enttäuschen. Wenn die buddhistische Diagnose, die im vorliegenden Buch bezüglich der Wirtschaft, des Geldes, der wirtschaftenden Personen systematischer entfaltet wird, richtig ist, wenn das menschliche Handeln von knapp sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten auf einem grundlegenden Nichtwissen beruht, auf dem Glauben an ein Ego als milliardenfacher Weltmittelpunkt mit allen daraus hervorgehenden irrenden Motivationen, dann gilt: Es gibt für diesen Planeten nicht ein Zentrum, einen zentralen Ansatz, einen archimedischen Punkt, von dem aus man die Welt verändern oder aus den Angeln heben könnte. An so etwas zu glauben, das ist gerade ein nicht nur in den Wirtschaftswissenschaften gepflegter Irrtum. Es handelt sich hier um eine allgemeine Projektion der Ich-Illusion.
Meine Analyse und Kritik setzt genau an dieser Illusion an. Es geht zunächst um die Kritik dieser Illusion und die Einsicht in die Wahrheit jenseits dieser Illusion: Wir Menschen leben untereinander und mit der Natur in einem unaufhörlichen Fluss gegenseitiger Abhängigkeit. Die dieser Abhängigkeit entsprechende Motivation ist das Mitgefühl mit anderen Menschen und Lebewesen, die Achtsamkeit auf die Umwelt und auf die eigenen Gedanken. Es gibt keine höhere Ordnung, die ein Gott als Gesetz der Welt auferlegt hat, auch keine höhere Ordnung, die aus einer vermeintlichen »Natur« des Menschen hervorgehen würde und die wir zu beachten hätten. Die Welt der Menschen in Relation zur Natur ist vielmehr das Ergebnis einer irregeleiteten Motivation. Und eben das kann man täglich beobachten. Ohne eine Erkenntnis und Veränderung dieser Motivation ist jeder Vorschlag zur Weltveränderung oder Weltverbesserung auf Sand gebaut und führt nur in einen neuen Irrtum.
Ich möchte das kurz an einigen Beispielen erläutern. Zunächst einmal fällt auf, dass all die vielen Vorschläge, die zur Verbesserung oder Reform der Wirtschaft gemacht werden, von einem fiktiven Ego namens »Wir« ausgehen. Auch »Wir« ist ein irrendes Ich: Wir als Deutsche gegen Ausländer, als Christen oder Moslems oder Buddhisten gegen je andere Religionen, wir als Weiße gegen Farbige, wir als Frauen gegen die Männer (oder umgekehrt), wir als Intellektuelle gegen das unwissende Volk, wir als Volk gegen »die da oben«, oder einfach nur wir als Anhänger des Fußballvereins Kick und Bolz gegen alle anderen Vereine. Ebenso lauten dann die Forderungen: Wir müssen dies oder das tun. Aber wer ist »wir«? Die in Deutschland Lebenden? Beziehen wir die übrigen europäischen Länder, die USA, China, Indien, Japan und ganz Asien, Afrika und Südamerika mit ein? Wenn man also z.B. sagt, Islamic Banking ist die Lösung für die Finanzkrise – soll das auch für die Wall Street gelten, und wenn ja, wie überzeugt man New Yorker Broker davon? Dasselbe gilt für Mikrokredite, Regiowährungen, das Grundeinkommen, ethisches Investment, Gutscheinsysteme, Tauschringe, Fairtrade, Genossenschaften oder lokale Experimente ohne Geldverwendung. All diese Vorschläge – bei denen ich immer wieder aufgefordert werde, mich ihnen anzuschließen – lassen die Frage völlig offen, wie eine durch Geldprozesse und globale Arbeitsteilung verknüpfte Weltwirtschaft von einer Idee, also von einem Zentrum aus neu gestaltet werden soll. Vor allem: Man übersieht, dass solche Veränderungsvorschläge nie einsam in einem leeren Raum gemacht werden, sondern in Wettbewerb zueinander, in einer Welt, die unaufhörlich durch neue Ideen verändert wird. Die Verbesserungsvorschläge widersprechen sich in vielen Punkten und konkurrieren mit- und gegeneinander.
Betrachten wir den wichtigsten und gewaltigsten Veränderungsvorschlag des 20. Jahrhunderts: den Kommunismus. Die Marxisten haben die teilweise schrecklichen Auswüchse des Kapitalismus durchaus zutreffend gebrandmarkt und daraus den Schluss gezogen: Der Kapitalismus und das Geld müssen abgeschafft werden. Es war – ökonomisch betrachtet – die radikalste Bewegung, seit es Geldwirtschaften gibt. Doch was zeigte sich? Man erkannte, dass »Kapitalismus« eine Abstraktion ist, dass es um konkrete Staaten und Ökonomien, mächtige Regierungen und Armeen ging, die nicht so einfach einer neuen Idee Platz machten. Also hat man durch gewaltsame Revolutionen (in Russland, China usw.) die alten Systeme beseitigt, die alte Wirtschaft zerschlagen. Was ist dann übrig geblieben? Ein Chaos, und in diesem Chaos blieb der einzig »ordnende« Faktor die Gewalt der Revolutionäre, der Armee. So wurde aus den kommunistischen Idealen das fürchterliche Schrecknis des Stalinismus, des Maoismus mit Millionen Toten. Der Gedanke, man könne die Welt durch eine Weltrevolution neu gestalten, erwies sich als tödlicher Irrtum. Doch betrachtet man andererseits die Antwort auf den Sozialismus – die neoliberale »Konterrevolution« –, die in den 1980er Jahren systematisch in nahezu allen Marktwirtschaften weltweit vorangetrieben und danach weiter verschärft wurde, dann erkennt man nun das Ergebnis: Die Freigabe der Märkte hat weltweit die Armut in Krisen immer wieder vergrößert, der Hunger hat nicht abgenommen. Die drängendsten Probleme (Verknappung der Rohstoffe, Desertifikation, Klimakatastrophe, leer gefischte und kontaminierte Weltmeere usw.) wurden durch die Freigabe der Märkte nicht nur nicht gelöst, sondern vielfach überhaupt erst hervorgebracht, wenigstens beschleunigt. Wieder ist ein Versuch, eine Idee global umzusetzen, gescheitert.
