Karl-Heinz Brodbeck

Buddhistische Wirtschaftsethik


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Ethik nicht getrennt, sondern zeigen sich als zwei Aspekte desselben Problems.

      Wenn in der Gegenwart viele Formen wirtschaftlichen Handelns im Sturm der Globalisierung massive Kritik hervorgerufen haben, die auch die Wirtschaftswissenschaften als Legitimationshilfe dieser Handlungen betrifft, dann zeigt sich unmittelbar, dass die These von der »Wertneutralität« der Ökonomie als Wissenschaft nicht haltbar ist. Hinzu kommt, dass die Ökonomie als empirische Wissenschaft, die tragfähige Prognosen liefern sollte, gescheitert ist. Das weltweite Engagement gegen die Macht der Finanzmärkte und der Markenfirmen, gegen die Zerstörung vieler kultureller Traditionen und ökologischer Systeme macht zudem erkennbar, dass immer mehr Menschen nicht mehr bereit sind, dem Glauben an die unverrückbare Faktizität der Märkte und eine unveränderlichegoistische Menschennatur Folge zu leisten. Hier zeichnet sich die Notwendigkeit einer Wirtschaftsethik ab, die Abschied nimmt von diesem Glauben und dafür auch eine fundierte erkenntnistheoretische und ethische Begründung liefert. Eben diese Einheit von Erkenntnis und Ethik ist das Grundprinzip der buddhistischen Philosophie.

      Der Buddhismus kann deshalb zur ethischen und ökonomischen Diskussion nicht nur einen originellen, sondern einen wirklich fundierten Beitrag leisten. Die buddhistische Wirtschaftsethik ist nicht erbauliche Zutat zum wirtschaftlichen Alltag oder eine leere moralische Hülle für eine zynische Wirklichkeit, sondern sie trifft als Erkenntnis ins Zentrum der blinden Dynamik ökonomischer Prozesse. Das versuche ich in diesem Buch zu zeigen. Damit betrete ich auf weiten Strecken, trotz einer vielfachen Rückbindung an die Tradition, Neuland. Eine Einführung in die buddhistische Wirtschaftsethik kann nicht auf ein fertiges System zurückgreifen. Der Buddhismus hat zwar eine vielfältige Ethik entwickelt; Hinweise zur Wirtschaft sind vorhanden, kaum aber systematisch entfaltet. Der Grund ist einfach: Die Dominanz ökonomischer Probleme ist ein Phänomen, das in den traditionell buddhistischen Kulturen weitgehend unbekannt war.

      Wenn in diesem Buch vor allem die Veränderung der individuellen Motivation in den Mittelpunkt gerückt wird, so ist damit nicht die Möglichkeit verneint, ökonomische Probleme durch institutionelle Regelungen zu lösen. Als erster Schritt jedoch besteht der Beitrag des Buddhismus vor allem in der Ethik des Mitgefühls als wirksamer Medizin gegen den Egoismus – in der Erkenntnis der Wurzeln jenes Scheins in der Wirtschaft, der sich in Krisen und Crashs immer wieder offenbart. Ich möchte zeigen, dass sich aus den philosophischen Grundlagen des Buddhismus eine sehr effektive Gegenthese auch zur theoretischen Erklärung der Ökonomie durch die moderne Wirtschaftswissenschaft formulieren lässt.

      Der Buddhismus ist »eine Wissenschaft des Geistes«2, eine Wissenschaft, deren Wirklichkeit die Praxis der Erkenntnis ist. Diese Praxis entfaltet sich durch universelles Mitgefühl, Toleranz und Gewaltfreiheit; sie richtet sich aber gleichwohl gegen die vielfältigen Täuschungen, die das Handeln der Menschen scheinbar von blinden »Sachzwängen« abhängig macht. Ohne eine spirituelle Perspektive bleiben die Erde und ihre Lebewesen in jenem heillosen Zustand, der sich global ausbreitet, solange weiter Egoismus, Konkurrenz, Zynismus und Blindheit die Wirtschaft und die Politik beherrschen. Es ist diese fehlende spirituelle Perspektive, die sozialistische und neoliberale Experimente in die Sackgasse führte. Spiritualität heißt im Buddhismus: Weisheit des Mitgefühls. Zu zeigen, dass und wie die Einheit von Erkenntnis und Ethik in der Wissenschaft und der Praxis der Wirtschaft möglich und not-wendend ist, macht den Kern des hier vorgelegten Entwurfs aus.

      Wenn ich auf den nachfolgenden Seiten oft der Kürze halber einfach von »buddhistischer Wirtschaftsethik« spreche, so wäre immer hinzuzufügen: Es handelt sich um meinen bescheidenen Versuch, aus Belehrungen durch Lehrer verschiedener buddhistischer Traditionen, eigenen Erfahrungen, Ratschlägen von Freunden, den tradierten Quellen und vereinzelten Analysen jüngeren Datums eine buddhistische Wirtschaftsethik neu zu entwickeln. Eine dogmatische, autoritative oder gar für »den« Buddhismus verbindliche Aussage ist damit in keiner Weise beabsichtigt. Mögliche Vorzüge des nachfolgenden Textes bitte ich deshalb als direkte Wirkung der Einsichten aus tradierten Texten, meiner Lehrer und Freunde zu betrachten, Schwächen dagegen ausschließlich beim Verfasser zu suchen.

