es auch immer damit meint – umsetzen möchte, dann wendet man sich gegen diese Wirklichkeit. Hegel sagte einmal mit Blick auf die Französische Revolution: »Abstraktionen in der Wirklichkeit geltend machen, heißt Wirklichkeit zerstören.«6 Die Verwirklichung von Ideen, damit alle Vorschläge zur Weltveränderung, Programme zur Neuprogrammierung des ganzen Planeten, wollen diese soziale Wirklichkeit von außen gestalten und wenden sich darin gegen diese Wirklichkeit von anderen Ideen. Das ist der einfache Grund, weshalb »neue Ideen« dann in Konkurrenz zu anderen Ideen geraten, und ehe man es sich versieht, ist man verstrickt in Streit, bis hin zur Gewalt.
Eben deshalb ist das vorrangige ethische Prinzip im Buddhismus die Gewaltfreiheit und eng damit verknüpft die Toleranz anderen Anschauungen gegenüber. Der sozial engagierte Buddhismus7 – jedenfalls meinem, im vorliegenden Buch entwickelten Verständnis zufolge – hat keine »Idee« von einer idealen Gesellschaft, die man verwirklichen und in Konkurrenz gegen andere Ideen durchsetzen müsste. Er geht exakt den umgekehrten Weg und untersucht, weshalb die Gesellschaft nicht das Glück bietet, das sich die Menschen erhoffen, das die Medien verkünden und das zu erstreben als Menschenrecht gilt. Der Weg, anderen zu helfen, kann nur das Gespräch, das Argument und das praktische Vorbild sein, ohne anderen etwas Bestimmtes als Gesellschaftsform aufnötigen zu wollen. Hinweisen möchte ich darauf, dass – was übrigens neuerdings auch Hirnforscher mit Erstaunen entdeckt haben – sich die Motivation, die Einübung von Mitgefühl systematisch üben lässt, dass diese Übung schrittweise die Einübung von Egoismus, Ellenbogen und nichtigen Begierden, wie sie in der vorherrschenden Wirtschaftsform alltäglich in Werbung und Medien, in der Ausbildung und in den Wissenschaften propagiert wird zurückdrängen kann. Der Ort der Veränderung ist der fiktive Ego-Prozess, so paradox das zunächst klingen mag. Nur wenn jeder selbst und aus freien Stücken bereit ist, Achtsamkeit und Mitgefühl immer mehr zum Leitstern seines Lebens zu machen, wird sich die Gesellschaft von innen her, vom Denken her verändern. Nicht in eine vorgeformte Richtung, nicht als Verwirklichung einer gegebenen »Idee«; wohl aber verändert sich dadurch die Gesellschaft in ihrem Innersten, im Denken und Erleben der Menschen. Die äußeren Formen, Institutionen, Prinzipien oder Ideale spielen dann keine besondere Rolle mehr. In jeder Situation ist Befreiung und das Glück der Gelassenheit den Geschäften der Welt gegenüber möglich.
Welcher »Reformvorschlag« auch immer Mitgefühl und Achtsamkeit fördert, das Leiden vermindert, wird deshalb von sozial engagierten Buddhisten begrüßt werden. Sie selbst haben keine vorgefasste, einseitige Idee vom »Wesen der Gesellschaft«, außer der kritischen Einsicht, dass die Gesellschaft meist das Resultat von Egoismus und irrigen Auffassungen, eher selten von Gemeinsinn und Mitgefühl ist. Der Buddha hat den Menschen viele praktische Ratschläge in ihrer konkreten Lebenssituation gegeben. Dennoch hat er ausdrücklich keine Theorien, keine Ansichten oder Ideen über die Menschen und die Gesellschaft vertreten. Und Nāgārjuna, der Vater des Mādhyamaka, der Philosophie des Mittleren Weges, betonte immer wieder, dass er zwar helfe, Irrtümer bei anderen Denkformen zu durchschauen, selbst aber ausdrücklich keine Denkform vertrete.8 Darin liegt eine tiefe Weisheit, die westlichem Ideenglauben nicht leicht einsichtig zu machen ist: Wer eine bestimmte Idee oder Theorie (z. B. zur Reform der Wirtschaft) vertritt und verteidigt, der tritt dadurch in Konkurrenz zu anderen Ideen. Ideen unterscheiden sich von anderen, sie haben sozusagen ihr eigenes »Ego«, das man sich dann als Anhänger dieser Idee zu eigen macht. Der buddhistische Weg verläuft anders. Er nimmt den Ideen von innen ihren Ichkern und verhilft zur Erkenntnis der notwendigen Einseitigkeit jeder Theorie der Gesellschaft oder der Weltwirtschaft. Dieser Weg ist der Weg des Mitgefühls, der Achtsamkeit – ein Weg des Loslassens, nicht des Ergreifens von Ideen. Dann kann sich jeder in eine konkrete Wirklichkeit einfügen, ohne auf diese Wirklichkeit und ihre Gegensätze hereinzufallen und sich zu sehr beunruhigen zu lassen. Deshalb ist die buddhistische Wirtschaftsethik offen für alle konkreten Initiativen und Veränderungsvorschläge, offen für Zusammenarbeit in allen das Leiden mindernden Initiativen, solange nur die Menschen aus eigener Einsicht handeln und darin vor allem Toleranz anderen gegenüber üben. Im Buddhismus werden nicht Denkfehler toleriert, wohl aber betont diese Lehre das Mitgefühl mit Menschen, die ihnen erliegen. Dies ist die Praxis von Toleranz, Gewaltfreiheit, vernünftigem Argumentieren und liebender Güte allen lebenden Wesen gegenüber. Alles andere ergibt sich dann in jeder Situation des Alltags, motiviert durch diesen Geist, ganz von selbst – immer wieder neu, denn bleibend ist nur der Wandel.
