Russ Harris

ACT leicht gemacht


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jedes einzelnen Klienten, den wir vor uns haben, anzupassen. Es ist jedoch unmöglich, vollkommen nicht-direktiv zu sein, wenn wir Klientinnen Achtsamkeitskompetenzen vermitteln. Wir müssen sie anleiten, ihnen Vorschläge machen und Feedback geben, damit sie ihre neuen Fertigkeiten lernen und anwenden können.

      AUFGABEN

      Wenn Sie ein bisschen wie ich sind, kennen Sie auch die Neigung, Lehrbücher zu lesen und zu hoffen, dass Sie alles »in sich aufnehmen«, sodass Sie es spontan im Therapieraum anwenden können. Wenn das nur so wäre! Sie kommen nicht darum herum: Sie werden ACT nicht allein durch Lesen eines Buches lernen. Also hoffe ich, dass Sie die Aufgaben in diesem Abschnitt wirklich ernst genommen und gemacht haben. Für dieses Kapitel ist Ihre Aufgabe einfach Folgendes:

      • Lesen Sie alle Interventionen des Therapeuten, die Sie oben finden. Lesen Sie sie laut, als wären Sie eine Schauspielerin, die den Text für ein Stück probt. Wenn Sie dazu nicht bereit sind, gehen Sie sie wenigsten im Kopf durch.

      • Wenn Sie ein Skript nach dem anderen so lesen, modifizieren Sie es: Übertragen Sie es in Ihre eigenen Worte.

      Ideal wäre, wenn Sie dies ein paarmal machen, bis Ihnen die Worte der Interventionen so leicht von der Zunge gehen, dass Sie die Hauptpunkte, wenn Sie wollten, für Kolleginnen, Therapeuten, mit denen Sie zusammenarbeiten, oder für Leute, die Sie beim Finale der Schachweltmeisterschaft treffen, schnell zusammenfassen könnten. Ich kann die Wichtigkeit hiervon nicht übertreiben: Wenn Sie dies nicht außerhalb der Sitzung üben, werden Sie sich wahrscheinlich nicht daran erinnern, wenn Sie in der Sitzung sind.

      WAS SIE MITNEHMEN KÖNNEN

      Die Hauptsache, die Sie aus diesem Kapitel mitnehmen, ist dies: Bereiten Sie Ihre Sitzungen effektiv vor. Es ist wie ein Fundament, das Sie für das Haus legen, das Sie bauen wollen. Wenn das Fundament nicht richtig gelegt ist, können Sie mit einer Menge Probleme bei dem Prozess des Bauens rechnen. Informierte Zustimmung ist ein essenzieller Teil dieses Fundaments: Sie können es sich nicht leisten, sie zu übergehen. Und das gilt auch dafür, dass eine starke Gemeinsamkeit aufgebaut wird – sehen Sie Ihre Klientinnen also als Regenbögen und nicht als Hemmnis.

      6 Was ist das Problem?

      MIT DEN AUGEN VON ACT

      Neulinge bei der ACT finden es oft schwierig, Probleme eines Klienten durch die Optik der sechs Kernprozesse zu sehen. Um ihnen dabei zu helfen, schauen wir noch einmal kurz den Punkt der Entscheidung an, wie er unten abgebildet ist. Darin wird die Essenz der meisten therapeutischen Themen aus einer ACT-Perspektive zusammengefasst.

      Unten und auf der linken Seite des Diagramms sind die Hauptzüge fast aller therapeutischen Themen und psychiatrischen Störungen zusammengefasst:

      A. Die Klientin hat schwierige Situationen zu bewältigen (das können alle möglichen gesundheitlichen Probleme, Probleme mit einer Beziehung, mit dem Gesetz, im Zusammenleben in der Familie, Probleme finanzieller oder medizinischer Art sein, Probleme, die mit dem Lebensstil zu tun haben, oder berufliche Probleme) und hat eine Vielfalt schwieriger Gedanken und Gefühle. (Zur Erinnerung: »Gedanken und Gefühle« stehen für alle privaten Erfahrungen, darunter Emotionen, dringende Bedürfnisse, Impulse und physische Sinnesempfindungen).

      B. Wenn der Klient unflexibel auf seine Gedanken und Gefühle reagiert, mit Fusion und/oder Vermeiden (»in ihren Griff gerät«), verhält er sich auf eine selbstschädigende Weise, die nicht mit seinen Werten kongruent ist und die sein Leben auf lange Sicht schlechter macht (»Wegbewegungen«).

      Die rechte Seite des Diagramms erinnert uns daran, dass das Ergebnis, das wir von der Arbeit mit der ACT erwarten, ein achtsames (»nicht verstricktes«), wertebasiertes Leben (»Hinbewegungen«) ist. Wir möchten, mit anderen Worten, »Kompetenzen im Lösen aus dem Griff von etwas« (Defusion, Akzeptanz, Selbst als Kontext, flexible Aufmerksamkeit) entwickeln und wertegeleitet und engagiert handeln (Hinbewegungen), um ein Leben zu führen, das so reich, erfüllt und sinnvoll wie möglich ist.

