Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz
er sich vor dem, ihr und sich selbst zu gestehen wagte.
Kinder, sagte er, eines Tages zu mir und meinem Gemahl, Hedwig und die Freuden des Lebens sind für mich verloren. Es war Thorheit zu wähnen, noch am Rande des Grabes würde mir das Glück begegnen, zu hoffen, die Hand der Liebe würde dereinst meine Augen schliessen. Ich habe für diese Thorheit gebüßt. Ich fühle die Abnahme meiner Lebenskräfte, fühle den nahen Tod im Herzen. Laßt mich die letzten Abendstunden vor der Nacht des Grabes der Ruhe und Einsamkeit weihen. Alles was ich besitze, ist euer Eigenthum; ich behalte mir nur das angenehme Münsterthal15, und mein Schloß Oberhelbstein16 am Rhein gelegen, zum Eigenthum vor, jene entlegene Gegenden; sollen mich in meinen ernsten traurigen Stunden beherbergen, und dieses will ich besuchen, wenn heiterere Augenblicke mich eure nähere Gegenwart wünschen lassen.
Ich widersetzte mich der Entschliessung meines Oheims, aber mein Gemahl fand sie vortheilhaft für uns, und ich hatte seit einiger Zeit häufige Beweise, daß Walter gegen eignen Nutzen nicht unempfindlich war. Er fand nichts übermäßig, das der Graf Venosta für uns that, er eilte nun, seine Verfügungen zu unserm Besten rechtskräftig zu machen, und schien nebenbey zu bedauern, daß er uns nicht alles überlassen hatte. Die wehenden Schatten des Münsterthals und das stolze Schloß am Rhein dünkten ihm noch einmal so reizend, seit sich Zirio den Besitz davon ausschliessend vorbehielt, und zuweilen merken ließ, daß er dasselbe dereinst nicht uns zu hinterlassen, sondern für diejenige aufzuheben gedächte, deren Wiederfindung er noch immer zu hoffen schien.
Graf Venosta, der offne redliche Mann, welcher besonders im Umgange mit uns, seinen Kindern, keine Zurückhaltung kannte, liebkoßte einst die junge Elisabeth, die er besonders liebte, und Walter merkte an, daß sie schon die völlige Miene des Standes habe, den sie einst in der Welt führen würde. Welches Standes? fragte Zirio, und Elisabeth, welche täglich ihr künftiges Schicksal aus dem Munde meines Gemahls hörte, antwortete mit ihrer gewöhnlichen Naivetät: Was hat ein armes Fräulein ohne Eltern für andre Aussicht, als das Kloster? Du arm? schrie Zirio, indem er sie fester an seine Brust drückte, du ohne Eltern, so lange Venosta noch lebt? Nein, mein Kind, ich weiß, was ich dem Andenken deiner edeln Mutter schuldig bin: von mir sollst du nicht verlassen seyn, ob alle dich verliessen.
Graf Walter hatte das Fräulein von Rappersweil nie sonderlich geliebt, und von diesem Tage an begunnte er sie zu hassen.
Auch sie schien einen heimlichen Widerwillen gegen ihn zu hegen, dessen Aeußerungen nur durch eine unbegränzte Furcht vor ihm zurückgehalten wurde.
Ach Gräfinn, sagte sie eines Tages zu mir, als sie mich über neue Ausbrüche seiner schlechten Denkungsart, die sich täglich mehrten, weinen fand, ihr wißt es noch nicht ganz, was für ein böser, böser Mann er ist. Kaum wage ich es, euch eine Sache zu wiederholen, die ehemals so wenig von euch beachtet wurde; aber Graf Walter ist gewiß, ganz gewiß der Räuber meiner Mutter. Wie wär es möglich, daß meine Augen mich dergestalt hätten trügen sollen? aber ich schweige, denn ich denke noch immer an die harte Begegnung, die ich von ihm erfahren mußte, als ich in jener Nacht seinen Namen nannte.
Ich kannte denjenigen, des ich mir vordem als einen Engel träumte, jetzt besser, und Elisabeths Reden fanden in diesem Augenblicke würklich mehrern Eingang bey mir, als zur Zeit verblendeter Liebe; doch war das, was das junge Mädchen vorbrachte, fast zu schrecklich, um ganz geglaubt zu werden und ich hielt es also für gut, ihr wenigstens äußerlich zu widersprechen. Aber in wenig Tagen erhielt ich Beweise, daß mein Gemahl mancher Handlung fähig war, die ich sonst mit einem Eide auf mein Gewissen von ihm abgelehnt haben würde, und daß es also wenigstens nicht unmöglich sey, daß er an jener, deren ihm seine unschuldige Anklägerinn zeihete17, Antheil gehabt haben könne.
Die Männer, welche die erste Veranlassung zu einer Bekanntschaft mit dem Grafen von Vatz gaben, welche ich bereits als mein Unglück anzusehen begunnte, der Abt und der Prior des Klosters Kurwalde, hatten bisher, von meinem Oheim bey ihren Rechten geschützt, mit ihren Mönchen in gutem Frieden gelebt, aber als dieses Kloster durch die Milde des Grafen Venosta unter die Herrschaft Graf Walters kam, da begunnte sich Unruh und Meuterey unter den ausgelassenen Klosterherren, die der Zucht eines tugendhaften Obern nicht gehorchen wollten, wieder im Verborgenen zu regen, und Abt Konrad that mir oft im Beichtstuhl ein Gegenbekenntniß seiner geheimen Leiden und der traurigen Aussichten für die Zukunft, die mein ganzes Herz bewegte; aber ich war zu schwach zu helfen, mein Gemahl taub gegen meine Bitten, und Graf Venosta zu fern, um mich an ihn zu wenden.
