und wie sie in eben diesem Zusammenhang auch heilen können. Darüber hinaus wäre es die wunderbarste Sache der Welt, wenn Fachkräfte zusammenarbeiten könnten und trotz Spezialwissen den Organismus des Menschen im Auge behalten. Der Nachholbedarf auf diesem Gebiet scheint mir akut zu sein, doch die Praxis hinkt weit abgeschlagen hinterher.
Weiter geht’s mit dem Leergießen Ihres Glases und dem Empfänglichmachen für den Grundsatz Nummer vier:
Verabschieden Sie sich von der Vorstellung, dass Ihre Physis in abgrenzbaren Behandlungsgebieten und im Puppenkörpersystem behandelbar ist. Ihr Organismus funktioniert als Einheit und Meditation spricht diesen als Einheit an.
5. Sie sind ein Mensch
Noch immer sind wir mit dem Teilen und Zerstückeln des Menschen befasst. Nicht nur unser physischer Körper wird in Teile zerlegt, sondern der ganze Mensch mit seinen verschiedenen Anteilen: in eine Materie, die der Körper ist, in den Geist, der die mental-kognitive Welt repräsentiert, und in die Psyche, die die emotionale Welt beschreibt. Obwohl wir heute fast schon gewohnheitsmäßig über die „Einheit von Körper, Seele und Geist“ lesen und das Wort „ganzheitlich“ ein selbstverständlich benutzter Begriff ist, heißt das nicht automatisch, dass diese Einheit auch im Praktischen greift. Ich erlebe immer wieder, dass vielen Menschen nicht einmal klar ist, worin genau diese Einheit besteht. Wo genau spielt sich diese Einheit denn ab? Und WIE fühlt sich diese Einheit WO an?
Wenn diese Fragen unbeantwortet bleiben und praktische Erfahrungen fehlen, zerplatzt das Hervorheben von Ganzheitlichkeit wie eine Seifenblase. Es bleibt weiterhin im Dunkeln, was es bedeutet, eine „Einheit“ zu sein, ganz zu schweigen von der Frage, wie diese herzustellen ist, wenn sie denn fehlt.
Das heißt dann eben auch, dass Schmerz kategorisiert wird und eine Schublade braucht. Ist er strukturell oder funktionell bedingt, als psychosomatisch eingestuft oder mental gewachsen? Klienten fühlen sich erfahrungsgemäß am wohlsten, wenn der Körper allein im Fokus der Intervention steht. Die psychosomatische Schiene kommt wesentlich schlechter an und der mentale Aspekt ist am allerwenigsten beliebt. Wer will schon als mental retardiert gelten oder im Zusammenhang mit fehlender Selbstkontrolle gesehen werden?
Doch wie sieht die Realität aus? Seien Sie ehrlich: Wenn Ihre Schmerzen aufdrehen, können Sie kaum die Beobachtung aufrechterhalten, dass Ihre Schmerzempfindung eine rein physische Angelegenheit ist. Denn das hieße, dass Ihre emotionale Welt unbehelligt und Ihre mentale Verfassung unbeeinflusst bliebe. Ich kenne nicht einen einzigen Menschen, der rein körperliche Beschwerden hat. Schmerz involviert immer den ganzen Menschen mit allen Anteilen, den physischen, den psychischen und den mentalen. Und weil das so ist, dürfen wir den Schmerz nicht grundsätzlich auf die Physis begrenzen und die anderen Anteile als Zusatzkomplikationen sehen. Wenn wir die drei Aspekte als selbstverständliche Faktoren im Schmerzgeschehen verstehen, ganz gleich, ob sie ursächlich oder als Folge daran beteiligt sind, haben wir überhaupt erst die Chance einer erfolgreichen Schmerzintervention.
Gießen Sie Ihr Glas weiter aus und beherzigen Sie den Grundsatz Nummer fünf:
Verabschieden Sie sich von der Vorstellung des gedrittelten Menschen, der in physische, mentale und psychische Anteile zerlegt ist. Sie sind ein ganzer Mensch. Durch Meditation wird sich dies auch in Ihrer Wahrnehmung etablieren.
6. Gesundheitsdefinition
Und schließlich bringt uns der Gedanke an die Einheit von Körper, Seele und Geist zum Thema Gesundheit, denn darum geht es hier ja eigentlich. Von Schmerzen betroffene Menschen wünschen sich nichts mehr, als sich wieder gesund zu fühlen. Und da kommt die Frage auf, was es denn eigentlich heißt, gesund zu sein.
