Richard Fuchs

Die Hirntod-Falle


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Darvall (1942 – 1967) war zu klein, die Immunsuppression war noch unterentwickelt und man war noch nicht in der Lage, ein Herz über einen längeren Zeitraum zu konservieren.

      Der Düsseldorfer Kardiologe und spätere Nobelpreisträger Prof. Dr. Werner O. T. Forßmann (1904 – 1979) sprach damals von einem »operativen Eingriff ohne Belang, weil unsere Kenntnisse von der Immunologie überpflanzter Gewebe noch nicht ausgereift sind. Wer aber unter solchen Voraussetzungen operiert, missachtet das oberste Gebot der Chirurgie ›nil nocere‹ (nicht schaden).«41 In der FAZ vom 03. 01. 1968 bezeichnet Forßmann Barnards Vorgehen als leichtsinnig und »unseriös« und warf ihm Manipulation bei der Todesfeststellung vor.

      War die durch einen Verkehrsunfall verletzte Denise Darvall wirklich bereits tot, als sie ins Hospital eingeliefert und so ungewollt und ungefragt zur »Organspenderin« wurde? Nach den damals geltenden standesrechtlichen Kriterien musste diese Frage verneint werden. Denn anders konnte der kurzfristige Erfolg der Transplantation nicht erklärt werden, galt doch der Herz-Kreislauftod damals noch als das einzige eindeutige Todeskriterium. Denise Darvall erlitt zwar irreversible Hirnverletzungen, wurde aber intensivmedizinisch versorgt, bis die Herzentnahme ihr Leben beendete.

      Barnard: »Ich hätte nicht operieren dürfen.«

      Fragen der Zustimmung waren ebenso schnell geregelt wie die juristischen. Denise Darvall war bei einem Bummel mit ihrer Mutter von einem Auto angefahren worden. Die Mutter starb noch an der Unfallstelle und Denise erlitt eine irreparable Kopfverletzung. Vater Edward Darvall konnte schnell überzeugt werden und erteilte seine Zustimmung für die Organentnahme. Nachdem das sogenannte irreversible Hirnversagen festgestellt war, stellte Barnard, wie er selber schreibt, das Beatmungsgerät ab und öffnete den Brustkorb, als bei ihrem Herzen das Kammerflimmern eingesetzt hatte.42 Bei dem 55-jährigen Organempfänger Louis Washkansky beendete eine Lungenentzündung das »Transplantationswunder« nach 18 Tagen. Als der Patient verstarb, kam Barnard, wie er in seinen Erinnerungen schreibt, zu der verspäteten Erkenntnis: »Ich hätte nicht operieren dürfen.« Die Behandlung zur Vermeidung der Abstoßung des fremden Herzens hatte die Widerstandskraft des Patienten derart geschwächt, dass tödliche Organismen über eine Kanüle ungehindert in den Körper eindringen konnten. Zudem hatte Louis Washkansky Diabetes, war geschwächt. Erst 1982 kommt Cyclosporin A zur Verhinderung der Abstoßung eines Organs auf den Markt und wird von der Schweizer Firma Sandoz (heute Novartis) als immunsuppressives Medikament unter der Bezeichnung Sandimmun verkauft.

      Der nächste Herzempfänger, der Zahnarzt Philip Blaiberg (1909 – 1969), dem Barnard am 2. Januar 1968 ebenfalls ein Ersatzherz implantierte, überlebte 593 Tage. Bei aller Begeisterung ließ Kritik nicht lange auf sich warten. Das dritte Herz entnahm Barnard einem Patienten, ohne zuvor die Einwilligung der Angehörigen einzuholen.

      Sowjetische Ärzte erklärten der Weltöffentlichkeit, der Spender des Herzens für Blaiberg könnte noch leben, wenn Barnard ihn nicht zu früh für tot erklärt hätte.

      Vision von Leichenfledderern

      Zeitungen machten nach der ersten Operation den Vorschlag, man möge Barnard vor dem Internationalen Gerichtshof des Mordes anklagen, weil er einem Menschen ein lebendes Herz entnommen hatte. Das Konzept des »Gehirntodes« wurde weder nicht verstanden, noch war es akzeptiert und stand im Kreuzfeuer der Kritik. Der Präsident der American Heart Association, Dr. Irvine Page, kritisierte Barnard: »Sie können nicht einfach hergehen und den Leuten die Herzen rausnehmen«, und ein anderer Arzt in Washington: »Ich habe die schreckliche Vision von Leichenfledderern, die mit gezückten Messern um ein Unfallopfer herumschleichen und darauf warten, seine Organe herausschneiden zu können, sobald es für tot erklärt ist.«.43

      Der Düsseldorfer Kardiologe und Nobelpreisträger Prof. Dr. Werner Forßmann schrieb: »Die Chancen sind also am allergrößten, wenn das Organ einem gesunden und in voller Lebenskraft stehenden Menschen entnommen wird. Deshalb liegt es im Interesse des Empfängers und des Operateurs, den sterbenden Spender so früh wie möglich für tot zu erklären, um über ihn verfügen zu können.«44 Zu ganz anderen Urteilen kam die FAZ. Die Zukunft dieser neuen Technik sei sehr ermutigend.45 Oder Die Welt: Herztransplantationen seien ein »notwendiges Experiment«, denn die Medizin »verdankt ihren Fortschritt Männern, die sich durch Rückschläge nicht entmutigen ließen. Mit dem Fortschritt ist aber der Mut zum Wagnis und zum Risiko untrennbar verbunden«.46

