Richard Fuchs

Die Hirntod-Falle


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zur Rechenschaft ziehen, denn er überlebt den Eingriff planmäßig nicht.«

      Dr. Hans-Joachim Ritz, Leserbrief im Deutschen Ärzteblatt vom 12. 09. 1997

      Es ist zweifelsfrei dokumentiert28, dass Patienten, die als hirnstammtot diagnostiziert worden sind (Brain Stem Death), auf das Trauma des chirurgischen Eingriffs wie bei jeder anderen Operation mit erhöhtem Blutdruck, mit Herzrasen und Bewegungen reagieren, paralysiert werden und mit einer Art Anästhesie zur Sicherheit ruhiggestellt werden können. Ob dies geschieht, bleibt ungeregelt und damit dem Zufall überlassen. Weder die »Spender« noch ihre Angehörigen müssen darüber informiert werden, noch wird auf dem Organspende-Ausweis oder im Organspende-Register in Ländern mit einer gesetzlich geregelten Widerspruchslösung Anästhesie angeboten oder garantiert. Familienmitgliedern, die mit der Transplantationsmedizin konfrontiert sind, wird die Wahrheit über diese fragwürdige Vorgehensweise bei einer Organentnahme vorenthalten, obwohl sie einen Anspruch darauf hätten. Das entspricht dem Tatbestand der vorsätzlichen Täuschung. Die ethischen Probleme liegen nicht so sehr darin, dass menschliche Organe für die Transplantation genutzt werden, als vielmehr in der Weise, wie lebenswichtige Organe gewonnen werden.

      EINE OPERATION MIT PLANMÄßIG TÖDLICHEN FOLGEN

      »Das Leben des Menschen gehört Gott, und der Mensch hat kein Recht, darüber frei zu verfügen. Nichts also darf geschehen, was das Leben um eine einzige Sekunde verkürzen könnte, um dadurch das Leben eines anderen zu retten.«

      Joel Berger im Auftrag des Zentralrats der Juden in Deutschland, in Ausschussdrucksache des Deutschen Bundestages 582/13, Bonn 5. 9. 1996.

      Ist der Hirntod festgestellt und der Patient hat einen Organspende-Ausweis oder die Angehörigen haben einer Organ-/Gewebe-Entnahme zugestimmt, kann die Operation beginnen. Und das bedeutet im Einzelnen: Zur Organentnahme ist der beatmete »Hirntote« auf dem OP-Tisch fixiert und bekommt unter Aufrechterhaltung der Homöostase (Regelung des Kreislaufs, der Körpertemperatur, des pH-Werts, des Wasser- und Elektrolythaushalts, u. a.) Muskelrelaxantien zugeführt. Ob der Patient auch Schmerzmittel erhält, liegt im Ermessen des Anästhesisten, da es dafür keine gesetzlichen Vorschriften gibt.

      Dann wird dem Patienten zum Zweck einer Multiorganentnahme die Bauchdecke vom Hals bis zur Symphyse (Schambeinfuge) aufgeschnitten. Zwei weitere Schnitte folgen vom Brustbein aus zum rechten und linken Beckenkamm.29 Mit den ersten Schnitten steigt oftmals der Blutdruck. Blutdruckanstieg, Schwitzen, Rötungen der Haut während des Eingriffs mit Elektromesser und Säge30 bei dem noch lebenden Patienten, lassen unter Umständen auf Schmerz- und Angstreaktionen schließen, wie selbst der medizinischen Literatur zu entnehmen ist.

      Die spitzwinkligen Bauchdeckenlappen werden mit Klemmen seitlich fixiert. Eine große Öffnung entsteht, und im Verlauf der OP werden dann die Hautlappen so gehalten, dass ein »Gefäß« entsteht, das bis zu 15 Liter Eiswasser fasst, mit dem die Organe gekühlt werden sollen. Ein Spezialteam legt die Abdominalorgane, die große Schlagader (Aorta) und die große Hohlvene (Vena cava) frei. Dann wird das Brustbein mit einer Säge der Länge nach durchtrennt. Mit einer Sperre wird der Thorax (Brustraum) ausgedehnt. Mit dem Öffnen des Herzbeutels wird das noch schlagende Herz sichtbar.

      Um die Organe für den Zeitraum zwischen Entnahme und Übertragen für den Transport zu konservieren, wird bei laufendem Beatmungsgerät und bei schlagendem Herzen mittels Kochsalzspülung (Perfusionslösung mit Ernährungs- und Konservierungszusätzen, konstante Temperatur von 4 ˚C) das Blut aus dem Kreislauf gespült. Die Perfusionslösung wird über die Aorta zu- und über ein künstliches Leck in der vena cava wieder abgeleitet. Auf diese Weise wird der Patient völlig entblutet und seine Organe zugleich unterkühlt und konserviert. Zur externen Kühlung der Organe werden Thorax und Bauchhöhle erneut mit eisgekühlter Kochsalzlösung aufgefüllt.

