Christiane Benedikte Naubert

Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz


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beyde von verschiedenen Gegenden mit der Miene der namlosesten Angst, einen Weg durch das einsame Gebürge suchend, wo sie hülflos verschmachten mußten, wenn ihnen nicht einen höhere Macht den Weg zeigte. Auch dünkte7 es mich auf dem Bilde einen Schatten wahrzunehmen, der einer von den armen Pilgerinnen winkend voranschwebte, oder irgend ein Heiliger vom Himmel gesandt, sie aus dem schrecklichen Labyrinth zu führen.

      Außer diesen besitze ich noch einige andere minder wichtige Fragmente, welche auf die Seite gelegt werden, bis diese durchlesen und dir mitgetheilt sind. Auch schickte mir die Domina, vermuthlich um mich zu besänftigen, durch eine ihre Jungfern das Leben einer ihrer Vorgängerinnen, welche auch ein Freyfräulein von Vatz und Sargans war, und die, wie sie meynte, vornehmlich meine Neugier bei der Bildersammlung, erregt haben würde. Ich nahm die dicke Pergamentrolle mit Dank an, und habe sie schon durchlesen und zurückgeschickt, denn sie enthielt weiter nichts, als wie diese gute Aebtißinn nicht allein eine Heilige sondern auch eine gelehrte Frau gewesen sey und mit Waltern von der Vogelweide, den Grafen von Habsburg und Welschneuenburg, wie auch dem Abt von Einsiedeln und dem Bischof von Konstanz um die Wette den Musen geopfert, und wöchentlich gelehrte Zusammenkünfte beym Züricher Bürgermeister, Rüdiger Manesse, angestellt habe.

      Ich ward durch diese Dinge wenig unterhalten, und wandte mich so bald ich allein war, zu meinem heimlich entwendeten Schatz, davon du das, was ich gelesen habe, sogleich erhältst. O Ludwig, solltest du glauben, daß mich auch bey dieser Beschäftigung Montforts Andenken nicht verlassen hat? Doch wer kann bey Betrachtung dieser Muster der Verleugnung noch schwach seyn, ich lese weiter, um mich zu jedem guten Vorsatze zu stärken.

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       Zweyter Abschnitt.

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       Noria Venosta, von ihr selbst verzeichnet.

      Es ist schön, am Abend des Lebens rückwärts zu blicken, und den Weg zu mustern, der uns zu der stillen Herberge führte, die wir nun fast erreicht haben. Zwar nur unvollkommen ist diese Uebersicht, denn die Kühle der herannahenden Nacht benimmt uns fast den Begriff von den Beschwerlichkeiten, die uns die Glut der Mittagssonne verursachte, und unser Auge gleitet über die Gebürge, die wir zu übersteigen hatten, über die tiefen Thäler, in denen wir uns zu verirren dachten, sanft hinweg. Wir erblicken nichts, als eine glatte Ebene; die Ferne des zurückgelegten Weges und die immer dichter werdende Dämmerung täuscht unsere Augen. Auch die Freuden unserer Pilgerschaft sind für uns verloren, so wie ihre Mühseligkeiten, wir erblicken nicht mehr die Blumen des Thals, bey welchem wir verweilten, noch den rieselnden Bach, der uns labte. Wir haben von dem Ganzen kein andres Gefühl, als daß es vorbey ist, und wundern uns bey flüchtiger Erinnerung oft nicht wenig, wie all diese Kleinigkeiten uns in solchem Grad rühren konnten. Dies sind die Gefühle des hohen Alters, die Ihr, für die ich schreibe, du Ursula, und du Kunigunde, zur bestimmten Zeit auch erfahren werdet. Ach bis dahin ist noch ein langer mühseliger Weg für euch zurück zu legen, und ich fühle, ich bin es auch schuldig, den Pfad, den ich gegangen bin, noch einmal zu übersehen, und euch durch Erzählung dessen, was ich auf demselben erfuhr, den eurigen zu erleichtern.

      Der Frühling meines Lebens war schön und glänzend. Ich wuchs unter den edelsten Jungfrauen meiner Zeit auf und nannte Fürstentöchter meine Gespielen. Graf Habsburgs Töchter lebten mit mir wie Schwestern und unser Freundschaftsbund ward nicht getrennt; als Rudolf Kaiser ward, und ihnen die Erhöhung ihres Vaters eine Aussicht auf die ersten Fürstenstühle Europens eröffnete. Was kümmert sich Unschuld und unerfahrne Jugend um Hoheit und Größe? Dinge dieser Art, waren nur der Gegenstand unsers Scherzes; wir ließen die jungen und alten Fürsten, die sich um des Kaisers Töchter bewarben, der Reihe nach, die Musterung paßiren, wir vertheilten sie unter uns, und hatten darob unser Gelächter. Es waren ihrer gerad sieben, und da ich und die Prinzeßinnen zusammen eine gleiche Anzahl ausmachten, so ging ich nie leer bey der Vertheilung aus.

