noch einen Unterschied gibt’s: Ich bitte Sie, die Größe Ihrer beiden Gläser Ihrer persönlichen Situation entsprechend zu wählen. Während ich mit einem kleinen Wasserglas auskommen musste, dürfen Sie Ihr Glas in einer angemesseneren Größe wählen. Bedenken Sie dabei Folgendes: Je langwieriger Ihre Schmerzgeschichte ist, je mehr Erfahrung Sie mit gescheiterten Schmerztherapien haben, je länger Sie Medikamente in hohen Dosen einnehmen und je fester Ihre Überzeugung in Ihrem Denken einbetoniert ist, dass Schmerzlösung auf eine bestimmte Weise zu geschehen hat, desto größer sollte Ihr Gefäß sein. Und weiter: Je misstrauischer Sie diesem symbolischen Akt gegenüberstehen und je mehr Sie ihn als Unsinn abtun, desto bewusster und langsamer sollten Sie den Akt des Ausgießens gestalten. Denn je skeptischer Sie einem bloßen „Spiel“ gegenüberstehen, desto misstrauischer werden Sie auch sein, wenn es zum Meditieren, zum Schließen Ihrer Augen und zum Wenden Ihres Blickes nach innen geht.
Es ist nun mal so, ob bei Schmerzen, in der Meditation oder im Leben: Neue Wege bahnen sich nicht, wenn am Althergebrachten, an denselben ausgetrampelten Wegen, an den ewigen Gewohnheiten nicht gerüttelt wird. Wenn Sie einen neuen Weg wie den des auf Bewusstheit basierenden 30-Tage-Programms einschlagen möchten und sich danach sehnen, das Blatt Ihrer Schmerzgeschichte zu wenden, liegt es nahe, dass Sie alte Pfade verlassen und einen Strategiewechsel in Betracht ziehen. Mit dem Kopf immer wieder gegen dieselbe Wand zu laufen, ist schmerzhaft. Dieselben oder sich ähnelnde Runden im Therapiekarussell zu drehen, erschöpft. Es wirft Sie bezüglich Ihres Schmerzempfindens zurück, wobei jeder fehlgelaufene Therapieversuch Ihr Gehirn noch weiter in die Schmerzproduktion drängt.
Also schaufeln wir jetzt den Weg für ein neues Vorgehen frei. Fangen wir an!
Das „Schmerzglas“ leergießen
Das Ritual
Bei all dem habe ich natürlich einkalkuliert, dass Sie womöglich gerade kein Glas zur Verfügung haben, weil Sie im Flugzeug, in der Bahn, am Strand, im Warteraum der Osteopathiepraxis oder bei Starbucks sitzen und lesen. In diesem Fall sollten Sie den Akt des Ausgießens keinesfalls verschenken. Visualisieren Sie ihn! Lassen Sie diesen Akt und seine zweimal sieben Aspekte mit größter Bewusstheit vor Ihrem geistigen Auge vorüberziehen. Genau, Sie lesen richtig: zweimal sieben Aspekte. Wir gehen beim Leermachen in vierzehn Schritten vor, um keinen der Faktoren zu vergessen, die Ihnen später beim Praktischwerden ein Bein stellen könnten. Lassen Sie uns hier wirklich pedantisch sein und teilen Sie Ihr Wasser gut ein. Sie werden staunen, wovon Sie sich verabschieden dürfen.
1. Der Kampf gegen den Schmerz
Sobald Schmerzen im Körper auftauchen, sei es nach einer Verletzung, nach einem Unfall, einer Operation oder auch ohne offensichtlichen Grund, verhält es sich häufig so, dass das Gewebe irgendwann abheilt, die Schmerzen abklingen und vergehen. Dieser Heilungsprozess nach einem akuten Schmerzgeschehen, der gewissermaßen eine Schutzreaktion des Körpers darstellt, ist gut nachvollziehbar und allgemein bekannt.
Wenn sich Schmerz jedoch im Körper einzunisten beginnt, wenn er bleibt und dann nach etwa drei Monaten die Rede von „chronischen Schmerzen“ ist, kippt das Geschehen recht schnell und wird zum Gefecht: Der Schmerz ist plötzlich ein Gegner. Er ist der Feind, der auf der anderen Seite der Frontlinie steht. Ein Heer aus Therapeuten, Ärzten, Schmerzspezialisten, Operateuren, Pharmazeuten, Psychologen bietet sich an, um ihn offensiv in die Flucht zu schlagen und zur Kapitulation in die Knie zu zwingen.
Und dabei passiert eines: Je hartnäckiger er ist, der Schmerz, je mehr Widerstand er leistet, desto mehr rüstet man auf und desto massiver gestaltet sich der Einsatz der Waffen, mit denen er bekämpft wird. Das Szenario gleicht einem nicht endenden Gemetzel. Ihr Körper ist der Kampfplatz und der Vernichtungsgedanke steht im Mittelpunkt Ihrer Intervention.
Wenn Sie zu denjenigen Schmerzbetroffenen zählen, die sich mit diesem kämpferischen Ansatz voll und ganz einverstanden erklären, weil Sie ihn für sinnvoll, logisch und nachvollziehbar halten, möchte ich Ihnen diesen Weg keineswegs streitig machen. Nur wird es dann schwer für Sie, hier weiterzulesen. Weder intelligente Schmerztherapie noch Meditationspraxis haben mit Kämpfen etwas zu tun.