Wenn man sich nun auf kleiner Ebene um Reformen bemüht, so ist das begrüßenswert und sicher oft hilfreich und kann (allgemein gesagt) Leiden mindern. Doch gibt es für ein Weltsystem, das auf Unwissenheit beruht, eben nicht eine Lösung, eine Antwort. Die Weltwirtschaft beruht auf der Konkurrenz der selbstsüchtigen Interessen. Wenn man nun seinerseits in Konkurrenz dazu sich ein System ausdenkt, wie das Geld neu zu organisieren, das Einkommen neu zu verteilen sei usw., dann hebt man die grundlegende Voraussetzung nicht auf, sondern reproduziert sie nur auf einer weiteren Stufe. Deshalb sind ein interkultureller und interreligiöser Dialog in gegenseitiger Achtung und Toleranz die richtige Antwort auf dieses Problem. Denn zunächst ist der Gegensatz der vielfältigen Anschauungen und kulturellen Formen auf friedliche, im Diskurs ausgetragene Weise zu mildern, und es sind Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.
Eine Welt, die sich im Irrtum befindet, weil sie vom individuellen Interesse ausgeht und dies praktisch und alltäglich immer wieder neu begünstigt, kann nicht ohne Veränderung der grundlegenden Motivation verbessert werden. Der Buddhismus bietet hier einen doppelten Weg an: Zum einen das Geistestraining, das eine Kritik aller egoistischen, irrtümlichen Denkformen in den verschiedensten Erscheinungsformen zur alltäglichen Praxis macht. Dies ist vor allem die Methode der Schule des Mādhyamaka, des mittleren Weges. Dieser – nur auf den ersten Blick – »negativen« Methode stellt man zum anderen im Buddhismus das systematische Einüben von Mitgefühl zur Seite. Die Motive der Menschen sind nicht angeboren, sie sind nicht durch »das« Gehirn bedingt und auch nicht Produkt eines »gesellschaftlichen Seins«, das angeblich das Bewusstsein bestimmt. Motive der Menschen werden in der Erziehung, in der Schule und Hochschule, in den Medien und der Öffentlichkeit systematisch – wenn auch nicht bewusst – immer wieder neu im Geist der Menschen eingeübt. Die menschliche Motivation ist das Ergebnis eines unaufhörlichen Trainings. Nur haben wir als Trainer die verkehrten Vorbilder gewählt: den auf Erfolg getrimmten Manager, der eisern seine Ziele verfolgt (und andere niederkonkurriert); Leinwandhelden, die sich gegen andere (mit viel Gewalt) durchsetzen; Erzieher, die das Eigeninteresse fördern und eine Gemeinwohlorientierung als »Gutmenschentum« lächerlich machen oder gar Comicfiguren aus Computerspielen. Wirkliche Erziehung dagegen erfordert Menschen, die Mitgefühl kennen und systematisch eingeübt haben, die das Wissen um den Umgang mit eigenen Gedanken und Gefühlen auch als Wissenschaft vom Geist weitergeben können. Dies aber ist das Charakteristikum des buddhistischen Weges. Ohne eine systematische Erziehung zum Mitgefühl und zur durchaus kritischen Erkenntnis der eigenen und gesellschaftlichen Denkformen wird es keine wirkliche Verbesserung geben. Es werden nur immer wieder neu von einem fiktiven Zentrum aus Vorschläge zur Weltverbesserung, zur Geldreform, zur Umverteilung des Einkommens oder gar zur Abschaffung des Kapitalismus gemacht.
Im Abendland sind wir alle von der Tradition geprägt, die Platon begründete und die behauptet, dass die Wirklichkeit aus Ideen hervorgeht. Dieser Gedanke hat einen richtigen Kern; auch der Buddha sagt: »Durch das Denken wird die Welt geleitet; durch das Denken wird die Welt hin und her gezerrt. Das Denken ist das einzige, dessen Gewalt alle folgten.«5 Deshalb muss man das Denken von irrigen Gedanken reinigen. Und der wichtigste Irrtum ist die Ich-Illusion, die Vorstellung von Milliarden Menschen, sie seien – jeweils apart für sich – der Mittelpunkt der Welt und deshalb berechtigt, Gier und Aggression aus »Selbstinteresse« frei zu entfalten. Wenn man betont, man habe »Ideen«, die man verwirklichen wolle, so verkennt man die Struktur der Wirklichkeit und hält ein fiktives Zentrum fest, in dem die Idee und ihr Träger nicht mehr hinterfragt werden. Ideen sind einseitig und abstrakt; die soziale Wirklichkeit ist vernetzt,