      Bis Barnard, an Arthritis leidend, die Hände kaum noch bewegen konnte, war er an insgesamt 46 Herzübertragungen beteiligt. 1977 griff er erneut zum Skalpell, um einer 25-jährigen Italienerin mit einem zusätzlichen Pavianherzen das Leben zu verlängern. Das Experiment musste scheitern, da sämtliche Xenotransplantationen zuvor auch schon tödlich endeten.

      Me too: Rekorde und das vorläufige Ende in den USA

      Spätestens aber mit dem Triumph der gelungenen zweiten Transplantation von Philip Blaiberg mit einem Herzen des 35-jährigen farbigen Clive Haupt (1944 – 1968) waren alle Bedenken und Skrupel zerstreut. Die rassistische Regierung Südafrikas machte gute Miene zum bösen Spiel, obwohl bei der zweiten Operation das Herz eines farbigen Afrikaners in die Brust eines Weißen verpflanzt worden war. Barnards Ruhm löste bei amerikanischen Ärzten Neid aus, wie Barnard konsterniert feststellte, und auch einen »Me-too-Effekt«. Bereits drei Tage nach der ersten Herztransplantation – das Ad Hoc Commitee der Harvard Medical School hatte noch nicht seinen »Segen« erteilt – implantierte der New Yorker Adrian Kantrowitz einem zweieinhalbwöchigen weiblichen Baby ein Herz – mit tödlichem Ausgang wenige Stunden später. Das hinderte Kantrowitz vom Maimonides-Krankenhaus in New York nicht daran, sich als erster amerikanischer Transplanteur, gemeinsam mit Barnard, in der USweit ausgestrahlten TV-Show, »Face of the Nation« der CBS feiern zu lassen.

      Den überstürzten Eingriff an einem wehrlosen Opfer bezeichnete der Düsseldorfer Kardiologe Forßmann als Mord. In Wirklichkeit aber war es ein Doppelmord, denn das wehrlose Opfer, dem das Herz entnommen wurde, war ein anenzephales neugeborenes Kind. Das sind Kinder, die nur mit Hirnstamm, aber ohne Großhirn geboren werden und spontan atmen können. Sie galten für manche amerikanische Ärzte als tot. Die schlichte und zugleich pragmatische Argumentation, vergleichbar mit der des Harvard Ad-hoc-Berichts, lautete: Angehörige von anenzephalen Kindern werden durch den herbeigeführten Tod entlastet, indem u. a. eine Organspende diesem noch einen Sinn gibt. Da diesen Kindern die »Personalität« von Geburt an fehle, galten sie in den USA als lebende Organbanken. Vorauseilend lieferten hier Ärzte Agumentationen, die später auch den »Hirntod« als Tod des Menschen legitimieren sollten. Dem ersten »Mord« folgten noch viele weitere. Ob vor der Organentnahme von anenzephalen Neugeborenen jeweils der Tod des Stammhirns abgewartet wurde, konnte bei Recherchen einer Arbeitsgruppe nicht immer festgestellt werden. Bei nur 29 von 80 explantierten anenzephalen Kindern war der Hirntod protokolliert worden.47

      Einen Monat später zelebrierte Norman E. Shumway aus Palo Alto, der sich schon lange auf Herzimplantationen vorbereitet hatte, seinen ersten Auftritt. Bis Oktober 1968 transplantierte er fünf weitere Herzen. Der Texaner Cooley überbot Shumway mit siebzehn verpflanzten Herzen in acht Monaten. Sein Ziel hatte er damit aber noch nicht erreicht: Am Montagmorgen nach der ersten Operation in Kapstadt hatte er Barnard ein Telegramm geschickt: »Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Transplantation, Chris. Ich werde bald über meine ersten hundert referieren.«

      Insgesamt 66 Herztransplantationen meldeten die Agenturen 1968 aus aller Welt. Vier Fünftel der Patienten starben vor Ablauf eines Jahres. Dann kehrte wieder Ruhe ein. Demotiviert von Misserfolgen, vertagten Herzchirurgen ihre Aktivitäten bis zur Einführung von Cyclosporin A48 der Firma Novartis (damals Sandoz), 1982, das die Abstoßung eines Organs verhindern soll. Als schließlich auch Blaiberg, Barnards zweiter Patient, der bis dahin die längste Überlebenszeit vorzuweisen hatte, im August 1969 einer chronischen Abstoßungsreaktion erlag, wendete sich die Stimmung. Die Transplantationsteams vereinbarten ein weltweites Moratorium, das erst nach 10 Jahren wieder aufgehoben wurde.

      Christiaan Barnard 1985: Aktive Sterbehilfe bei eigener Mutter

      Während sich Barnard als