Falls Sie aber schon des Öfteren das Gefühl hatten, dass mit dieser gefechtsbetonten Vorgehensweise irgendetwas nicht stimmt, dass mit dem Dagegenhalten, mit dem „Kampf gegen …“ etwas verkehrt läuft, weil Ihre Angriffe kaum erfolgreich gewesen sind oder zu noch mehr Schmerzen geführt haben, dann liegen Sie richtig. Und falls Sie außerdem im Therapiedschungel schon viele Leerkilometer gelaufen sind, viele Duelle ausgefochten und doch verloren haben, möchte ich Ihnen hier das Ende des Kampfes verkünden. Legen Sie die Waffen nieder und lehnen Sie sich zurück. Genau. Lehnen Sie sich so entspannt wie möglich zurück.
Der Verzicht auf den Kampfgedanken wird in der Meditationspraxis eine zentrale Rolle spielen. Noch viele Male werde ich Sie daran erinnern, dass das physische Bekämpfen des Körpers, einschließlich des Schmerzes, weder zu einem positiven Körpererleben noch zu einer tiefgreifenden Meditationserfahrung führt. Wenn sich Meditationspraxis in den „Kampfakt gegen …“, gegen das Symptom, gegen die Pein, gegen den Stress, gegen Spannung, Rastlosigkeit oder Sorge einreihen würde, bliebe sie fruchtlos und stände heute nicht im Mittelpunkt der Forschung. Das tut sie, weil sie neutralisierend über jegliche Form des Bewertens und Polarisierens hinausgeht.
Das Fazit: Meditation als „Mittel gegen …“ funktioniert nicht. Sobald Sie sich gegen Ihren Körper ausrichten, ob in Phasen der Heilung, innerhalb der Selbsterfahrung oder beim Meditieren, es geht immer schief! Nehmen Sie jetzt Ihr Glas zur Hand und gießen Sie den ersten von sieben Güssen aus. Notieren Sie einen Grundsatz, den wir später im Einzelnen weiterverfolgen werden:
Der Schmerz ist nicht Ihr Feind. Sehen Sie ihn als Partner und kooperieren Sie mit ihm, damit sich Lösungen ergeben.
2. Das Symptom „Schmerz“ verstehen
Der erste Grundsatz bringt uns direkt zum zweiten: Wenn Sie den Schmerz zum Feind erklären, bringt das mit sich, dass er lokal an Ort und Stelle im Körper bekämpft wird. Im Krieg wird das genauso gemacht: Dort, wo sich das Hauptquartier des Feindes befindet, findet der Angriff statt, dort wird bombardiert. Ebenso ist es in der Medizin: Wo der Schmerz tobt und lauert, wird er beschossen, dort wird therapiert.
Und ja, dieser klassisch-konventionelle Ansatz leuchtet ja auch ein. Der Nacken tut weh, also wird der Nacken entblockt, gerenkt, massiert und manipuliert. Der Tennisellenbogen wird an Ort und Stelle weggespritzt oder eingegipst, das rheumatisch entzündete Gelenk kriegt Cortisonspritzen und wenn das arthrotische Knie schmerzt, wird es arthroskopiert. Im Zweifelsfall gibt’s ein neues.
Doch auch wenn dieses Vorgehen für einige Menschen eine Hilfe ist, unterliegt ihm ein fundamentaler Irrtum, der im Zuge von Meditation nur gegen den Baum laufen kann: In diesen beiden Denkansätzen, dem des Feindbildes und dem des symptomorientierten Herangehens, ist der Fokus einzig auf das Symptom in Bezug auf eine anatomische Struktur gerichtet, auf das schmerzende Areal. Das Gelenk ist der Bösewicht, die Bandscheibe, der zerstörte Knorpel und der eingeklemmte Nerv. Diese Strukturen tun weh, also gehören sie in den Fokus der Intervention.
Doch: Unser Körper ist kein aus Teilen zusammengesetztes Ding. Unser Körper ist ein Riesenmechanismus, ein Organismus, in dem alle Teile zusammenarbeiten und miteinander in Abstimmung funktionieren. Fakt ist deshalb, dass unser Körper als System funktioniert und langfristig gesehen auch nur als System beeinflusst werden kann. Und mehr: Es geht bei allem ja auch um Nachhaltigkeit, um die Langlebigkeit des Resultats. Ich weiß, die meisten Schmerzerfahrenen blenden diesen Aspekt schnell aus, weil ihnen ein rasches Ende ihrer Beschwerden zunächst einmal wichtiger erscheint.
„Wie soll das gehen, den Fokus der Intervention von der schmerzenden Stelle wegzuleiten?“, fragte mich erst kürzlich eine Teilnehmerin eines Trainings.
Weil ich diese Skepsis sehr gut kenne, werde ich alles daransetzen, Sie mit einer anderen, mit der „systematischen“ Sichtweise vertraut zu machen. Durch das Ansprechen des ganzen „Systems Mensch“ mit seinen natürlichen Funktionen können Sie den Schmerzherd viel effizienter beeinflussen. Dies geschieht über eine gezielte Kommunikation zwischen dem Körper und dem Chef des Nervensystems, dem