Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz
auf den Mund und schweige.
Im Schlosse eines friedlichen Thals, am Ufer des Rheins, erhoben sich die Mauern eines Klosters, das bey den großen dazugehörigen Ländereyen nur den Besitzungen der Züricher großen Frau, und den Mönchen zu Sankt Nosus8 in Solothurn, an Macht und Reichthum weichen muß. Seit undenklichen Zeiten waren die Herren von Vatz Eigenthümer dieser Distrikte, und sie kannten den Werth derselben so gut, daß sie fast das einige waren, was sie nur Pfandsweise aus der Hand gelassen hatten. Schon lange hatte mein Oheim mit Graf Werner, Walters Vater, hierüber Unterhandlungen gepflogen, und nach dessen Tode seinen Sohn eben so entschieden gefunden, sich von dem Kleinod des Landes (so pflegte man das Kloster am Walde zu nennen) nicht ganz zu trennen. Tausend Mittel waren meinem Oheim, selbst von den Klosterherren, an die Hand gegeben worden, die Hartnäckigkeit des alten Eigenthümers zu besiegen, aber Zirios zartes Gewissen fand sie widerrechtlich, und alles blieb wie es war. Laßt dem jungen Manne die Hoffnung, sagte er oft, wenn von Graf Waltern die Rede war, durch die Ansprüche an dieses reizende Stück Landes in seinem ehemaligen Erbteil festen Fuß zu behalten, ich will es nicht seyn, der ihn aus demselben verdrängt, will eher ihm die Hand zu Erfüllung seiner Wünsche bieten, wenn er ganz derjenige ist, für den ich ihn halte. Er weide sich an den Sagen von hier vergrabenen Schätzen, und an all den Chimären, mit welchen man auch mich mehrmahls zu täuschen und anzutreiben suchte, mit gewaffneter Hand das zu suchen, wozu mir nur Walters freye Einwilligung ein entscheidendes Recht geben kann.
Nur gar zu wahr war es, daß man es an nichts ermangeln ließ, den Grafen Venosta gegen Waltern aufzubringen, der an seiner Seite ähnlichen Einhauchen hinterlistiger Verräther ein geneigtes Ohr liehe. Die Fehde wär erklärt gewesen, und die Wohnungen der Ruhe hätten längst in Blut geschwommen, wenn Zirio nicht immer großmüthig nachgegeben hätte. – Das Verlangen über diese und ähnliche Dinge, einmal, nur einmal mit Waltern selbst zu sprechen, war der Grund, warum mein Oheim ihn überall aufsuchte, und die Ursach, warum jener jede nähere Erklärung floh, konnte eben so wohl in stolzer Schaam vor dem großen Grafen Venosta, oder in Verhetzung böser Leute, als in irgend einem schlimmen Zuge seines Charakters liegen. Mein Oheim und ich hatten es uns zur Regel gemacht, gut von Graf Waltern zu denken – Zwar hatten wir beyde lang am Hofe, dem Geburtsort des argwöhnischen Mißtrauens, gelebt, aber er sowohl, als ich, liessen beym ersten Eintritt in das treuherzige Helvetien diesen Feind der ländlichen Ruhe zurück, und waren entschlossen ganz das zu seyn, was der Charakter unsers neuen Vaterlands von uns heischte.
Die Begebenheit, welche meinen Oheim und Graf Waltern endlich zusammen brachte, war eine Streitigkeit zwischen den Mönchen von Churwalde und ihrem Abte, die nach und nach so überhand nahm, daß sich der Lehnsherr darein mischen mußte. Und wer war dieser Lehnsherr? Zirio, der Innhaber dieser Gegenden? oder Walter, welcher sich das volle Recht auf dieselben noch immer vorbehielt? – Die Mönche appellirten lange von einem an den andern, und es war schlechterdings eine Zusammenkunft beyder nöthig, die Sache ins Gleiche zu bringen.
Nie verstattete mir Zirio, mich in Dinge zu mischen, welche außer der Sphäre des Weibes liegen, aber wie hätte er mir wehren können, hier eine Parthie zu nehmen, da es auf die Ehre und das Wohl einiger Personen ankam, die ich nach meinem Oheim am meisten schätzte.
Der verfolgte Abt von Churwalde, Konrad, der erste dieses Namens, war mein Beichtiger, der Prior Lüttger, der den unverschuldeten Haß der Mönche mit ihm theilte, mein Lehrer in der Kräuterkunde, die auf den Rhätischen Gebürgen mein Lieblingsstudium war, ich kannte die Redlichkeit beyder, und wandte alle Kräfte der Ueberredung an, welche in weiblichen Bitten und Thränen liegen, den Grafen Venosta immer auf der Seite meiner Freunde zu erhalten. Auch war es mir unmöglich, meinen Oheim allein nach dem Orte reisen zu lassen, welcher zur Zusammenkunft zwischen ihm und Graf Waltern bestimmt war. Auch diesen, von welchem man sagte, daß er sich gewaltig auf die Seite der Verfolger der Unschuld lenkte, wolle ich von der wahren Lage der Sache zu unterrichten suchen, und ich glaubte nichts weiter nöthig zu haben, als dieses, um alles für die Bedrängten zu erhalten; ich wußte noch nicht, daß es möglich sey, gegen die klarste Ueberzeugung zu handeln.
