Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz
Schlosse entflohen sey, und nicht wieder dahin verlange, zu Walter Fürsten, einem der vornehmsten Einwohner dieser Gegend, bey welchem er jene Aufnahme fand, welche dieser edle Helvetier jedem Verlassenen wiederfahren ließ, und die er einem Kinde wie Rudolf, welches mit der Anmuth eines Engels noch die äußerste Hülflosigkeit, diese mächtige Herzensfeßlerinn, verband, mit doppelter Freude gewährte.
Es dauerte lange, ehe Walter Fürst Rudolfs unordentliche Erzählungen ganz begreifen konnte, aber als er den Namen seiner Mutter und seiner Pathe erwehnte, welche, wie er meynte, in jenen Flammen umgekommen waren, als er sich selbst einen Grafen von Rappersweil nannte, da ward der edle Mann aufmerksam, und genauere Nachforschungen brachten ihn bald hinter die Wahrheit.
Die friedlichen Einwohner des stillen Thals kümmerten sich wenig um das, was in den Felsenschlössern vorging. Diese Residenzen des Adels wurden von ihnen als Behausungen des Unrechts und des Frevels angesehen und gefürchtet. Sie waren zu schwach, sich all dem Bösen, was hier verübt wurde, und das zuweilen durch die Sage zu ihnen kam, zu widersetzen, und mußten froh seyn, wenn die Ungerechtigkeiten der Besitzer jener Raubnester sich nicht den Weg bis zu ihnen eröffneten.
Aber Walter Fürst, ein Mann, der in jeder Betrachtung über seine Zeitverwandten weit hervorragte, durfte nun genauere Kenntniß von dem Zustand zweyer Nothleidenden haben, deren Rettung aus den Flammen er zuversichtlich hoffte, er durfte nur bey näherer Erkundigung in den Gebieten des Grafen von Vatz die Bestättigung dessen finden, was das Kind, das er in Schutz genommen hatte, aussagte, so war sein Entschluß gefaßt; und schnelle und vorsichtige Ausführung folgte hintennach.
Henrich von Melchthal, ein alter Bekannter Walters Fürst, war derjenige, an welchen sich der letzte um genauere Nachricht von Hedwigs und meiner Geschichte wandte, und dieser treue Unterthan des Grafen Venosta, er, der so lang im Stillen über das unbekannte Schicksal seiner ehemalichen Gebieterinn getrauert hatte, machte sich selbst auf, mit seinem Freunde, über unsere Rettung zu rathschlagen, indessen er, um nichts zu versäumen, seinen Sohn eilig nach meinem Oheim abfertigte um ihm von allem Nachricht zu geben.
Der Entschluß, den die beyden biedern Helvetier, Walter und Heinrich zu unserm Besten faßten, ist leicht aus vorgemeldetem zu errathen; der letzte hatte eine kleine Anzahl treuer Leute aus unsere Gegenden mit sich gebracht, welche Fürst mit den tapfersten aus dem Frutigerthal, verstärkte. Sie waren kühn genug, sich als Abgeschickte des Grafen von Vatz zu Uspunnen einzudrängen, und der dasigen zahlreichen Dienerschaft, durch den entschlossenen Ton, in welchem sie sprachen, Schrecken einzujagen. Ueberzeugt, daß die wohlausgesonnene List nicht lange Stand halten könne, gingen sie schnell zu Werke, und es liegt am Tage, wie wohl es ihnen geglückt war.
O Hedwig! O Rudolf! wir waren frey! O Heinrich und Walter, unsere Retter! welcher Dank war hinlänglich, eurer Treue zu lohnen! – Aber die Edeln forderten weder Dank noch Lohn, ihnen kam das, was sie gethan hatten, so alltäglich vor, daß sie zweifelten, ob wir nicht zürnen würden, daß unsere Erlösung so spät zu Stande gekommen war, und sie nahmen von ihrer Unwissenheit und Unvermögen tausend Entschuldigungen her, die wir, welche von nichts als Freude und Dank wußten, ihnen wahrhaftig nicht abfoderten. Und diese Männer, die ihr Leben bey einer der kühnsten uneigennützigsten Thaten gewagt hatten, bey einer That, die einem Fürsten Ehre gemacht haben würde, gehörten zu den Geringern im Volk, zu den arbeitsamen Söhnen der Erde, die nichts von Reichthum und Hoheit wissen! Doch giebt es wohl einen Geringen in einem Lande, wo alles Großmuth und Freyeitsliebe athmet? O Helvetiens Gebürge! nur ihr bringt jene Mischung von Größe der Seele und kunstloser Einfalt hervor, die wir an euren Bewohnern bewundern!
Wir lagen in den Armen des Grafen Venosta, ehe er in seiner Entfernung und bey der zunehmenden Schwäche des Alters mit den Anstalten zu unserer Rettung hatte zu Stande kommen können. Arnold, Henrichs von Melchthals Sohn, welcher der Ueberbringer der Botschaft von unserm Zustande war, hatte ihm gesagt, daß alle seine Zurüstungen unnöthig wären, daß wir ohne dieselben gerettet werden würden, aber wo findet besorgte Freundschaft hinlängliche Sicherheit für ihre Lieben! Die Zeitung27 von Hedwigs Leben, und meiner Unschuld hatte das Gemüth des guten Greises in eine Bewegung gesetzt, welche ihn geneigt gemacht haben würde, die halbe Welt zu unserer Hülfe aufzubieten, wenn er Herr derselben gewesen wäre.