      Diesen Vorgang überlebt der Patient nicht. Erst jetzt wird die Beatmung eingestellt. Der »Hirntote« ist nun wirklich gestorben. Bei einer Multiorganentnahme können mehrere Teams beteiligt sein. Von den jeweiligen Spezialistenteams werden nun die blutleeren und gekühlten Organsysteme, denen immer noch ein Rest Leben innewohnen muss, in der Reihenfolge Herz, Lunge, Leber, Pankreas, Nieren und Augen entnommen, verpackt und in speziellen Kühlbehältern so rasch wie möglich zu ihren Verwertungsorten transportiert. Auch Gelenkteile, Knorpel, Gehörknöchelchen, Haut und Knochen u. a. werden entnommen und weiterverwendet. Für eine offene Aufbahrung für Angehörige bleibt da nicht viel übrig.

      Letztlich wird der zu Beginn einer Organentnahme noch lebende komatöse Patient während der OP mit oder ohne Narkose bzw. Schmerzmittel getötet.

      Während Nieren auch noch nach klinischem Tod entnommen werden könnten und ihre Funktion nach kürzerer Zeit wieder aufnehmen, müssen andere Organe, wie Herz, Lunge, Leber, Bauchspeicheldrüse entnommen werden, während die lebenserhaltenden Maßnahmen aufrecht erhalten werden und Lebenszeichen (Herzschlag, Kreislauf, Atmung (obwohl mit Hilfe eines Beatmungsgeräts), Verdauung, Ausscheidung, sogar Austragen einer Schwangerschaft und u. U. Reaktionen auf Schmerzreize weiter vorhanden sind.

      Nach der Organentnahme müssen die Organe möglichst schnell zu den entsprechenden Transplantationszentren transportiert werden. Schnelle Verteilung und schneller Transport sind wegen der unterschiedlichen Ischämietoleranz der Organe wichtig. Sie beträgt durchschnittlich bei der Niere 24 bis 30, der Leber 12, dem Pankreas 12, dem Herzen 4 und der Lunge 6 Stunden.

      Der voyeuristische Blick eines Arztes

      Peter Berning, ein Arzt und Koordinator für Organtransplantation in Berlin, der es wissen muss, beschreibt die makaberen Situation einer Organentnahme von einer jungen Frau in dem Buch „Sehnsucht Berlin (Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke, Tübingen 2000) mit voyeuristischem Blick:

      „Erst nach Einsetzen der Perfusion war sie wieder schön, das Gesicht schmal und blass. Natürlich. So hatte sie auch auf dem Passbild ausgesehen, jung, den Blick auf das Kommende gerichtet. (…)

      Die da liegt, deren Gesicht so aufdringlich leuchtet, weil zu vulgär geschminkt, die ist tot. Sie ist dennoch beatmet, immer noch durch einen Kreislauf mit Blut versorgt, kopfabwärts, richtiger müsste man sagen hirnabwärts. Ihr Thorax ist eigentümlich breit, so dass die Brüste wie Schutzschilder erscheinen, obwohl sie sie wahrscheinlich überdurchschnittlich groß sind, Der ganze Körper ist von tiefer und unnatürlicher Bräune. Sie ist rasiert, das Gesicht hat etwas Maskenhaftes, Fremdes…“

      ENDLOSES BEWUSSTSEIN, SELBST WENN DAS GEHIRN NICHT MEHR DURCHBLUTET IST

      Ich persönlich bin mehr denn je davon überzeugt, dass der größte Feind des wissenschaftlichen Fortschritts die Haltung ist, unverständliche, fremde und unbekannte Tatsachen bereits im Vorfeld aufgrund von Vorurteilen abzulehnen und zu verneinen.

      Frederik van Eeden (1860 – 1932), berühmter holländischer Arzt und Psychologe, zitiert nach: Pim van Lommel: Endloses Bewusstsein. Neue medizinische Fakten zur Nahtoderfahrung.

      Die Sparte der Transplantationsmedizin lebt von Glaubenssätzen, die nicht immer mit dem Anspruch der medizinischen Wissenschaft in Einklang zu bringen sind. Das kam mir bereits zu Ohren, als ich 1996 mein erstes Buch verfasste. In einer Diskussionsveranstaltung im WDR-Rundfunkgebäude sagte ein Düsseldorfer Professor der Nephrologe: »Ich glaube an den Hirntod.« Das klang theologisch und auch redlich. Denn er stützte sich nicht auf scheinbar gesichertes Wissen wie andere seiner ärztlichen Zunft, sondern auf seinen Glauben.

      Vertreter des Glaubens wie Bischof Karl Lehmann weiß wiederum, »Der Hirntod ist in gewisserweise ein unsichtbarer Tod«.31 Im Gegensatz zu ihm muss sich der Vertreter der anderen großen Kirche nicht mehr auf den Glauben verlassen. Der ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber hat gleich die irreführende Sprachregelung der Transplantationsmedizin übernommen und spricht von »postmortalen Organspenden«.32

      Der Neurologe Prof. Dr. H. Angstwurm dagegen behauptet zu wissen:

      »Der Tod des Gehirns bedeutet den völligen und endgültigen Ausfall seiner Tätigkeit für den übrigen Körper und für den Menschen als