Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz
ihren Sohn, der in Graf Walters Diensten stand, genaue Nachrichten von jedem seiner Schritte hatte. Ihr Umgang erleichterte der Gräfinn ihre lange Gefangenschaft, auch fehlte es dieser Frau nicht an Mitteln die Gewissenhaftigkeit ihres Mannes zu hintergehen, und der edeln Gefangnen manche kleine Erleichterung ihrer Leiden zu gewähren, welche jetzt nach ihrem Tode wegfiel. O hätte sie bey meiner Ankunft zu Uspunnen noch gelebt, was hätte sich von ihrer Hülfe hoffen lassen! was wäre drey einverstandenen Frauen, von denen die eine einige Macht, die andere Verstand und die dritte einen guten Theil von Muth besaß, was wär ihnen unmöglich gewesen! Selbst unsere Freyheit zu bewürken, würde uns leicht geworden seyn, wenigstens würde man mir das Glück, meine Hedwig zu umarmen, nicht so lang versagt haben.
Wir trauerten oft in unsern schriftlichen Unterhaltungen über das, was wir an ihr verloren hatten; die Gräfinn tröstete sich denn mit dem Vergnügen, mich in ihrer Nähe, mich an einem Orte zu wissen, wo sie mich sicherer und glücklicher hielt, als in den Armen meines bösen Gemahls, und ich – hoffte auf bessere Zeiten.
Und bessere Zeiten erschienen. Längst hatten wir Muthmassungen gehabt, daß wir nicht die einigen Gefangenen zu Uspunnen wären, und jetzt erhielten wir hievon Gewißheit, ohne jedoch unsere Neugier ganz befriediget zu sehen.
In einer stürmischen Nacht, deren es hier, auf einer der höchsten Felsenklippen, welche allen Winden des Himmels zum Ziel diente, nicht wenig gab, kam in einem entfernten Flügel des Schlosses Feuer aus, der Wind trieb die Flammen bis nach unserer Wohnung, ihre Spitzen leckten an unsere eisernen Gitter, die Gefahr nahm überhand, und doch schienen wir ganz vergessen zu seyn. Niemand dachte darauf unsere Kerker zu öffnen, niemand die kleinste Anstalt zu unserer Rettung zu machen, alle Hülfe zog sich nach der östlichen Seite der Burg, welche in vollen Flammen stand. Unsere Angst war unbeschreiblich! doch wahrscheinlich verglich sich die meinige nicht mit Hedwigs Empfindungen, welche nicht nur für ihr eignes Leben, nein für etwas zu sorgen hatte, welches ihr unendlich theurer war, für das Leben ihres Sohnes.
Sie wagte das Aeußerste; sie sah, daß sein Untergang unvermeidlich mit dem ihrigen verbunden war, und dachte nur ihn zu retten. Durch eine Oeffnung der Hintermauer, die nur eben weit genug war, seiner kleinen Gestalt den Ausweg zu verstatten, ließ sie ihn, an ihre Betttücher gebunden, hinab, und gebot ihm, sobald er den Boden erreicht haben würde, sich loszumachen und zu fliehen oder sich zu verstecken, bis die Gefahr vorüber sey. Welch ein Entschluß, den nur die äußerste Verzweiflung rechtfertigen konnte!
Hedwigs Besorgnisse für das zarte Leben ihres Sohnes waren nicht vergeblich gewesen. Die zunehmende Hitze, (denn jetzt fingen endlich die Balken am benachbarten Gebäude Feuer), und der eindringende Rauch stürzten sie bald, nachdem sie ihren liebsten Schatz geborgen hatte, ohnmächtig zu Boden. Mir ging es in meiner Zelle nicht anders, und waren wir beide bey dem Hinsterben aller Kräfte noch eines Gedankens fähig, so war es sicher kein anderer, als der, an ein frohes Erwachen in einer bessern Welt; ein Gedanke, dessen Erfüllung wir zu glauben geneigt waren, als wir uns, da wir jetzt die Augen wieder aufschlugen, an einem hellen geräumigen Ort in freyer Luft, und die Freundinn, die wir liebten, nach der wir uns so lang vergeblich gesehnt hatten, an unserer Seite erblickten. O Hedwig! o Noria! riefen wir beyde aus einem Munde, indem wir einander in die Arme sanken! Was ist aus uns geworden? sind wir ins irrdische Leben gerettet, oder von den Banden des Körpers befreyet? wo sehen wir uns? auf der Erde, unsern Kerker, oder genseit20 des Grabes?
Unsere Zweifel wurden bald gehoben. Wir fühlten nur gar zu schnell, daß wir gerettet, aber nicht frey waren. Die rauchenden Aschenhaufen, in der Ferne sagten uns, daß wir uns noch im Bezirk unsers Kerkers befänden, und die genaue Aufmerksamkeit, mit welcher man uns bewachte, ließ uns wahrnehmen, daß der einige Vortheil, den wir von unserm veränderten Zustande hatten, das Vergnügen war, uns zu sehen und zu umarmen. Aber wie sehr ward uns dieses Vergnügen verbittert! Hedwig weinte um ihren Sohn, und warf sich vor, ihn in der Verzweiflung von sich gelassen zu haben, da er doch so wohl als sie hätte gerettet werden können, und ich fühlte den Verlust dieses geliebten Kindes fast so stark als sie.
