so genannte Neuroplastizität.
Die Kraft von Bewusstheit
Diesen Anspruch erfüllen die Übungen besonders deshalb, weil sie unter dem Vorzeichen der Achtsamkeit und der bewussten Innenschau stehen. Bewusstheit verändert alles. Tatsache! Jedes Mal, wenn Sie sich bewusst wahrnehmen und Ihren Fokus auf innere Qualitäten Ihres Körpers richten, bringen Sie Bewegung in Ihr Gehirn. Die dort angesiedelten Aufmerksamkeitsnetzwerke erfahren eine Adaptation. Auch wenn das ein Prozess ist, der durch langfristigere Impulse im Gehirn erst „Form“ annehmen muss, ändert dies nichts an der Tatsache, dass Bewusstheit zu einer Umorganisation der Hirnfunktionen führt und deshalb im Zuge der Schmerzintervention das Zünglein an der Waage ist.
Wir werden auf die fundamentale Kraft von Bewusstheit später noch zurückkommen. Für jetzt merken Sie sich am besten eines: Diejenigen Qualitäten, auf die Sie Ihre Aufmerksamkeit richten, bestärken Sie. Diejenigen Aspekte, die außerhalb Ihrer Bewusstheit liegen, die Sie vernachlässigen, ausblenden oder negieren, ziehen Sie aus inneren Verarbeitungsprozessen heraus. Genau: Wohin Ihre Aufmerksamkeit fließt, dort entfachen Sie die meiste Aktivität in Ihrem Gehirn.
Auf dieser Grundlage verursacht ein bewusster Fokuswechsel eine Umstrukturierung auch derjenigen Gehirnbereiche, die unter anderem in die Produktion von Schmerzen involviert sind. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass das Einschleusen von Bewusstheit in Ihr Leben der Beginn einer besseren Schmerzverarbeitung ist. Nach zwei Jahrzehnten Hirnforschung zu den Wirkungen der achtsamkeitsbasierenden Innenschau ist das keine Hypothese mehr, sondern ein längst etablierter Fakt.
Damit das nicht als bloße Theorie stehenbleibt, werden Sie anhand zahlreicher Techniken und Methoden erfahren, wie sich die beiden Vorgänge, die der Schmerzverarbeitung und die der Meditationspraxis, in Ihrem Organismus „mixen“ und wie sich das in Ihrem Körperempfinden bemerkbar macht.
„Oje …“, seufzen Sie jetzt womöglich. „Jetzt muss ich auch noch das Gehirn verstehen.“ Aber nein, das müssen Sie nicht, jedenfalls nicht im Detail. Dazu bräuchten Sie einen Magnetresonanztomografen, der Ihre Gehirnleistungen aufzeichnet, damit es für Sie optisch nachvollziehbar wird. Weil ein solcher vermutlich nicht zu Ihrer Wohnungseinrichtung zählt, besteht Ihr Part darin, zunächst einmal determiniert zu üben und so viel Achtsamkeit und Körperbewusstsein wie möglich zu entwickeln.
Die Bewusstheits-Aufwärtsspirale
Gewissermaßen steigen Sie in einen Wahrnehmungskreislauf ein: Sie versorgen Ihr Gehirn mit achtsamkeitsbezogenen Informationen, mit „Brain food“ sozusagen, und beobachten aufmerksam, was geschieht. Sie nehmen wahr, welche Reizantworten Ihr Körper empfängt, und je nachdem, wie sie ausfallen, passen Sie diese an die darauffolgende Impulsgebung an. Übend erzeugen Sie gehirnaffine Reize, empfangen Feedbacks und spüren, was geschieht. Mit jedem „Response“ lernen Sie hinzu und werden sicherer in Ihrem Vorgehen. Dabei bekommen Sie ein Gefühl dafür, auf welche Art von Impulsen Ihr Organismus besonders positiv anspricht, was ihm behagt und was ihn stimuliert.
Schmerzamplituden
Und Ihr Schmerz? Ja, auch dieser wird antworten. Obwohl er nicht im Mittelpunkt des unmittelbaren Geschehens steht, stimmen als willkommener „Nebeneffekt“ auch Ihre Beziehung zu ihm, seine Routine und sein Charakter in die Veränderungen ein. Wie das im Einzelnen geschieht, kann ich Ihnen nicht vorhersagen. Es mag sein, dass Ihr Schmerz sofort die Sachlage erkennt und sich zum Rückzug entschließt. Oftmals passiert es, dass er sich Zeit lässt und klare, lange Informationen braucht, bevor er sich adaptiert. Und es kommt auch vor, dass er unschlüssig reagiert und zunächst Schwankungen unterliegt.
Zu Beginn von Bewusstheitsarbeit haben manche meiner Klienten das Gefühl, der Schmerz rücke stärker in den Vordergrund als je zuvor. Doch wenn das passiert, ist es der Entwicklung von Bewusstheit geschuldet: Wenn Sie sich einer Sache bewusst werden, heißt das, dass Sie von dieser stärker Notiz nehmen, und dazu gehören auch die Details von Schmerzprozessen. Sobald das Gehirn aber die innere Neuausrichtung akzeptiert hat, beginnt es Vorgänge der Schmerzverarbeitung zu revidieren. Und das geht dann auch in Ihr Bewusstsein ein.