      Vorwort zur zweiten Auflage

      Der hier in neuer Form vorgelegte Text wurde sechs Jahre vor dem Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 veröffentlicht. Ich habe den Text überarbeitet, teilweise gekürzt, an anderen Stellen auch erweitert und neuere Entwicklungen einbezogen. Gerade jene Teile aber, die sich auf das Geld und die Geldgier bezogen, konnten für diese zweite Auflage nahezu unverändert übernommen werden. Die darin formulierte Diagnose, dass die Rechnung in Geld auf einer illusionären Denkform beruht, wurde in der Finanzkrise auf eindrucksvolle und für viele Menschen schmerzhafte Weise Wirklichkeit. Ich möchte damit nicht behaupten, über besondere prognostische Fähigkeiten zu verfügen, auch wenn mir das gelegentlich unterstellt wurde.3 Prognosen sind in einer Welt der Verblendung gar nicht möglich – aus zwei Gründen: Einmal gründen in buddhistischer Diagnose die menschlichen Handlungen überwiegend in einem Irrtum über die Stellung des Menschen in der Welt. Auf der Grundlage eines Irrtums, eines Nichtwissens, werden sie durch Begierden und Aggression bewegt, und dies sind irrationale, wenngleich vielfach in einem rationalen Mäntelchen versteckte Motive. Wie sollte das Gesamtergebnis von Handlungen in der Gesellschaft, die irrationalen Leidenschaften folgen, vernünftig vorhersehbar sein? Zum anderen vollzieht sich das individuelle Handeln in gegenseitiger Abhängigkeit von den Handlungen anderer und in Abhängigkeit von der Natur, die insgesamt ein völlig undurchdringliches Geflecht bilden. Man kann also zwar allgemeine Gründe für gesellschaftliche Entwicklungen entdecken, nicht aber für bestimmte Ereignisse die vielfältigen Ursachen. Zugleich zeigt sich hier – aus anderer Perspektive –, dass die im nachfolgenden Text formulierte These, Ökonomie als Wissenschaft und als Ethik sind nicht zu trennen, eine neue Illustration durch die Finanzkrise erhalten hat. Als ich in meinen früheren Arbeiten zur Wirtschaftsethik und Ökonomie – vor etwa 15 Jahren4 – von Gier gesprochen habe, bezeichneten manche Fachkollegen dies als »unwissenschaftlich«. Inzwischen hat man weitgehend verstanden, dass Krisen durch irregeleitete Motive hervorgerufen werden, und sie nicht Ergebnis von »Naturgesetzen der Wirtschaft« sind. Auch wenn der Begriff Geldgier inzwischen häufig verwendet wird, so fehlt es doch noch gänzlich an einem Verständnis der wirklichen Grundlagen des ökonomischen Prozesses. Einen Beitrag zu diesem Verständnis und zu seiner ethischen Dimension versucht dieses Buch zu leisten.

      Dessen zentrale Aussage lässt sich relativ kurz zusammenfassen: Das, was wir »Welt« – damit auch Weltwirtschaft – nennen, ist das Ergebnis menschlichen Handelns. Das menschliche Handeln wiederum ist das Ergebnis einer bestimmten Motivation. Und die zentrale Diagnose im Buddhismus lautet: Diese Motivation lässt sich durch drei Geistesgifte (Gier, Aggression, Unwissenheit) als eine irregeleitete, als eine täuschende diagnostizieren. Weil die Motivation von nahezu sieben Milliarden Menschen auf einer fundamentalen Unwissenheit beruht, nämlich auf dem Wahn oder Glauben, jeder sei für sich ein unabhängiges Ich, das einer Welt von ihrerseits mit sich identischen Dingen gegenübersteht, eben deshalb sieht dieser Planet genau so aus, wie er täglich erscheint: Ein Planet des Hungers, der Wirtschaftskrisen, der Armut neben unfassbarem Reichtum, der Kriege und Bürgerkriege, der Lüge und der Manipulation des Geistes durch Medien, ein Planet der Rücksichtslosigkeit gegenüber der Natur, gegenüber anderen Lebewesen, aber auch gegenüber den anderen Menschen. Sie erscheinen nicht als Mit-Menschen (oder Mit-Lebewesen), sondern als Konkurrenten, als Objekte unserer Begierden und Projektionen, auch der vielfältigen Aggression.

      Diese Kernaussage des Buddhismus, dass die menschliche Motivation durch Nichtwissen irregeleitet ist, bietet auch eine Antwort auf die Frage, weshalb es einerseits nun schon seit Jahrhunderten so viele Vorschläge gibt, die vielfältigen Leiden und Ungerechtigkeiten auf unserem Planeten zu beenden, während andererseits alle diese Vorschläge wiederum in Konkurrenz zueinander stehen und sich in der Verwirklichung meist als neue Enttäuschung erwiesen haben. Das dominierende Feld, auf dem die Vorschläge für Veränderungen gemacht werden, ist seit langer Zeit die Wirtschaft. Eben diese Frage ist das zentrale Thema des vorliegenden Textes.

      Ich möchte auf diesen Punkt vorab ein wenig genauer eingehen, denn in den letzten Jahren wurde ich nach Vorträgen, in Interviews oder in vielen persönlichen Gesprächen immer wieder gefragt: »Welche Vorschläge machen