Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz
das Schicksal der unglücklichen Schwestern, und ich weiß, wohin der Ausschlag fallen wird. Er, der nie unrecht urtheilte, er, der es verdient, daß nie jemand von seinen Aussprüchen weiter appellirte, wird hier nicht falsch entscheiden. Sagt dieses unserer Maria und, der unglücklichen Berta, und unterstützt ihre sinkenden Hofnungen.
Euer Einfall, die ganze Geschichte der beyden zurückgesetzten Toggenburgischen Erbinnen vor Elisabeths Augen zu bringen, und dadurch ihr Urtheil von ihnen zu berichtigen, ist gut, aber was soll ich zu dem Gedanken sagen, sie mit den heimlichen Annalen von Sargans bekannt zu machen? Unvorsichtiger voreiliger Freund! Wißt ihr auch, was für eine Rolle euer Kloster in diesen Denkmahlen der Vorzeit spielt? und ist es rathsam den Laien zu viel von den Vergehungen des Klerus zu enthüllen? Laßt uns froh seyn, daß wir den Weg der Tugend wandeln, ohne die Laster unserer Vorfahren zur Folie unsers Schimmers brauchen zu wollen.
Doch von einer solchen bösen Absicht ist mein Konrad frey, er fehlte nur aus Mangel an Ueberlegung! – Ich werde mein möglichstes thun, euren Fehler zu verbessern, meine Briefe dieserhalb sind schon an die Aebtissin abgegangen, und ich hoffe Elisabeth wird nichts erhalten.
Diese Papiere waren einst auf kurze Zeit in meinen Händen, und ich versichere euch, wenn ihr, wie ich vermuthen muß, hierinn unwissend seyd, sie enthalten Dinge, welche zu Ehren des Klosters Churwald, und leider auch einiger meiner Vorfahren ewig verborgen bleiben sollten.
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Elisabeth an Ludwig.
Montforts Schicksal schwebt mir unaufhörlich im Sinn. Ich liebte ihn einst so innig, und Gott, was würde ich nicht hingegeben haben, ihn glücklich zu machen. Wie hat sich jetzt alles geändert, die, welche diesem Montfort einst alles, selbst das Wohlwollen eines warnenden Bruders, der ihn besser kannte, aufzuopfern bereit war, zögert jetzt, ihm durch einige Meilen Land, durch Aufgebung einiger leeren Titel, dem Elend zu entreissen, und dieses blos darum – weil er nicht mehr für sie leben will. O Elisabeth, Elisabeth! du hast eine niedrige Seele! deine herrische Leidenschaft für Heinrichen war nichts als Selbstsucht!
Schilt mich nicht wankelmüthig, Bruder, ob diesen Aeußerungen, welche dir, nach der Fassung, in der du mich zuletzt sahest, unerwartet kommen müssen. Du kennst nicht den fürchterlichen Kampf zwischen Leidenschaft und Pflicht, weißt nicht, wodurch derselbe bey mir von neuem erregt ward. Montfort, von seinem Oheim gefangen, weil er die unbemittelte Berta wählte? Vorschläge des alten Grafen von Montfort, sich um mich zu bewerben, und dadurch seine Freyheit zu erkaufen? – O Bruder, Bruder! welche Demüthigung für die stolze Elisabeth, Heinrich verwerfe, was man verlangt, oder willige ein! –Mein Entschluß ist gefaßt, und doch, um dich und deine Rathschläge nicht zu entehren, mit Vorsicht gefaßt. Ich will nicht das Ansehen haben, aus einer Anwandlung von übereilter Großmuth zu handeln, oder die empfindlichste Rache, die Rache durch Wohlthaten an meinen Feinden zu üben, nein, ich will nichts thun, als meine Pflicht. Ich habe die Sache einem unpartheiischen Richter übergeben, ich will wissen, was ich den Werdenbergerinnen schuldig bin, und dies will ich thun, ohne einen Dank von jemand zu verlangen. Wie müßte mir seyn, Ludwig, wie müßte mir seyn, wenn Montfort mir dankte, daß ich ihm die Verbindung mit der geliebten Berta erleichtert hätte!
Elisabeth an Ludwig.
Laß uns von andern Dingen reden, Bruder. Dieser Montfort und diese Berta dürfen schlechterdings keinen Zutritt mehr in meinen heimlichsten Gedanken haben; nicht einmal ihren Namen will ich wiederum schreiben. Ich darf ja nur, um diese Gespenster zu verscheuchen, sie in ewige verachtende Vergessenheit zu begraben, an jenen Tag denken, da der erzürnte Bruder dem entflohenen, mit Montfort entflohenen Mädchen endlich vergab, sie von neuem Schwester, und den Entführer Bruder zu nennen versprach, und drauf sich herabließ, dem Treulosen sein Glück selbst anzukünden. Wie Heinrich drauf die stolze Elisabeth im Triumph vor den Altar führte, und wie er im Augenblick, da sich sein Mund aufthat, ihr ewige Treue zu schwören, das unwiederrufliche Wort erstickte, weil – weil er unter den Begleiterinnen seiner Braut eine erblickte, die ihm schöner dünkte, als sie.