Aus meiner Erfahrung heraus kann ich eines sagen: Schmerzen modulieren sich am klarsten, sobald Sie ein echtes Gefühl für die „Erfahrung Meditation” als inneren Zustand der Stille und Nicht-Identifikation entwickeln. Nicht durch die Meditationsübung als solche, sondern durch Distanz zu intern ablaufenden Prozessen, wie Gedanken, Emotionen und Gefühlen halten Sie das Rad Ihrer Schmerzhistorie an.
Den Schlüssellochblick weiten
Im Zuge dieses Prozesses ergibt sich für Sie aber noch ein weiterer Schritt: Indem sich Ihr Schlüssellochblick auf den Schmerz weitet, dehnen Sie ihn auf sich als ganzen Menschen aus. Indem Sie immer klarer fühlen, dass Ihre Wahrnehmungswelt nicht ausschließlich aus Schmerzen besteht, zieht eine neue Lebendigkeit in Ihren Körper ein. Sie entdecken, dass Sie viele schmerzfreie Areale zum Benutzen, Fühlen und Agieren haben, die vom Schmerz überschattet wurden und in Vergessenheit geraten sind.
Und mehr: Gerade weil sich Ihr Blick auf sich selbst verändert, werden Sie innerhalb des 30-Tage-Programms erfahren, wie es ist, als „ganzer“, vollkommener Mensch im Scheinwerferlicht der Intervention zu stehen. Sie verlassen den „Patientenstatus“ und werden ein Leben ohne ihn rasch als vollkommen normal empfinden.
Das Boot kielen
Doch nun zur Vorbereitung des Programms. Es ist gut, wenn die beschriebene Vorausschau bereits zum Einstieg in Ihre Entscheidungen einfließen kann. Selbst wenn Ihnen auf das Gehirn bezogene Begriffe noch fremd sind und meine Gewichtungen in Ihnen Zweifel ausgelöst haben sollten, wissen Sie nun, dass die bewusstheitsorientierte Schmerzintervention ein Unterfangen ist, das Ihre Fürsorge und ein hohes Maß an Aufmerksamkeit braucht. Und dies beginnt bereits vor dem Start. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass die Hälfte des Gelingens bereits in einer achtsamen Vorbereitung liegt. Je genauer Sie sich auf das Programm einstellen und die richtigen Entscheidungen im Vorfeld treffen, desto reibungsloser wird sein Verlauf sein.
Vergleichen Sie die dreißig Tage eher mit einer Kreuzfahrt, für die Sie das Schiff gut kielen müssen, statt mit einer schnellen Bootstour, die mit einem spontanen Losmachen des Bootes vom Ufer beginnt. Genauso, wie Sie ein Retreat, einen Kuraufenthalt oder eine Urlaubsreise im Voraus planen, steht das auch dem Schmerzprogramm zu. Hier ist es fast noch wichtiger, weil Sie es möglicherweise inmitten Ihres Alltags absolvieren und deshalb viel mehr unter einen Hut zu bringen haben, als wenn Sie losgelöst von den üblichen Verpflichtungen sind.
Reisen oder zu Hause bleiben?
Ihre „Schmerzkurreise“
Verreisen könnten Sie tatsächlich in Erwägung ziehen. Zweifellos sprechen viele Gründe dafür, das Schmerzprogramm mit einem Orts- und Klimawechsel zu verbinden. Schauen Sie, ob die folgenden Faktoren bei Ihnen auf fruchtbaren Boden fallen.
Vielen Klienten ist klar, dass das Zuhausebleiben während des Programms handfeste Risiken birgt. Das vertraute Umfeld ist gespickt mit Ablenkungen und Pflichten. Termine rufen, die Tagesroutine kostet Energie und Kraft, Job und Familie vereinnahmen einen Großteil Ihrer Zeit. Falls Sie in einem eng getakteten und überfrachteten Leben stecken, kann das Verreisen während des Schmerzprogramms tatsächlich eine ernsthafte Überlegung wert sein.
Und das hat auch „neuronale“, also gehirnspezifische Aspekte: Wenn ein Ortswechsel und damit ein Heraustreten aus dem gewohnten Lebensumfeld mit einem inneren Befreitsein, mit einem Akt des Aufatmens verbunden ist, setzen Sie gegenüber Ihrem Nervensystem bereits einen klugen Auftakt, einen aufrüttelnden Paukenschlag sozusagen, der Ihr Gehirn vom In-Gang-Setzen andersartiger Impulse informiert.
Eine solche Entlastung von häuslichen und beruflichen Pflichten kann gleichzeitig zu einer enormen emotionalen Erleichterung führen, die Ihnen Rückenwind gibt. Insbesondere für Eltern kleiner Kinder oder für beruflich stark eingespannte Menschen, die wissen, dass sie im Rad ihres Alltags kaum ein Fünkchen Ruhe haben, könnte das von Vorteil sein.
Klimawechsel
Für einen Ortswechsel spricht außerdem, dass einige Klienten in der Ferne, in einem anderen Klima und losgelöst von Verpflichtungen generell