Christiane Benedikte Naubert

Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz


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und auch sie war so außer sich, daß ich erst spät so viel erfuhr, wie man sie anfangs mit ihrer Mutter davon geführt, dann sie wegen ihres unablässigen Schreyens und Weinens lästig gefunden, und in dem Gebürge zurückgelassen hätte. Man stelle sich die Empfindung der Mutter bey der Trennung von der Tochter vor! Nichts als die Drohung, ihr auch ihren kleinen Sohn vom Busen zu reissen, hatte sie endlich Ergebung in den Willen ihrer Entführer lehren können!

      Es war erst spät gegen den Abend, als ich Besonnenheit genug hatte, einige Anstalten zu unserer Sicherheit zu machen, und einige Nachfragen zu thun, welche mir nöthig dünkten. Die Burg ward gesperrt, die Toden, weil unsere Arme zu schwach zu ordentlicher Beerdigung waren, in den verfallnen Brunnen eines abgelegenen Hinterhofs geworfen, und alle Muthmassungen gesammelt, wer der Urheber unsres Unglücks seyn möchte. Der Hausverwalter, vor dessen Bette die Berathschlagung gehalten wurde, behauptete mit unumstößlichen Gründen, der Abt von Sankt Gallen, auf dessen Rechnung wir alles Unheil zu schreiben bereit waren, sey hier unschuldig, und er gab nicht undeutlich zu verstehen, daß er andere Muthmassungen habe. Die kleine Elisabeth, welche nie von meiner Seite ging, und die wir diesmal gar nicht bemerkt hatten, erhob ihre zarte Stimme, um zu versichern, sie habe unter den Entführern ihrer Mutter ein Gesicht erblickt, das Graf Waltern nicht ungleich gesehen habe, auch habe sie sich erkühnt, bittend seinen Namen zu nennen, aber ein unfreundlicher Stoß, und bald darauf die Zurücklassung im Gebürge sey der Lohn ihres Vorwitzes gewesen. –

      Du irrest, mein Kind, sagte ich, denn alles andere abgerechnet, welches es unmöglich macht, daß unser Freund unser Verfolger seyn könne, so ist auch der Graf von Vatz ja der Theilnehmer der unglücklichen Gefangenschaft meines Oheims: hast du vergessen, was der Unglücksbote gestern bey seiner Ankunft aussagte?

      Ja, wollte Gott, rief der kranke Greis, wir hätten diesen Unglücksboten genauer befragt oder scharfer bewacht. Doch wer konnte Mißtrauen in ihn setzen oder ihn bey der Todenschwäche, in welcher er zu seyn schien, der Flucht fähig halten?

      Der Flucht? rief ich, der Bote ist geflohen, und wenn und warum geschahe dieses? –

      Mittlerweile wir Anstalt machten ihm die Wunden zu verbinden, die unser keiner gesehen hat, und ihn auf einige Augenblicke verlassen hatten, entkam er. Die Zurüstung zum Aufbruch machte, daß wir ihn aus der Acht liessen, er hätte in der Zeit, da wir ihn verlassen hatten, sterben können, wär er so schwach gewesen, als er schien; wir suchten ihn, aber er war nirgend zu finden und wir meynten, unzeitige Tapferkeit und Treue könne ihn wohl veranlaßt haben, den Rettern seines Herrn zu folgen, und einen Weg zu unternehmen, dessen Ende für ihn der Tod seyn mußte.

      Und wäre dies nicht möglich? rief ich, Werner war immer ein treuer Diener seines Grafen.

      Der Hausvogt versicherte, daß ihm bey dem bald darauf folgenden Ueberfall Dinge vorgekommen wären, welche seiner Flucht eine andere Auslegung gäben, und wollte sich eben deutlicher hierüber erklären, als der Schall der Trompeten von aussen, uns alle aufschreckte, und einen jeden an den Posten trieb, welchen Pflicht und Neigung ihn anweisen. Der Thurmwächter stieg auf die Warte, meine Frauen versteckten sich, und ich mit der kleinen Elisabeth eilte auf die untere Zinne, um mich von der Beschaffenheit der Gefahr zu unterrichten.

      Gott! schrie ich, beym ersten Anblick der Reisigen14, welche das Feld vor der Burg bedeckten, Graf Walters Leute! – Meines Oheims Fahnen! – Wache oder träume ich? Graf Venosta ritt jetzt hervor, um dem Thurmwächter, der von seiner Höhe herab die gewöhnlichen Fragen that, selbst zu antworten, aber mir fehlte die Geduld dieses abzuwarten. Die Burgpforten öffneten sich, die Zugbrücke flog nieder und ich lag in den Armen meines theuern geretteten Oheims, ehe ich noch den Gedanken von seiner Befreyung mit Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit zusammen räumen konnte.

      Ja, ich bin frey, meine Tochter! rief Graf Zirio, als ich aus dem ersten Taumel des Entzückens zu mir selbst kam, und weißt du, wem du und ich Glück und Leben zu danken haben? Hier diesem Helden, den ich insgeheim so lang verkannte und ihm die Belohnung, die er längst verdiente, mißtrauisch vorenthielt.

      Graf Walter? schrie ich, er, der selbst gefangen war?

