Wolfgang Machreich

360° um die Welt


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       Berühmt, berüchtigt, beneidet für:

      Ihre Architektur lässt sich am besten als orientalischer Futurismus beschreiben. Vor zwanzig Jahren in der Steppe hochgezogen, heißt sie seit 2019 nach dem ersten Präsidenten „Nursultan“ – der frühere Name „Astana“ bedeutete auch nur Hauptstadt.

Fläche: 2.724.900 Quadratkilometer, ein wenig kleiner als Argentinien
Einwohner: 18.157.078, sechs Millionen weniger als Argentinien

      Familienbetrieb

      Kasachstan ist ein wunderbares Land mit wunderbaren Menschen und – für die Region nicht ungewöhnlich – einem Langzeitpräsidenten, der das zentralasiatische Land 1991 als Präsident in die Unabhängigkeit führte und seitdem mit harter Hand regierte. Das gewohnte Bild auch hier: Einerseits Personenkult um den „Helden“ Kasachstans und „Anführer der Nation“, dessen Konterfei im Land allgegenwärtig ist; andererseits kamen Regierungsgegner unter ungeklärten Umständen ums Leben, andere wurden inhaftiert oder ins Exil geschickt, und regierungskritische Medien mussten den Betrieb einstellen. Deswegen ist es nicht überraschend, dass jede Wahl Nursultan Nasarbajew mit überwältigenden Ergebnissen im Amt bestätigte. 2015 erhielt er mehr als 97 Prozent der Stimmen. Nach Einschätzung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) entsprach keine dieser Wahlen demokratischen Standards.

      Astro- bzw. Kosmonaut im Gefolge vonWeltraumpionier Gagarin, der von Baikonur aus ins All flog.

      Eine große Überraschung schaffte der Präsident in seiner Amtszeit dann doch noch, als er am 19. März 2019 abends zur besten Sendezeit im Fernsehen seinen Rücktritt erklärte. Doch die Verwunderung über diesen Schritt dauerte nur kurz: Der Machtwechsel ist nur kosmetisch, tatsächlich baut Nasarbajew seine Macht noch aus. Seine älteste Tochter Dariga Nasarbajewa ist als Vorsitzende des kasachischen Oberhauses nun die mächtigste Frau des Landes. Und Nasarbajew senior behält als Chef des Sicherheitsrates so starke Befugnisse, dass er seinen treuesten Gefolgsmann im Amt des (Übergangs-) Präsidenten jederzeit stoppen kann, bis seine als extrem ehrgeizig beschriebene Tochter das Präsidentenamt übernimmt.

      Vetternwirtschaft und Personenkult in Zentralasien – das war der Filmstoff für die Komödie „Borat“. Mit ihr brachte der Brite Sacha Baron Cohen 2006 das Kinopublikum zum Lachen – und die kasachische Führung in Rage. Jetzt soll sowieso alles anders werden, versprach Nasarbajewa in ihrer Antrittsrede doch einen „Wendepunkt in der Geschichte des Landes“.

      Eine wirkliche Wende erlebte bislang in Kasachstan nur der geschichtsträchtige Weltraumbahnhof Baikonur. 1955 wurde das größte Kosmodrom der Welt unter gewaltigen Mühen mit Kamelen als Lasttieren aus dem Boden gestampft. 1957 feierte der Kreml mit dem Start einer Interkontinentalrakete das 1:0 im „kosmischen Wettlauf“ und baute mit dem Satelliten Sputnik-1 sowie dem von Baikonur aus ins All fliegenden Weltraumpionier Juri Gagarin die Führung aus. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.

      Heute verfallen in der Wiege der bemannten Raumfahrt die Startrampen. Baikonurs Schicksal ist ungewiss, Russland baut unweit der Pazifikküste in Wostotschny ein eigenes Kosmodrom. Vor sechzig Jahren war die Anwesenheit von Amerikanern auf der geheimen Anlage undenkbar. Heute ist das Alltag. Nach dem Einstellen des Shuttle-Programms ist der Sternenbahnhof der Ort, von dem US-Astronauten ins All fliegen – als zahlende Gäste in russischen Sojus-Kapseln.