Man sagt, bittende Schönheit, welche sich selbst vergißt, um nur für andre thätig zu seyn, sey unwiderstehlich. Der Vortrag meines Oheims an Waltern war zu Ende, und mir ward erlaubt, einige Worte hinzu zu thun. Ihrer waren wenig, aber sie waren voll Nachdruck, und ich glaubte in Walters Augen zu lesen, daß sie ihres Endzwecks nicht verfehlten. Er antwortete nichts, aber sein Blick ruhte mit einem Ausdruck auf meinem Gesicht, welcher machte, daß ich bestürzt zur Erde sahe, meinen Schleyer fallen ließ und mich zurück zog. Graf Venosta, sagte Walter, Eure Hand! Thut in der Sache, was Euch gefällt! Ein so schönes und tugendliches Fräulein kann nicht die Seite der Verbrecher halten. Unsere streitsüchtigen Mönche behalten ihren Abt, und dieser hat nichts zu thun, als seine mächtige Vorsprecherinn auch zu ihnen mit dem ihr eignen Ton der Ueberredung sprechen zu lassen, um sich ihrer Unterthänigteit auf ewig zu versichern. Mich dünkt, der Mann könne auf diese Art Herr der ganzen Welt werden, und sich, wär er auch der größte Sünder, durch den Mund seiner Heiligen selbst in den Himmel stehlen.
Ich fand diese Reden so kühn als schmeichelhaft; ein Wink meines Oheims sagte mir, daß auch er etwas anstößiges in denselben fand, und ich verließ das Zimmer voll Verlegenheit und Beschämung.
Ich hatte die Freude, meine Freunde gerettet und ihren Verfolgern zum Trotz in ihrer Würde bestätigt zu sehen, und die Kränkung, allerley nachtheilige Folgen meiner gutherzigen Vorbitte zu erfahren. Die erste derselben war ein ziemlich heftiger Verweis vom Grafen Venosta, wegen dem Feuer, – Zudringlichkeit nannte er es, – mit welcher ich zu Graf Waltern gesprochen hatte. Wär Noria ein einfältiges Alpenmädchen, sagte er, das in dem vaterländischen Gebürge nie etwas von den kühnen Erwartungen stolzer Männer bey dem geringsten Grad weiblicher Freundlichkeit gehört hätte, so wollte ich ihr die Freyheit, mit welcher sie sprach, und den Ausdruck ihrer bittenden Blicke verzeihen; aber Noria, an einem Kaiserhofe erzogen, hätte behutsamer seyn sollen. Walters sittenloses Anschauen und seine Worte voll kühner Schmeicheley gefielen mir nicht, und ich mag seinetwegen bisher noch so vortheilhafte Gedanken gehabt haben, so sind sie durch diese Dinge mehr als halb getilget.
Ich beantwortete Zirios warnende Rede mit Stillschweigen, und Selbstvorwürfe folgten hintennach, doch wußte ich kaum, was ich mir vorwerfen sollte: mein Herz war unschuldig, meine Absicht rein, nur die Folgen konnten mich belehren, daß ich in irgend etwas gefehlt hatte.
Walter von Vatz, er, der sich Jahre lang nirgend finden ließ, so sehr mein Oheim nach seiner Bekanntschaft strebte, er, der noch jetzt seine Gesellschaft nicht allzu eifrig suchte, kam von nun an mir, nur mir fast jeden Tag vor die Augen. Ging ich zur Kirche, so war sein Weg der nemliche, stand ich auf meinem Balkon, so ritt er vorüber, war ich bey einem der ländlichen Feste, zu denen es unsern Vasallen nie an Veranlassung fehlte, und bey welchen ich nie mangeln durfte; so bot er mir beym Tanze die Hand, ja das Schicksal wollte sogar, daß ich ihm in der Folge Dank schuldig werden mußte. Ein bunter Aufzug ländlicher Hochzeiter, welcher von wilder schwärmender Musik begleitet war, durchkreutzte einst meinen Weg des Abends im Zweylichten; die dicht vor den Augen meiner Pferde geschwungenen weißen Brautfahnen, und die schwirrenden Zimbeln, die man ihnen in die Ohren tönen ließ, machten sie scheu, sie gingen mit mir durch, und würden vielleicht mit mir den jähen Abhang hinunter gestürzt seyn, aber Graf Walter war bey der Hand, rettete mich, ehe ich noch fast Gefahr ahndete, und genoß dafür das Glück, wie er es nannte, mich nach Hause zu begleiten, und mir in einem seltsamen Tone von Liebe vorzureden, auch kam einst des Nachts in meinem Vorzimmer ein Feuer aus, welches schnell genug überhand nahm, um mich in Schrecken und Ohnmacht zu stürzen. Beym Erwachen fand ich mich in Walters Armen, welcher mir von Flucht vor der Gefahr vorredete, und bereit war, mich davon zu führen, aber da ich jetzt Besonnenheit genug hatte keine dringende Noth zu diesem Schritt zu sehen, so ging die Flucht nicht weiter, als in die Zimmer meines Oheims, in welche ich gebracht zu werden verlangte. Zirio dankte meinem Retter mit ziemlicher Kälte, und hängte seinem Dank die Frage an: welcher Zufall ihn so schnell und so zu gelegener Zeit herbeygebracht habe? Walter sprach von Geistern, welche für die Geliebten des Himmels wachen, und mein Oheim entließ mich, als sich Walter entfernt hatte, mit mancher ernsten Warnung. Die Begebenheit, welche jüngst meine Pferde scheu machte, und das Feuer, das mich in Walters Arme lieferte, konnte, wie er meynte, beydes von ihm selbst angelegtes