Wir fanden das kleine Land, das sich Graf Zirio, nachdem seine Freygebigkeit meinem undankbaren Gemahl alles überließ, vorbehalten hatte, in Waffen. Was zu unserer Rettung nunmehr unnöthig war, sollte zu unserer Rache angewendet werden. Wir flehten um Frieden, wir stellten ihm die Uebermacht unsers Feindes vor, aber wer vermag einem alten Krieger die sieggewohnten Waffen aus den Händen zu winden! O Hedwig, rief er, laß ab von mir! die Unthat deines Tyrannen ist zu groß, um ungerochen28 zu bleiben! Bedenke, dir und mir raubte der Unmensch so viel glückliche Jahre, die wir vereint hätten zubringen können, und dich, unschuldige Noria, betrog er um deinen guten Ruf, um die Liebe und den Beystand deines Freundes. O daß ich verblendet genug war, ihm zu glauben! Wie künstlich wußte er mir lange Zeit seine Trennung von dir zu verbergen, und als die Stimme des Rache schreyenden Volks, als Henrichs von Melchthal und Mechtildens Stimme endlich durchdrang, wie schläferte er meine Liebe und meine Besorgnisse für dich durch Verleumdungen ein, deren Ungrund ich, unter dessen Augen du so lang das unschuldigste Leben geführt hattest, ja wohl hätte einsehen können!
Bey Empfindungen von dieser Art war es unmöglich, etwas über dem Grafen Venosta zu erhalten. Er zog hin, die Verbrechen des Grafen von Vatz, und zugleich seine eigenen Fehler, zu denen er sich durch ihn verleiten ließ, zu rächen, und wir folgten ihm, um auf dem vesten29 Schloß Oberhalbstein am Rhein dem Schauplatz seiner Waffen näher zu seyn, als im dem abgelegenen Münsterthale.
Eine unvermuthete aber längst ängstlich herbey gewünschte Freude wartete unserer in diesen Gegenden. Vergebens hatten wir seit unserer Befreyung nach dem Schicksal der jungen Elisabeth, die ich in Graf Walters Händen zurück lassen mußte, geforscht. Graf Zirio versicherte uns, daß er in der Zeit unserer Gefangenschaft nach nichts eifriger gestrebt habe, als dieses verlassene Kind in seine Hände zu bekommen, um sich durch sie über unsern Verlust zu trösten, aber alles, was er von ihr habe erfahren können, sey dieses gewesen: Mechtild sey gleich des erstes Tages nach meiner Verstossung mit ihr unsichtbar geworden; eine Sache, die sie auf Befragung dennoch nicht hatte gestehen wollen. – Jetzt lösten sich diese Räthsel auf einmal, und Mechtild lag gleich in den ersten Tagen unsers Aufenthalts auf dem Schloß am Rhein zu unsern Füssen.
O, meine Gebieterinnen! rief sie, indem sie unsere Knie mit Thränen netzte, was habe ich um euch gelitten, wie schwer ist mir es geworden, euch den Schatz aufzubewahren, den ihr jetzt zu jeder Stunde aus meiner Hand empfangen könnt. Ich hoffe, ihr habt hier allein zu befehlen, und nicht der schwache Graf Venosta, und ich kann euch eure, ach meine, meine Elisabeth, sicher anvertrauen!
Mechtild hatte noch nicht ausgeredet, da stürzte die geliebte so lang verlorne Tochter herein, die kindlichsten Gefühle in den Schooß ihrer Mütter, wie sie uns beyde nannte, auszugiessen, ein schönes blühendes Mädchen von fünfzehn Jahren, die dem Auge ganz die Reize darstellte, die man von Elisabeths Kindheit hatte hoffen können. Gott! welche Scene! Wir verloren uns in dem Anschauen und den Umarmungen unserer Tochter, und hörten wenig auf Mechtildens Erklärungen, wie und warum sie so hartnäckig abgeleugnet habe, etwas um die Verlorne zu wissen, und wie sie Bedenken getragen habe, sie meinem Oheim, der sich von dem Grafen von Vatz auf eine so unerhörte Art habe einnehmen lassen, auszuliefern.
Erst spät waren wir im Stande, der treuen Dienerinn zu danken, und die Erzählung von Elisabeths Geschichte anzuhören, die ihr, nebst allen folgenden Schicksalen des Fräuleins von Rappersweil, weitläuftig unter dem Titel, Elisabeth von Homburg, unter meinen Papieren finden werdet. Mechtild hatte geeilt, nachdem ich jenesmal von der weinenden Elisabeth getrennt worden war, um nach Uspunnen geführt zu werden, mit ihr zu fliehen. Das berühmte Kloster in Zürich nahm beyde auf. Alles, was Mechtild von Gold und Kostbarkeiten besaß, reichte kaum zu, ihnen hier Zutritt zu verschaffen. Dieses Haus ist, wie bekannt, nur zum Zufluchtsort für Damen vom ersten Range bestimmt, und die weise Mechtild trug Bedenken, den Namen der jungen Gräfinn von Rappersweil zu nennen.
Sie lebten hier, vermöge des geringen Namens, den sie sich gaben, ruhig, verborgen, und selbst von ihren Wirthinnen den Nonnen ungekannt und vergessen,