      Aus dem Scherze ward Ernst, der Herzog von Sachsen, welcher bisher alle seine Wünsche auf die älteste Prinzeßinn Mathilde eingeschränkt hatte, begunnte zu sehen, daß ihre Gespielin Noria auch schön seye, und weil ich von mehrern, wegen der Gleichheit, die in allem unter uns eingeführt war und wegen unserer Unzertrennlichkeit, für die Schwestern meiner Freundinnen gehalten wurde, so hielt er es für keine große Sache, zwey Töchter eines Vaters um einander zu vertauschen, und verheelte seine Gesinnungen so wenig, daß – ich vom Hof entfernt wurde, ehe ein entscheidender Schritt in dieser bedenklichen Sache gethan werden konnte. Mein Vater war in den letzten baselschen Unruhen geblieben, meine Mutter hatte ich nie gekannt, und ich fiel der Vormundschaft meines Oheims zu, welcher große Ländereyen in Räthien gekauft hatte, und daselbst frey von dem Geräusch des Hofs das Leben der Freyheit lebte.

      Graf Zirio Venosta empfing mich mit offnen Armen, und ich, so schmerzlich mir auch die Trennung von meinen Freundinnen war, konnte doch bald einsehen, welche Vorzüge die Unabhängigkeit von den Ketten des Hoflebens habe, sollten sie auch noch so leicht geschlungen seyn wie die meinigen gewesen waren. Die Luft der Freyheit wehte mir hier überall entgegen, die Räthier, welche die Fesseln ihrer Beherrscher allgemach abzuschütteln begunnten, feyerten überall Feste der Befreyung, und luden die benachbarten Walliser ein, Theil an ihrem Glück zu nehmen. Was für Scenen für ein junges fühlendes Herz, und doch hatte ich nicht Erfahrung genug das Schöne und Seltene derselben ganz einzusehen. Nicht oft wird Freyheit anders als mit Blut erkauft, und die Freude über das erlangte Gut, ist also immer mit trauriger Erinnerung verknüpft; hier war sie die Folge der Mäßigkeit und Arbeitsamkeit, welcher es endlich gelungen war, das Joch der Schwelgerey und des Übermuths zu zerbrechen. Ritter und Geistliche, die bisherigen Beherrscher dieser Gegenden, fröhnten lange Zeit sorglos den Wollüsten, bis sie die Schuldner ihrer Knechte wurden, welche indessen durch Fleiß und Nüchternheit in Sitten emporgewachsen waren, und denen die Stirne bieten konnten, deren Vasallen sie ehemals waren. Die verarmten Schwelger konnten hiezu nichts thun als sauer sehen und sich das, was sie Fügung des Glücks nannten, gefallen lassen.

      Aber mein Oheim Zirio war nicht unter diesen herabgekommenen Großen; sein Wohlstand wuchs mit jedem Tage, seine Ländereyen vermehrten sich durch den Ankauf dessen, was seine Nachbaren ihren Schulden aufopfern mußten, auch seufzte das Land nicht unter seiner Macht; er gönnte seinen Vasallen gern eine Art von Unabhängigkeit, welche sie nach keiner mehrern Freiheit lüstern werden ließ. Er gab seinen Dienstleuten eigene Ländereyen ein, und überließ ihnen beynahe den Vollgenuß ihres Ertrags, auch behielt er viele von den fremden Gästen, den Wallisern im Lande, und ersetzte ihnen durch Anweisung manches fruchtbaren, bisher ungebrauchten Stück Landes, was sie in ihrem damals so unruhigen Vaterlande verliessen. O Kinder, es ist ein Geschäft, das uns der Gottheit ähnlich macht, gleichsam aus dem Nichts blühende Gegenden emporsteigen zu lassen, und ihnen glückliche Menschen zu Bewohnern zu geben. Ich bin Zeuge solcher Verwandlungen gewesen, die den Fürsten dieser Erde so leicht seyn würden, wenn sie wollten. Sie vermöchten dadurch die Allgewalt und Milde des Schöpfers zu kopiren, aber sie ahmen lieber seiner strafenden Gerechtigkeit nach, verwandeln die Wohnungen der Menschen in Steinhaufen, und lassen fruchtbare Thäler in Blut schwimmen.

      Unter den Großen des Landes, deren Besitzungen jetzt den Grafen von Venosta Herr nannten, waren die Grafen von Vatz die vornehmsten. Graf Walter der letzte, so viel wir wußten, Abkömmling dieses Hauses, hatte von seinem Vater nicht den zehnten Theil von demjenigen geerbt, was seine Vorfahren ehemals ihr Eigenthum nannten. Gram und Mißmuth drückten den jungen Mann nieder, er suchte sein Glück in fremden Kriegsdiensten, fand es nicht, und kam traurend zurück, die verfallnen Schlösser, welche noch sein waren, zu stützen, und die Trümmern seiner gesunkenen Größe zusammen zu suchen. Er litt unverschuldet, und doch färbte die Erwegung seines Zustands seine Wangen mit einer Schaamröthe, die er besonders vor denen zu verbergen suchte, welche auf den Ruinen der Vatzischen Hoheit ihr Glück erbaut hatten. Er vermied den Umgang meines Oheims absichtlich; bey keiner Gelegenheit, wo sonst Ritter und Edle zusammen kommen, ließ er sich finden, wenn dieser gegenwärtig war, und so geflissen auch Zirio die Gelegenheit suchte, den jungen Ritter kennen zu lernen, der ihn auf mehr als eine Art interessirte, so würde doch wahrscheinlich sein Bestreben immer fruchtlos, geblieben seyn, wenn sich nicht eine Begebenheit zugetragen hätte, welche die Gegenwart beyder erforderte, und dadurch ein