Richard Fuchs

Die Hirntod-Falle


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Sinne als tot galt. D. h.: eine – mit intensivmedizinischer Hilfe – atmende Leiche war formell zur Bestattung freigegeben. Der zuständige Standesbeamte weigerte sich jedoch, den Tod personenstandsrechtlich zu beurkunden mit der Begründung, ›er stehe dann später vor der Notwendigkeit, die Geburt eines Menschen zu beurkunden, der keine Mutter habe, und das könne er nicht‹ (so der seinerseits am Geschehen mitbeteiligte Rechtsmediziner Hans-Bernhard Wuermeling, in: G. Bockenheimer-Lucius/E. Seidler (Hrsg), Hirntod und Schwangerschaft, 1993, S. 21.)24

      Der Philosoph Hans Jonas schrieb damals an seinen Freund Prof. H.-B. Wuermeling: »Keiner von Euch und keiner, der Euren Versuch gut geheißen hat, darf hinfort dafür sein, einem Gehirntoten unter Beatmung, also ›bei lebendigem Leib‹, Organe zu entnehmen.«25

      Vermuteter Hirntod, mutmaßlicher Wille

      Wenn nun eine Person selber einen Organ- und Gewebespende-Ausweis unterschreibt, bleibt in dem mehr als oberflächlich und irreführend abgefassten Dokument offen, was den »Gutgläubigen« vor und während einer Hirntoddiagnose erwartet. Auch an dieser Stelle ist die Frage erlaubt: Ist das Oberflächlichkeit oder was viel schwerer wiegen würde, Absicht? Die Bevölkerung in Deutschland ist relativ wenig aufgeklärt über die Zusammenhänge zwischen Organspende und Hirntoddiagnostik. Wann immer mir Menschen begegnen, die einen Organspende-Ausweis besitzen, stelle ich in Gesprächen zu meinem Erstaunen fest, dass sie in der Regel gutgläubig und uninformiert sind – und das bei einem Thema, bei dem es um elementare Fragen des Lebens und Sterbens geht.

      Deshalb haben die Aussteller von Organspende-Ausweisen eine Bringeschuld, indem nicht nur die Zustimmung zur »Hirntod«-Diagnostik dokumentiert wird, sondern auch eine Aufklärung darüber erfolgt, was das bedeutet. Denn jemanden ohne Zustimmung ausschließlich oder in sonst bedenklicher Weise für fremde Zwecke zu »benutzen«, ist ethisch strikt unzulässig. Wer in eine Organspende einwillige, stimme zugleich auch den dazu erforderlichen Maßnahmen zu, würde nur insoweit gelten, solange diese Maßnahmen keine Belastung und Risiken für ihn darstellen. Dies ist aber im Zusammenhang mit einer Hirntoddiagnose nicht sicherzustellen.

      Bleibt zum Schluss: Vor fremdnützigen Eingriffen kann sich letztlich nur der schützen, der durch eine Patientenverfügung oder eine Bevollmächtigung sicherstellt, dass lebensverlängernde Maßnahmen bei einer terminalen Erkrankung unterbleiben, bei gleichzeitiger Basis- und eventueller Palliativ-Versorgung.

      HAT DER »HIRNTOTE« PATIENT NOCH SCHMERZEMPFINDUNG?

      »Nach dem Hirntod gibt es keine Schmerzempfindung mehr. Deshalb sind nach dem Hirntod bei Organentnahme keine Maßnahmen zur Schmerzverhütung (zum Beispiel Narkose) nötig.«

      »Erklärung zum Hirntod« der Bundesärztekammer 2001.

      »Es ist in der Tat nicht zu belegen, dass eine für hirntot erklärte Person tatsächlich über keinerlei Wahrnehmungsvermögen, insbesondere Schmerzempfindlichkeit verfügt.«

      Prof. Dr. med. Werner Lauchert, damaliger Geschäftsführender Arzt der DSO-Region Baden Württemberg in einem Schreiben vom 25. 9. 2000 an die Pastorin Ines Odaischi (†).

      Diese Frage ist so lange im Sinne der Humanität von großer Bedeutung, solange sie nicht eindeutig beantwortet ist. Denn es handelt sich zu Beginn einer Explantation um einen noch lebenden komatösen Patienten, der letztlich durch den schweren Eingriff einer Organentnahme getötet wird. Während bei jeder anderen Operation Patienten zur Abwehr von Schmerzen narkotisiert werden, soll laut einer Erklärung der Bundesärztekammer bei Organentnahmen darauf verzichtet werden. Dabei ist keineswegs auszuschließen, dass der wehrlose Patient Schmerzen empfindet. Er wird bis zur Entnahme des letzten Organs beatmet. Als besonders belastend beschrieb eine Anästhesistin im Deutschen Ärzteblatt (Dr. Friederike Schlemmer, 16. 07. 2001) die undankbare, belastende und schwierige Aufgabe, den Herzkreislaufstillstand nach erfolgter Explantation herbeizuführen.