Doch beim Thema Gesundheit kommen wir noch mehr mit unserem herkömmlichen Medizinlatein in Konflikt. Ist ein Mensch gesund, wenn er frei von Beschwerden und ärztlicher Hilfe ist? Und fühlt er sich dann auch so, nämlich rundum gesund? Ist jemand gesund, der zwar keine sicht- und messbaren Beschwerden hat, sich aber mit Beruhigungsmitteln gerade so über Wasser hält? Ist jemand gesund, der im Berufsleben erfolgreich ist, aber zu Hause einen Wutanfall nach dem anderem kriegt? Ist jemand, der mit einem angespannten Rücken Tag für Tag durchhält, gesünder als jemand, der mit anfänglichen Knieschmerzen nach Hilfe sucht? Ist ein positiver und Optimismus vorgebender Mensch, der zu Hause depressiv absackt, gesünder als jemand, dem seine Depression ins Gesicht geschrieben steht? Und ist jemand gesund, der sich mit einem makellosen Gesundheitscheck ständig müde und ausgepowert fühlt?
Wir sollten darüber nachdenken, was Gesundsein im Einzelnen heißt, und klar definieren, dass ein Mensch mit Schmerzen nicht automatisch krank sein muss. Die Diagnose „Schmerzkrankheit“ möchte ich hier hinterfragen.
Gießen Sie jetzt weiter, aber lassen Sie noch ein paar Tropfen drin! Hier ist der Grundsatz Nummer sechs:
Entlassen Sie alle hinkenden Gesundheitsdefinitionen aus Ihrem Wertegerüst. Auch wenn Sie in Ihrer Patientenakte als „chronisch schmerzkrank“ gelten, muss das keine Krankheit sein.
7. Individualität
Wenn ich eins im Laufe meiner Praxisjahre im Zusammentreffen mit Schmerzklienten gelernt habe, dann ist es, dass Schmerz eine absolut individuelle Sache ist. Das ist sie sogar dann, wenn Beschwerden in ein und derselben Körperregion lokalisiert sind. Ich habe mir extra für das Schreiben dieses Buches noch einmal meine Klientendateien der letzten Jahre durchgesehen und versucht, Parallelen zu ziehen, aber es ist mir nicht gelungen. Wenn sich eine Sekretärin mit ihrer Chefin über Schulter-Nacken-Schmerzen unterhält, ein Notar mit einem Möbelpacker über Lumbalbeschwerden fachsimpelt oder ein Student mit einer Friseurin über Spannungskopfschmerzen spricht, wird sich das mit hoher Wahrscheinlichkeit auf sehr unterschiedliche Sachverhalte beziehen.
Besonders klar wird mir das, wenn ich mir die konkreten Beschreibungen ansehe, mit denen Klienten ihr Empfinden zum Ausdruck bringen. Während einige von ihnen sagen, dass ihre Schmerzen stechen, bohren, schneiden, pulsieren, sägen, hämmern und brennen, werden sie von anderen als klirrend, ziehend, wund, spitz, dröhnend, dumpf, messerstich-, kolik- oder nesselartig erlebt. Sie können hell oder dunkel sein, sich sprunghaft, schubhaft, wellenförmig und impulsiv benehmen, sie können aufflammen, ausstrahlen, aufheulen, sich einschleichen oder explodieren. Oftmals enthalten sie emotionale Bewertungen, indem sie lauern, drohen, quälen, zermürben, zermartern, einen beherrschen, nerven oder geißeln oder indem sie schlichtweg nur die Hölle sind. Weil das so ist, lösen Schmerzen auch individuelle Reaktionen aus: Sie veranlassen jemanden, den Atem anzuhalten, aufzugeben, fast durchzudrehen, in die Knie zu gehen, verzweifelt oder am Ende aller Kräfte zu sein.
Es ist Augen öffnend, wie unterschiedlich Schmerzerfahrene ihre Beschwerden erleben. Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, dass Schmerzerleben ein niemals gleiches, sondern höchst differenziertes Empfinden ist. Deshalb: Vergleichen Sie Ihren Schmerz niemals mit dem anderer, selbst dann nicht, wenn er gleich lokalisiert sein sollte, zur selben Zeit aufkommt oder sich in ähnlichen Schüben zeigt. Schmerzerleben ist immer individuell. Es braucht deshalb auch einen maßgeschneiderten Lösungsansatz und dieser entwickelt sich besonders gut vor dem Hintergrund von Meditation.
Gießen Sie nun den Rest des Glases leer. Grundsatz sieben lautet:
Denselben Schmerz als solchen gibt es nicht. Ihr Schmerz ist einzigartig, unvergleichbar und individuell. Meditationspraxis holt Sie genau dort ab, wo Sie sind.
Das „Meditationsglas” leergießen
Missverständnisse klären
Nachdem Sie das „Schmerzglas” geleert haben und vielleicht an einigen konservierten Auffassungen rund um die Schmerzintervention rütteln mussten, pirschen wir uns an das zweite an, das „Meditationsglas”. Aufgrund meiner Erfahrung ist mir bewusst, dass dieser Schritt schmerzgewohnten Menschen noch mehr Elastizität abverlangen kann, als sich von den klassischen Prinzipien der konventionellen Schmerztherapie zu lösen. Wenn ich nämlich in Gesprächen mit schmerzerfahrenen Klienten das Wort „Meditation” verwende, passiert es gar nicht so selten, dass mein Gegenüber stiller, oftmals distanzierter oder steifer wird.
„Oje …“,