Gröbenzell, 15. Dezember 2010
Zum Aufbau des Buches
Ich werde mich zunächst ausführlich mit dem beschäftigen, was eigentlich »Buddhismus« bedeutet (Kapitel 1 und 2), bevor ich ethische und ökonomische Fragen erörtere. Nach Klärung der philosophischen und psychologischen Grundlagen (Kapitel 2) ergeben sich ethische Lösungsvorschläge (Kapitel 3) und die Folgerungen für die Ökonomie als logische Konsequenz (Kapitel 4). Im fünften Kapitel wird daran anschließend das Verhältnis der buddhistischen Wirtschaftsethik zu anderen ethischen Systemen diskutiert. Die gewonnenen Einsichten erläutere ich im sechsten Kapitel an einzelnen Fragen der Wirtschaftsethik (Beruf, Führungsprinzipien, Bevölkerungs- und Familienpolitik, Konsum, Ökologie, Armut, Globalisierung etc.) und im siebten Kapitel zusammenfassend mit Blick auf Probleme des technischen Fortschritts und des Wirtschaftswachstums.
Vorab möchte ich noch darauf hinweisen, dass die Leserin und der Leser den Begriff »Leiden«, der immer wieder auftauchen wird, einfach auch mit »Erleiden ökonomischer Sachzwänge«, »Abhängigkeit von Sachzwängen« übersetzen kann.
Zugang
»Die unglücklich sind in der Welt, sie alle sind es
durch das Verlangen nach eigenem Glück.
Die glücklich sind in der Welt, sie alle sind es
durch das Verlangen nach dem Glück der anderen.«9
Die buddhistische Wirtschaftsethik in dem hier vorgestellten Verständnis verkündet keine Gebote oder Regeln, die man befolgen soll. Sie erklärt vielmehr, weshalb aus irrtümlichen Wahrnehmungen und Gedanken Handlungen entstehen, deren Konsequenzen Leiden verursachen. Aus der Erkenntnis der Ursachen ergeben sich Folgerungen für das wirtschaftliche Handeln. Um negative Konsequenzen für das Handeln zu beseitigen oder zu mildern, muss man die zugrunde liegenden Gedanken verändern. »Wenn man mit verblendetem Geist denkt und handelt, dann folgt das Leiden nach«, heißt es im ersten Vers der ältesten buddhistischen Spruchsammlung, dem Dhammapada. Somit rückt für eine buddhistische Wirtschaftsethik die Veränderung der Motivation und der Erkenntnis in den Mittelpunkt. Ansprechpartner ist hierbei jeweils das Individuum und sein Handeln; erst darauf gegründet lassen sich institutionelle Fragen beantworten.
Der Ausgangspunkt
Die Wirtschaft, so lautet eine alte Lehrbuchdefinition, umfasst alle menschlichen Handlungen, die der Produktion und Verteilung knapper Güter zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse dienen. Man kann weder sagen, dass die globale Wirtschaft diese Aufgabe erfüllt, noch lässt sich feststellen, dass die Ökonomie als Wissenschaft dazu gedient hat, das Allgemeinwohl der Menschen und anderer Lebewesen auf diesem Planeten besonders zu fördern. Sicherlich gibt es und gab es immer wieder Länder, wenigstens Regionen, die über einen sehr hohen Wohlstand verfügen und verfügten. Es gibt aber nur noch wenige Landstriche auf der Erde, in denen Tiere gemäß ihrer natürlichen Ausstattung leben können, und insgesamt zeigt unser Planet das Bild einer wachsenden Desorganisation der Ökosysteme, der