Ich saß einst weit nach Mitternacht, die Rückkunft meines Gemahls von einem Zechgelag zu erwarten, und mich auf die in solchen Fällen gewöhnlichen Auftritte zu bereiten, als Mechthild mit ängstlicher Geberde eintrat, und mir meldete, wie sie im Garten einige dunkle Gestalten wahrgenommen habe, die durch den blendenden neugefallnen Schnee ein noch fürchterlicheres Ansehen gewönnen, und wie sie, um die Wahrheit zu erkunden, hinab geeilt sey, und diejenigen mit sich gebracht habe, die sie in vergebliches Schrecken gesetzt hätten. Arme hilfsbedürftige Geister! setzte sie hinzu, die euch um Rettung anflehen. Ich kannte die Art der muthigen Mechthild, unangenehmen Dingen durch den Ton ihrer Erzählung das Schreckliche zu benehmen und erwartete den Eintritt der Fremden nicht ohne Herzklopfen. Aber wie ward mir, als ich den redlichen Abt Konrad, den ehrwürdigen Lüttger und noch einige andere Mönche eintreten sah; deren entstelltes Ansehen noch mehr als ihre Worte meinen Beystand forderte. O gute Gräfinn! schrie Konrad, alles ist für uns verloren. Das gefürchtete Unglück ist endlich ausbrochen, und wir sind alle Opfer des Todes, wenn ihr uns nicht zu schützen vermöget. Heute vor dem Altar nahm man mich und diese Männer im Namen unsers Grundherrn, Graf Walters, gefangen. Ein scheußliches Loch ward unser Gefängniß. Unsere Appellation an den Bischof von Chur ward verlacht, und einige Worte unserer Kerkermeister gaben uns zu verstehen, daß unser Schicksal auf immer entschieden seyn würde, ehe unsere Appellation an eine höhere Macht gelangen könne. Uns ist bekannt, was in Klöstern möglich ist. Todesahndung umschwebte uns. Das Geräusch der Schwelgerey, welches diesen ganzen Tag hindurch über uns ertönte, vermehrte unsere Besorgnisse. Welche Unthaten sind bereits von trunkenen Mönchen verübt worden! Einer meiner heimlichen Freunde fand Mittel, sich zu uns in den Kerker zu stehlen, und uns die Wahrheit unserer Besorgnisse vor Augen zu legen. Die Feinde der Ordnung und Tugend werden von dem Grafen von Vatz geschützt; er selbst ist gegenwärtig im Kloster, und wir würden wahrscheinlich schon nicht mehr seyn, wenn uns unser Kundschafter nicht heimlich davon geholfen hätte und mit uns geflohen wär. Unser Leben steht nun in eurer Hand, rettet uns durch Vorbitte oder Verbergung, ihr seyd die einige Zuflucht, die uns nahe genug war, vor der Ankunft unserer Feinde erreicht zu werden.
Vorbitte? rief ich, indem ich eine Thür meines Kabinets aufschloß, welche zu meinen Bädern hinab führte, Vorbitte bey Graf Waltern? Augenblickliche Flucht ist das einige Rettungsmittel! Folgt mir ohne Verweilen! Ich ging voran, die Männer folgten mir nach, und wir gingen einen weiten unterirdischen Weg, der mir allein bekannt war, und der einen Ausgang ins Gebürg hatte, wo ich meine Geretteten verließ, überzeugt, daß sie durch Lüttgers Hülfe, welcher in diesen Gegenden, die er mit mir beym Kräutersuchen so oft durchstrichen hatte, wohl bekannt war, sich leicht würden zurecht finden können.
Die Hälfte der Nacht war über dieser Begleitung verflossen. Ich fand den wüthenden Walter in meinem Zimmer, und ein fürchterliches Ungewitter brach über mich los. Ueberzeugt, daß meine Freunde nun geborgen seyn müßten, leugnete ich ihm nichts, ich beantwortete seine Schmähungen mit Vorwürfen wegen des Worts, das er mir ehemals gab, den bedrängten Konrad immer bey seinen Rechten zu schützen, und das er nun so schändlich gebrochen hatte. Meine Worte hatten Wahrheit und Nachdruck für sich, aber ich war die schwächere. Niemand war, der mich hören und zwischen mir und Graf Waltern richten konnte, mir wiederfuhr die unwürdigste Begegnung, und mein Zimmer ward mein Gefängniß.
Das Volk, das mich liebte, schrie über Gewaltthat, als Mechtild Mittel fand, das was ich erlitt, auszubringen, aber der Graf von Vatz sprach lauter als sie. Ein schimpfliches Verständniß mit dem vertriebenen Abt des Klosters Kurwalde, das man mir schuld gab, beschönigte die Härte, mit welcher man mich behandelte, und man sah es ohne sonderliche Bewegung, als ich in wenig Tagen unter starker Bedeckung, niemand wußte wohin, abgeführt, und mir so gar der Trost geraubt wurde, meine Mechtild und das junge Fräulein von Rappersweil zu Begleiterinnen zu haben. Nur Heinrich