      Bei einer Organentnahme bleibt es dem Anästhesisten überlassen, ob er Schmerzmittel gibt oder nicht. Weder das Transplantationsgesetz von 1997 noch die BÄK kennt an dieser Stelle eine Regel. Letztere hat aber – ungeachtet jeglicher wissenschaftlichen Fundierung – eine eindeutige Meinung dazu. In der »Erklärung zum Hirntod« der BÄK aus dem Jahr 2001 heißt es: »Nach dem Hirntod gibt es keine Schmerzempfindung mehr. Deshalb sind nach dem Hirntod bei Organentnahme eine Maßnahmen zur Schmerzverhütung (zum Beispiel Narkose) nötig.«

      Fakten belegen: Werden zur Organentnahme lediglich Muskelrelaxantien gegeben, um mögliche Abwehrbewegungen zu unterdrücken – das dient im Übrigen dem Schutz des Chirurgen – lassen bei dem Opfer Lebenszeichen wie Anstieg des Blutdrucks, Transpiration, Rötung der Haut und Abwehrbewegungen möglicherweise auf Schmerz- und Angstreaktionen schließen. Sollte sich bestätigen, dass das Opfer bei Verzicht auf Narkose tatsächlich Schmerzen erleidet, würde das den Tatbestand eines Verbrechens gegen die Menschheit26 bedeuten – wie es im Nürnberger Ärzteprozess hieß.

      Selbst der ehemalige geschäftsführende Arzt der DSO, Professor Lauchert, gibt schriftlich zu: »Es ist in der Tat nicht zu belegen, dass eine für hirntot erklärte Person tatsächlich über keinerlei Wahrnehmungsvermögen, insbesondere Schmerzempfindlichkeit, verfügt.«27

      Der »Erklärung zum Hirntod« der Bundesärztekammer waren Anfragen und Klagen von der Pastorin Ines Odaischi in ihrer Eigenschaft als potenzielle Organspenderin vorausgegangen, u. a. vor dem Verwaltungsgericht in Berlin und wie vorhin erwähnt vor dem Bundesverfassungsgericht, das die Bundesregierung zwingen sollte, das Transplantationsgesetz dahingehend zu ändern, dass eine Narkose für Organspender zwingend geboten ist. Das Problem für die BÄK war, mit einer befürwortenden Erklärung zur Narkose hätte man zugeben müssen, es handele sich bei den hirntoten Menschen um noch Lebende. Also nimmt man eher in Kauf, dass die Menschen während der OP eventuell Schmerzen erleiden. Man stelle sich vor, ein Mensch, der sich nicht mehr zu wehren vermag, wird ohne Narkose zum Zweck einer Multiorganentnahme vom Hals bis zum Schambein aufgeschnitten.

      Eine Leiche spendet nicht

      Was in der Erklärung der BÄK folgt, ist sprachlich entlarvend: Hier heißt es: »Die Tätigkeit eines Anästhesisten bei der Organentnahme – Maßnahmen wie zum Beispiel die künstliche Beatmung, die Kontrolle der Herztätigkeit und des Kreislaufs sowie die notwendige Ruhigstellung der Muskulatur – dient ausschließlich der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der zu entnehmenden Organe.« Ist das die angemessene Versorgung bzw. Behandlung einer Leiche? Dennoch ist »Leichenspende« der Terminus technicus in Abgrenzung zur Lebendspende.

      Bei aufmerksamem Studium der offiziellen Informations-Broschüren der BZgA für ein allgemeines Publikum ist zu Fragen des Schmerzempfindens bei Hirntoten Gegensätzliches zu erfahren. In der Broschüre »Wie ein zweites Leben« der BZgA (S. 26) ist zu lesen: »… Trotz künstlicher Beatmung und aufrechterhaltender Herztätigkeit kann dann gegebenenfalls ihre Hirntätigkeit für immer erloschen sein. Der Organismus ist dann zu einer Selbststeuerung nicht mehr in der Lage. Jede Möglichkeit der bewussten Wahrnehmung, d. h. auch der Schmerzempfindung, des Denkens, der Steuerung der Atmung, der Stoffwechselregulation usw. ist unwiderruflich verloren.« Auch die Lazarus-Zeichen, Bewegung der Arme oder Gehbewegungen würden nicht auf Schmerzempfindungen hinweisen (S. 36). Daraus folgt, wo kein Schmerzempfinden, da sind Schmerzmittel überflüssig.

      Eine weitere Broschüre an Professionelle, »Organspende – eine persönliche und berufliche Herausforderung«, erweckt den Eindruck, dass es dennoch obligatorisch sei Schmerzmittel vor der Organentnahme zu verabreichen, wenn dort die Frage gestellt wird (S. 21): »Warum erhalten Hirntote bei der Organentnahme häufig Schmerzmittel und Medikamente zur Muskelrelaxation, obwohl sie angeblich keine Schmerzen mehr empfinden können?« Die Antwort: »… um rückenmarksvermittelte Bewegungen zu verhindern.« D. h. meines Erachtens, der Chirurg könnte irritiert und in seiner Arbeit gestört werden.

      HAT DER »HIRNTOTE« PATIENT VOR DER OP EIN RECHT AUF NARKOSE?

      »Mit Muskelrelaxantien werden zwar die lästigen Abwehrbewegungen unterdrückt, nicht aber die Adrenalinausschüttung