      Wenn wir die Anamnese erheben, finden Klientinnen es im Allgemeinen viel leichter, ihr Leiden und ihre Kämpfe (unten und linker Pfeil) zu beschreiben, als zu beschreiben, was sie tun wollen, um ein reiches und sinnvolles Leben aufzubauen (rechter Pfeil). Damit wir als Therapeuten jedoch effektiv sein können, brauchen wir Informationen über beides. Zum Glück gibt es alle möglichen Hilfsmittel und Techniken, um Menschen zu helfen, ihre Werte und Ziele zu klären, wie wir in Kapitel 19 sehen werden.

      Es gibt zwei Hauptfragen, die uns erlauben, jedes Thema oder Problem aus einer ACT-Perspektive schnell zu konzeptualisieren:

      1. An welchen Werten möchte sich die Klientin orientieren?

      2. Was steht ihr dabei im Wege?

      Schauen wir sie uns einmal näher an.

       An welchen Werten möchte sich der Klient orientieren?

      Diese Frage dient der Klärung von Werten: Auf welche Weise möchte die Klientin wachsen und sich entwickeln? Welche persönlichen Stärken und Qualitäten will sie kultivieren? Wie möchte sie sich verhalten? Wie möchte sie mit sich selbst umgehen? Welche Arten von Beziehung möchte sie aufbauen? Wie möchte sie die Menschen behandeln, mit denen sie in Beziehung ist? Wofür möchte sie sich einsetzen? Wofür möchte sie in dieser Krise oder herausfordernden Situation eintreten? Welche Lebensbereiche sind ihr am wichtigsten? Welche Ziele hat sie derzeit, die mit ihren Werten in Einklang stehen?

      Nachdem wir Antworten auf diese Frage gefunden haben, können wir dieses Wissen nutzen, um wertekongruente Ziele festzulegen und den Klienten zu anhaltenden Handlungen zu inspirieren und entsprechend zu begleiten. Falls wir diese Frage nicht beantworten können, wissen wir, dass wir daran arbeiten müssen, Werte zu klären, Ziele zu setzen und Handlungspläne zu entwerfen.

       Was steht ihm dabei im Wege?

      Diese Frage bezieht sich auf psychische Barrieren: Was hindert den Klienten daran, angesichts der Herausforderungen des Lebens effektiv zu handeln? Psychische Barrieren können jeden einzelnen oder alle der sechs Prozesse psychischer Rigidität einschließen, die wir in Kapitel 2 behandelt haben: kognitive Fusion, Erlebnisvermeidung, unflexible Aufmerksamkeit, Werteferne, unzweckmäßiges Handeln und Fusion mit Selbstkonzepten.

      Nicht alle diese Prozesse werden für jede Klientin relevant sein, aber die meisten werden relevant sein, wenigstens in gewissem Maß, bei den meisten Klientinnen.

      Wenn wir die Anamnese eines Klienten erheben, wird ein großer Teil davon darin bestehen, Antworten auf diese zwei Hauptfragen zu bekommen.

      ERHEBUNG DER ANAMNESE

      Die Erhebung der Anamnese ist kein glatter, geordneter, linearer Prozess. Gewöhnlich tun wir das stückchenweise im Laufe des Prozesses, springen vor und zurück und auf Nebenwege und vervollständigen so das Bild des gegenwärtigen Lebens der Klientin, der Probleme, die sie hat, und ihrer relevanten Vorgeschichte. Glücklicherweise müssen wir nicht alle Informationen in einer Sitzung bekommen. Nach Bedarf können wir auch später noch Fragen zur Geschichte des Klienten stellen. Um die Anamneseerhebung zu erleichtern und auch zu beschleunigen, bitte ich meine Klienten, vor der ersten Sitzung einige Arbeitsblätter auszufüllen. (Ich versende die Formulare entweder per Post oder per E-Mail oder bitte die Klientin, 20 Minuten früher zu kommen und sie im Wartezimmer auszufüllen.) Ich gebe ihnen die Arbeitsblätter »Die einzelnen Aspekte des Problems« und entweder »Zielscheibe« oder »Lebenskompass«. Diese Arbeitsblätter finden sich am Schluss dieses Kapitels. Werfen Sie jetzt bitte kurz einen Blick darauf.

      Wollen wir eine generelle Einschätzung der Werte in den verschiedenen Lebensbereichen vornehmen, eignet sich »Zielscheibe« am besten. Dieses Arbeitsblatt sieht vier Lebensbereiche vor: Erwerbsarbeit/Bildung, persönliches Wachstum/Gesundheit, Beziehungen und Freizeit. Wenn der Klient dies zum ersten Mal ausfüllt, bekommen Sie wahrscheinlich eine ziemliche Mischung von Werten, Wünschen, Bedürfnissen und Zielen: ein wunderbarer Anfangspunkt für weitere Erkundungen.

      Das Arbeitsblatt »Die einzelnen Aspekte des Problems« untersucht