O wenn ich dieser Dinge gedenke, Bruder! – Die Gräfinnen von Werdenberg, meine Freundinnen, waren gekommen, mir den Kranz zu schmücken, und sie rissen ihn von meinem Haupte, ihn in den Staub zu treten! – O Heinrichs Unpäßlichkeit, die seine Hand schnell aus der meinigen zog, war erdichtet, seine nächtliche Flucht und die Bestürzung der Werdenbergerinnen hätte mich sollen die Wahrheit ahnden lassen; aber ich ahndete nichts, bis ich erfuhr, Berta und Heinrich wären so genau verbunden, als ich mit ihm zu werden dachte!
Noch einmal; Stillschweigen, ewiges Stillschweigen über diese Dinge! Mein Flehen hielt ehemals Ludwigs Rache gegen den Verbrecher auf, sollen nun meine Klagen sie von neuem aufregen?
Elisabeth an Ludwig.
Ob es gut ist, daß ich dir so ofte schreibe? Andre Beschäftigung wär wohl besser, auch denke ich ernstlich auf dergleichen. Ein Besuch bey der Aebtißinn, um meine Bitten wegen der verlangten Schriften zu erneuern, hat meine Neugier nach denselben aufs höchste gebracht. Ich fühle, daß die Sehnsucht nach Wissenschaft von den Leiden dererjenigen, die einst unglücklich waren, wie ich, das Gefühl meiner eignen Schmerzen mindert.
Die Aebtißinn schien zweifelhaft, ob sie mir das schon halb zugesagte endlich gewähren sollte. Liebe Gräfinn, sagte sie lächelnd, würde es euch nicht lieber seyn, diejenigen, von welchen diese verworfenen, übel geschriebenen Blätter handeln, persönlich zu kennen, und ihre Geschichte aus dem Munde einer Freundin, zu hören? – Sehet hier, fuhr sie fort, indem sie einen dünnen Vorhang von der östlichen Seite ihres Kabinets zog, sehet hier die Bildnisse der vornehmsten jener berühmten Frauen, von deren Annalen euch ein unnützer Mund so viel vorgeschwatzt hat: Schriften, die ich würklich besitze, welche aber unter einen solchen Wust fremder, nicht dahin gehöriger Papiere begraben sind, daß die Muse einer Einsiedlerinn und die Geduld einer Heiligen erforderlich wär, sie zu übersehen.
Ich stand und schaute, stand und hörte, aber die sprechenden Gemählde der edelsten Frauen ihrer Zeit, und die hinreissenden Erzählungen der einnehmenden Aebtißinn von Zürich von den Schicksalen dieser Heiligen, waren fürwahr nicht das Mittel mir das Verlangen zu benehmen mehr, noch, mehr hievon zu wissen.
Auch deine Schwester, Ludwig, hat zuweilen die Gabe der – Ueberredung; ich siegte, und sahe, noch ehe der Abend einbrach, eine massige eiserne Truhe in mein Zimmer bringen, welche alles enthielt, was mir zum Mittel dienen sollte, mich von mir selbst loszureissen, und mich in eine andere Welt zu zaubern, als die, in welcher ich lebe. O es ist angenehm, sich so zuweilen von dem Schauplatze seiner Leiden hinweg zu stehlen.
Von derselben.
Bis am Morgen wühlte ich in den bestaubten Pergamenten, um das Interessanteste herauszusuchen, und das übrige für künftige Zeiten zu sparen, und wie gut, daß ich es that. Die Nonnen waren kaum aus der Frühmetten, als mir mein Schatz wieder entrissen ward! Die Aebtißinn kam selbst, sich zu entschuldigen, sie sprach von Klostergeheimnissen, und dem Willen des Bischofs von Chur, dem doch die große Frau, wie man die Domina von Zürich hier nennt, so viel ich weiß, nicht unterwerfen ist; aber ich war zornig und konnte mich kaum überwinden, ihr mit leidlicher Höflichkeit zu antworten, auch reut mich es nicht, daß ich die Wortbrüchiche hintergangen, und ein gutes Theil der mir entwandten Schriften auf die Seite gebracht habe; gerade, wie ich hoffe, die interessantesten, eben diejenigen, nach denen mich das Anschauen jener Bilder am begierigsten machte.
Hier, das Leben der bleichen halb verschleyerten Noria Venosta, welcher der Gram, in ihrem hohen Alter, da sie gemahlt ist, noch Reitze genug überließ, um auf die hinreissende Schönheit ihrer Jugend zu schliessen. Hier, etwas von der unglücklichen Frau von der Wart, einem gebohrenen Fräulein von Sargans, welche Muth genug hatte, auf der Gerichtsstätte, wo ihr beklagenswürdiger Gatte den Geist aufgeben mußte bis zum letzten Hauch seines Lebens zu verweilen, die sie nur verließ, um sich selbst hinzulegen und zu sterben. Hier noch etwas von zwey Fräuleins dieses Hauses die gestern im Kabinet der Aebtißinn meine Aufmerksamkeit besonders hinrissen. Ein paar einsame Wallerinnen6 (so schildert sie das Gemählde,) auf einem öden Schneegebürge; beyde mit den Zügen der Unschuld