      Zum Glück war er es nicht, erwiederte mein Oheim. Als wir vom Hinterhalte des Abts im Gebürge überfallen wurden, entkam er, sammelte alle Reisigen, die er in seiner Burg zurückgelassen hatte, und heute am Morgen war er und die Rettung vor der Thür. O Noria! hilf mir vergelten, was wir diesem edeln Manne, schuldig sind! doch du allein kannst es. Hier Graf Walter, die Hand der Erbinn aller der Gegenden, die eure Vorfahren ehemals Herr nannten, die Hand eurer Geliebten, um die ihr so lange schweigend bittet! – nun, was zögert ihr? schlagt ein in die Hand, die sich euch mit so wenig Zögern darbietet.

      Graf, erwiederte Walter, der mit einer seltsamen Geberde dastand, die Linke ans Schwerd, die Rechte auf die Brust gelegt, sprach ich euch um die Hand der Erbinn von Sargans an?

      Ha ihr zielt auf meine Vermählung mit der Gräfinn von Rappersweil, aber, ich kann meine Gemahlinn und meine Nichte bedenken, ohne eine von ihnen zurückzusetzen.

      Hiervon ist nicht die Rede! Ich frage euch, bat ich euch jetzt, mich zum Gemahl der schönen Noria zu machen?

      Nein, und ich weiß die Ursach, warum ihr schweiget, Stolz und Furcht vor Abschlag, doch was ist das unter mir und euch? Ich biete euch aus Dankbarkeit meinen liebsten Schatz an, und ihr liebt zu stark, um ihn auszuschlagen.

      Ja, Graf Venosta, ich liebe. Aber mir liegt daran, daß alle Welt es wisse, wie euer freyer Wille, ohne Rücksicht auf meine anderweitige Lage, ohne Drang von meinen Bitten mich zu euren Neffen machte.

      Was für Bedenklichkeiten! Nun so wisse es alle Welt, bey meinem Eide, ich biete meine Nichte dir Waltern von Vatz freywillig an, und erwarte deine Antwort.

      Und ihr Fräulein? fragte Walter.

      Ich schwieg und sah erröthend vor mir nieder. O dieser edle Stolz, mit welchem Walter, um jeden Verdacht von Eigennutz zu vermeiden, zögerte sein Glück anzunehmen, hätte jetzt mein Herz für ihn gewonnen, wär es nicht längst das Seinige gewesen. – Mein Oheim war der Erklärer meiner Blicke, ich widersprach nicht, mein Geliebter schloß mich zum erstenmal in seine Arme und nannte mich mit dem Namen, der mir auf der Welt der liebste war.

      Himmlisch wären diese Augenblicke gewesen, wenn nicht dicht hinter ihnen die bitterste Kränkung hergeschlichen wär. Mein Oheim wandte sich von der Scene unserer Liebe, und fragte nach der Gräfinn von Rappersweil. O Himmel, welche Entdeckung! wie soll ich den Zustand meines Oheims schildern, als er den Verlust der schönen Hedwig erfuhr.

      Ein Held äußert Gram und Entsetzen auf andere Art als wir Frauen. Hedwigs Rettung und nicht müssige Klagen waren die Folgen meiner Erzählung. Die ermüdete Mannschaft mußte von neuem aufsitzen um die Gegenden rund umher, nach der Entführten zu durchziehen, ich stimmte nur gar zu willig in die Unternehmungen meines Onkels ein, aber Graf Walter, der mehr Besonnenheit hatte als wir andern, fragte, ob wir schon wüßten, welchen Weg wir zu Befreyung der Gräfinn zu nehmen hätten? Ohne Zweifel, sagte mein Oheim, zu der nächsten der Vesten unsers Feindes des heimtückischen Abts, dessen Hand bey diesem Bubenstück nicht zu verkennen ist. Ich brachte die Zweifel vor, die ich wider diese Muthmassung aus dem Munde des kranken Hausmeisters gehört hatte, und bat, ihn vor dem Abzuge näher hierüber zu befragen, weil er mehr von diesen Dingen zu wissen geschienen hätte; aber die Nachricht von seinem Tode kam uns entgegen, und der Graf Venosta, der in der Verzweiflung, in welcher er war, lieber aufs ungewisse handeln als müssig seyn wollte, drang auf den Anfang einer Untersuchung, die in verschiedenen Monaten erst geendigt, oder vielmehr aus Verzweiflung als fruchtlos aufgegeben wurde. In dieser unruhigen Zeit, da mein Oheim und Graf Walter fast nicht aus der Rüstung kamen, ward meine Vermählung gefeyert; eine traurige angstvolle Feyer, das Vorzeichen der Tage, welche folgen sollten.

      Ich war die Gemahlinn meines Geliebten, und genoß das Glück, das unsere meisten Frauen an der Seite ihrer kriegerischen Gatten geniessen; eine rauhe wilde Liebe, deren Aeußerungen oft den Wirkungen des Hasses ähnlich sehen. Ich hatte mir die Seeligkeit der Ehe freylich anders geträumt, aber welches Mädchen träumt nicht so, und welche wird nicht getäuscht!

      Die Gräfinn von Rappersweil war und blieb verloren. Der Abt von Sankt Gallen behauptete hartnäckig