Man hörte wenig auf unsere Klagen, unsere Wächter beschäftigten sich mit nichts, als mit den Vorgängen vergangner Nacht, und wir erfuhren aus ihren Gesprächen so viel, daß das Feuer von der gefangenen Dame in der östlichen Seite des Schlosses angelegt worden sey, daß sie wahrscheinlich ihre Rettung dadurch habe bewürken wollen, aber von einem gefährlichen Sprunge aus dem Fenster und dem nachstürzenden Gesims so viel gelitten habe, daß sie schwerlich den Abend erleben werde. Auch der Aufseher des Gefängnisses, der sich bey der Rettung jener Gefangenen, auf welche hier mehr anzukommen schien, als auf uns, zu kühn gewagt hatte, lag in den letzten Zügen, wir verlangten zu ihm gebracht zu werden, er bat uns mit stammelnder Zunge um Verzeihung wegen des Unrechts, das er uns gezwungen habe zufügen müssen, blieb aber auch sterbend dabey, daß er, durch fürchterliche Eyde gebunden, nicht anders habe handeln können; auch dachte er nicht daran, unsern nunmehrigen Hütern Milde und Schonung anzubefehlen, die, vermuthlich beeydigt wie er, es für Pflicht hielten, uns so streng zu halten, als zuvor. Nichts konnten wir von ihnen zu Milderung unsers Kummers erhalten, als das Glück, nicht von einander getrennt zu werden, und die Erlaubniß, jene Dame zu sehen, von welcher wir heute zum erstenmale deutlich sprechen hörten, die sich zu ihrer Befreyung eines so schrecklichen Mittels bedient hatte, und nun, wie man uns sagte, im Begriff war, unter den Folgen ihrer verzweifelten That den Geist aufzugeben.
Neugier, Hoffnung oder Furcht eine Bekannte zu finden, Wunsch, einer sterbenden Leidensgefärthinn Trost oder Linderung bringen zu können, Gott weis, welches von allem es war, das uns zu diesem traurigen Besuch antrieb. Man versicherte uns, er würde uns wenig Milderung unsers Kummers bringen, und wie man gesagt hatte, so geschah es.
Man führte uns zu einer Person, die wir nicht kannten, und, deren Anblick jedes Gefühl des Mitleids, jenes peinlichen21 Mitleids, das keine Hülfe weis, in uns rege machte. Sie wandte ihre halb erstorbenen Augen nach uns, und bot uns mit einem schmerzhaften Lächeln die Hand. Wir beschäftigten uns um sie, ihr mit den armseligen Mitteln, die in unserer Gewalt waren, einige Linderung zu verschaffen, und unsere Thränen zeugten von den Gefühlen unsers Herzen. Verzeihet, sagte sie, als sie sich nach einigen Stunden ein wenig erholte, ich wollte mich retten, und hätte euch bald in ähnliches Unglück, wie mich, gestürzt, aber langes Leiden ist die Mutter der Verzweiflung! – Bald darauf rechnete sie in halber Phantasie die Jahre her, in welchen sie nun hier in diesem abscheulichen Kerker von ihren Tyrannen gefangen gehalten würde, und sprach viel von ihrem Sohne, auf dessen rettende Hand sie so lang vergeblich gewartet hätte.
Gegen die Nacht rühmte sie, wie sie jetzt von allen Schmerzen frey sey, und wandte sich mit einem Anschein von Heiterkeit zu uns, nach unsern Namen zu fragen. Die Gräfinn nannte sich, und erhielt einen liebreichen mitleidenden Blick zum Lohn. Hedwig von Rappersweil? sagte die Kranke. O ich kenne euch aus dem Gerücht, auch ihr habt gelitten, zwar nicht so viel als ich, doch wißt ihr wohl was Verfolgung ist. – Und ihr, fuhr sie fort, indem sie sich zu mir wandte. Noria von Vatz! erwiederte ich.
Noria von Vatz? wiederholte sie, indem sie mit fürchterlicher Geberde die Hände zusammenschlug. Noria? Walters zweyte Gemahlinn? O Schicksal! das fehlte noch mich ganz elend zu machen! Hinweg von mir Verworfene! Urheberinn meines Elends! Hinweg! laß mich allein sterben! Aber Rache sey dir geschworen! Rache nach meinem Tode! du sollst nicht ungestraft über mich triumphiren!
Ich stand fast meiner Sinnen beraubt an dem Bette der Leidenden, und nur die Vorstellung, sie spreche in der Hitze der Phantasie, konnte mich aufrecht erhalten. Besinnet euch, edle Frau! rief ich, indem ich mich bemühte, eine ihrer Hände zu fassen. Ich kannte, ich beleidigte euch ja nie, ich bin die unglückliche Noria Venosta, die von einem grausamen Gemahl verstossen, unschuldig mit Schande gebrandmarkt, hier zu ewigen Fesseln verdammt ward, welche die Flammen voriger Nacht vergebens zu brechen suchten.
So? sprach sie mit milderer Stimme, bist du Walters verstoßnes Weib? Nun so komm in meine Arme! wir sind Schwestern!
Schon beugte ich mich zu ihrer Umarmung herab, aber Hedwig riß mich zurück, denn das Gesicht der Unglücklichen verwandelte sich von neuem, und ließ meine Freundinn Gefahr für mich in ihren Liebkosungen besorgen. Auch war der Verstand der beklagenswürdigen Unbekannten, von diesem Augenblick an, ganz hin. Ihre Augen voll Wuth waren beständig auf mich