New York Organ Donor Network« hat Marketing- und Verkaufs-Strategen beauftragt, die Mitarbeiter zu schulen, damit sie maßgeschneidert anhand der Familiengeschichte Zugang fanden zu den Angehörigen, so lautet die Klage, die von den Anwälten von McMahon – Michael Borrelli, Alexander Coleman und Bennitta Joseph – eingereicht wurde.10
MEHR ORGANE DURCH VERZICHT AUF ZWEITE HIRNTOD-UNTERSUCHUNG
In vielen Kliniken der USA wird eine zweite Hirntod-Untersuchung durchgeführt, die auf den Richtlinien beruht, die 1995 von der »American Academy of Neurology« (AAN) herausgegeben wurden. 2012 revidierte die AAN ihre Richtlinien und empfahl, dass eine einzige Hirntod-Untersuchung genügt, um den Hirntod festzustellen. Begründet wurde diese Entscheidung u. a. damit, dass Angehörige innerhalb der Wartefrist zwischen der ersten und zweiten Untersuchung zu einer ablehnenden Einstellung gegenüber einer Einwilligung zu einer Organentnahme kommen können.
»Falls es eine der Ziele des im Bundesstaat New York geltenden Gesetzes war, über mehr Organe für die Transplantation verfügen zu können, dann ist die Erfordernis von zwei Hirntod-Untersuchungen eindeutig ein Hindernis, jedenfalls wenn längere Zeitabstände zwischen beiden Untersuchungen liegen«, sagten die Autoren des Vorworts Dr. Gene Sung und Dr. David Greer.11
Bei hirntoten Patienten ist eine zweite Hirntoduntersuchung, um den Tod festzustellen, nicht nur unnötig, sondern sie könnte auch zur unerwünschten Konsequenz führen, dass die Familienmitglieder sich eher gegen eine Organspende des Patienten aussprechen, wie es eine Studie nahelegt, die in der Zeitschrift Neurology veröffentlicht wurde.
Dr. Dana Lustbader, Leiterin der Palliativ-Medizin am North Shore University Hospital und Autorin der Studie schreibt in einer E-Mail: »Eine einzige Untersuchung reicht aus, um den Hirntod zu diagnostizieren und sollte medizinischer Standard sein. Es gibt einfach keinen Vorteil für eine zweite Untersuchung. Keinen einzigen.«
Die Verfasser der Studie überprüften die Krankenakten von 1.311 Patienten in den Jahren zwischen 2007 und 2009 in 88 Kliniken in New York. Wenn sich der Zeitabstand zwischen erster und zweiter Hirntoduntersuchung verlängerte, stieg auch Wahrscheinlichkeit an, dass die Familie die Organspende verweigerte – von 23 % auf 36%, das ergab die Studie.
Befürworter der neuen Regelung ist auch das im vorigen Kapitel zitierte »New York Organ Donor Network«.
Nach Auskunft der »National Institutes of Health« warten in den USA mehr als 105.000 Menschen auf eine Organtransplantation.
»HIRNTOD« – DER TOD BEI BEDARF
Manche Formulare und Dokumente bekommt der Normalsterbliche, wenn überhaupt, nur selten zu Gesicht oder erst dann, wenn es zu spät ist. Dazu zählt die Todesbescheinigung. Sie ist in Deutschland im Rahmen des Bestattungswesens Angelegenheit der Bundesländer. Das erklärt auch das Phänomen, dass die Texte in den 16 Bundesländern z. T. unterschiedlich sind. Was dazu auf den Formularen von Nordrhein-Westfalen zu lesen ist – kann, je nach Interessenlage – unterschiedlich interpretiert werden.
Wäre es nicht toternste Wirklichkeit was auf dieser Todesbescheinigung zu lesen ist, könnte der geneigte Leser verwundert zu dem Schluss kommen, es handele sich um einen makaberen Scherz, was noch schlimmer wiegen würde, um eine vorsätzliche Täuschung. Da sind unter der Rubrik »Sichere Todeszeichen« zunächst zutreffend und korrekt die Positionen »Totenflecken, Totenstarre, Fäulnis« aufgeführt, schließlich aber auch »Hirntod«.
Um es in aller Kürze vorweg zu sagen: Der sogenannte Hirntod ist nicht der Tod des Menschen, sonst würden dem als Hirntod diagnostizierten Patienten keine lebendfrischen Organe mehr entnommen werden können, die in einem anderen Körper weiterleben. Das lässt sich, wie wir später sehen werden, auf jeder Ebene belegen. Erschwerend kommt hinzu, dass der weitaus größte Teil der Ärzteschaft nicht