      Start der Sojus-Rakete

       Berühmt, berüchtigt, beneidet für:

      Neben Liechtenstein ist es der einzige Binnenstaat der Erde, der seinerseits nur von Binnenstaaten umgeben ist.

Fläche: 448.978 Quadratkilometer, gleich groß wie Schweden
Einwohner: 31.576.400, mehr als dreimal so viele wie Schweden

      Ausgedörrt

      Usbekistan ist ein wunderbares Land, gelegen an der geschichtsträchtigen Seidenstraße, gesegnet mit den Weltkulturerbe-Städten Samarkand, Buchara, Chiwa und mit wunderbaren Menschen, denen eine sehr menschliche Eigenschaft nachgesagt wird: Im muslimischen Usbekistan soll ungewöhnlich viel Wein getrunken werden. Aber die Usbeken können sich auf Urvater Noah berufen, der auch im Islam höchste Wertschätzung genießt. Mit seiner Arche rettete Noah zuerst die Menschheit vor der Sintflut, um sie danach als erster Winzer für künftige frohe wie schwere Zeiten zu wappnen. Nicht umsonst bedeutet der Name Noah „Tröster“.

      Trost wird wie andernorts auch in Usbekistan reichlich gebraucht: Der Agrarstaat ist mit Abstand der bevölkerungsreichste in Zentralasien. Im autoritär regierten Land werden Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten mit Füßen getreten, grassieren Armut und Korruption. Ein idealer Nährboden für Radikalisierung, der Usbekistan unter den zentralasiatischen Republiken zum wichtigsten Rekrutierungsgebiet für Dschihadisten macht, meldet die „International Crisis Group“. Die Politik-NGO schätzt die Zahl von Aktivisten aus Zentralasien für den Islamischen Staat auf bis zu 4000. Seit den 1990er-Jahren terrorisiert die radikale Islamische Bewegung von Usbekistan (IMU) mit Bombenanschlägen ihr Land, aber auch Ziele in Afghanistan und Indien. 2015 schwor die IMU offiziell dem IS die Gefolgschaft. Usbekische Sicherheitskräfte verfolgen sie mit großer Härte.

      Weltkulturerbe-Städte Buchara ...

      Härte als Politikprinzip übernahm der usbekische Präsident Schawkat Mirsijojew von seinem Vorgänger Islam Karimow, dem er lange als Ministerpräsident diente. Menschenrechtler werfen Mirsijojew auch den jährlichen Zwangseinsatz von Studenten, Lehrern und anderen Staatsbediensteten bei der Baumwollernte vor. Das sogenannte „weiße Gold“ ist Kulturgut und eine der Haupteinnahmequellen für den Wüstenstaat zugleich.

      … und Samarkand

      Damit zusammenhängend, ist dem studierten Bewässerungsingenieur im Präsidentenamt die Achillesferse Usbekistans bestens bewusst: Als direkte Folge der riesigen Baumwollplantagen leidet das Land unter extremem Wassermangel. In Usbekistan liegen drei Viertel des vertrocknenden Aralsees. Einst das viertgrößte Binnengewässer der Erde, bis sowjetische Planwirtschaftler begannen seine Zuflüsse abzuleiten, um damit die Baumwollplantagen zu bewässern. Der Aralsee verlor neunzig Prozent seiner Wassermenge und zerfiel in mehrere kleine Teile – eine Umweltkatastrophe, „beispiellos in unserer Zeit“. Anstatt einer Kehrtwende hält die usbekische Führung jedoch am einträglichen Baumwollanbau fest und will zudem am versteppenden Seeboden nach Erdöl und Gas bohren. Den Musiker Murat Sydykow aus Aralsk inspirierte das Schicksal des Sees zu traurigen Weisen. „Wenn der See nach Aralsk zurückkommt“, versprach er einmal, „dann schreibe ich eine Symphonie und lasse sie von einem Orchester am Seeufer aufführen.“ Bis dahin werden aber noch viele Gläser mit Wein gefüllt werden müssen – zum Trost.