Pete Hackett

Die Revolverreiter von Dodge City: Western Bibliothek 10 Romane


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den Revolver aus der Faust. Torrence fluchte erstickt und prallte einen Schritt zurück. Gregs Rechte zuckte zur Holster, und im nächsten Augenblick war sein 45er auf den Vormann angeschlagen.

      „Lee!“, rief Carney mit einem besorgten Unterton. „Was ist los, Lee?“

      „Kommen Sie ruhig näher, Carney!“, antwortete Greg an Torrences Stelle.

      Der Vormann stand mit vorgezogenen Schultern da und funkelte Greg hasserfüllt an. Drüben am Rand der ruhenden Longhorn Herde setzte das Hufeklopfen wieder ein. Rick Carney kam zögernd näher – ein Zeichen, dass er wachsam und misstrauisch geworden war.

      Greg ließ Torrence nicht aus den Augen.

      „Well“, sagte er hart, „dein Spiel ist aus, ehe es richtig begonnen hat, Torrence!“

      Lee Torrences Wangenmuskeln arbeiteten. Er flüsterte heiser: „Irrtum, Williams! Du wirst nichts verraten! Es wird ganz so sein, als hättest du nichts gehört!“

      Die Sicherheit, mit der er das vorbrachte, beunruhigte Greg.

      „Torrence, du meinst doch nicht im Ernst, dass ich jetzt noch schweigen werde! Du und deine Banditenfreunde – ihr wollt diese Herde kassieren. Und ich soll dabei tatenlos zusehen? Nein, mein Lieber, eigentlich solltest du mich ja besser kennen! Oder glaubst du, ich werde nicht reden, weil ich fürchte, dass man mir nicht glaubt?“

      „Es gibt einen besseren Grund, dich am Reden zu hindern!“

      Greg merkte, wie sein Herz härter zu pochen begann. Er erinnerte sich daran, dass Torrence und Brod vorher auch über ihn gesprochen hatten, nur hatte er ihr Geflüster nicht verstehen können.

      „Mit einem Bluff kommst du nicht weiter!“, erwiderte er kalt.

      Carneys Gestalt schälte sich bereits schwarz aus der Nacht. Er hielt die Zügel straff und hatte ein Gewehr vor sich auf den Sattel gelegt.

      „Ich bluffe nicht!“, zischte Torrence. „Ich sage dir nur eines: Ich weiß über dich Bescheid!“

      Für einen Moment drohte Gregs Herzschlag auszusetzen.

      „Und?“, fragte er heiser.

      „Was – und?“ Torrences Stimme besaß plötzlich einen höhnischen Unterton. „Brod war in Austin, Williams. Er weiß, warum Jim Kinross und seine Leute dich jagen. Du wirst als Mörder gesucht, Williams, als gemeiner, feiger Mörder!“

      „Ich habe diesen Mord nicht begangen!“

      „Welche Rolle spielt das denn? Williams, Brod sagte, dass er deinen Steckbrief gesehen hätte. Zweitausend Dollar – tot oder lebendig! Bald wird man in ganz Texas Jagd auf dich machen! Deshalb hast du dich uns doch angeschlossen, wie? Um aus Texas herauszukommen!“

      Er verschränkte selbstsicher die Arme vor der Brust und achtete gar nicht mehr auf den schussbereiten Colt in Gregs Faust.

      „Was denkst du, geschieht, wenn ich die anderen über dich aufkläre, he?“

      Carney war nur noch wenige Yard entfernt.

      „Lee, ist Williams bei dir?“

      „Ja, Rick! Komm nur näher. Es ist alles in Ordnung!“ Und zu Greg gewandt: „Los, weg mit dem Schießeisen, Williams, oder ich garantiere dir dafür, dass man dir als Mörder einen Strick um den Hals legt.“

      Greg begriff, dass in diesen Sekunden eine bedeutende Entscheidung fiel. Aber er hatte keine andere Wahl. Torrence hatte ihn in der Hand. Mary Lockwood und Mike Tipstone hatten ihm in Austin nur geholfen, weil sie in der Kinross Crew eine Horde skrupelloser Menschenjäger erkannt hatten. Wenn sie aber erfuhren, dass er ein steckbrieflich Gesuchter war, würden sie ihn nicht länger schützen und Wert darauf legen, dass er sich an dem Herdentrail beteiligte. Und dann waren da die zweitausend Dollar Kopfgeld! Er kannte die Cowboys der Lockwood Ranch noch nicht gut genug, um zu wissen, ob sich nicht der eine oder andere von ihnen diese Belohnung verdienen wollte!

      Während Carney die letzte Strecke zurücklegte, schob Greg den Colt in das Holster zurück. Über Torrences kantiges Gesicht lief ein triumphierendes Lächeln.

      Carney blickte argwöhnisch auf Greg nieder.

      „Hat er dir Schwierigkeiten gemacht, Lee?“

      „Dazu ist er nicht groß genug, Rick!“, lachte Torrence leise, und wieder hörte Greg diesen beißenden Hohn in seinem Tonfall.

      „Nein, nein, Junge, sei ganz unbesorgt. Williams und ich haben uns eben geeinigt, verstehst du? Wir haben die Friedenspfeife miteinander geraucht, nicht wahr, Williams?“ Wieder dieses Lachen, das eine Welle des Zorns durch Greg trieb.

      Torrence klopfte Greg jovial auf die Schulter.

      „Übrigens, Rick“, sagte er zu dem jungen Cowboy, „es ist schon nach Mitternacht. Zeit, dass du abgelöst wirst. Williams wird deine Herdenwache übernehmen. Du kannst ihm deinen Gaul geben. Wir gehen ins Camp zurück.“

      Carney schwang sich aus dem Sattel und warf Greg die Zügel zu. Torrence grinste Greg spöttisch an, dann schlenderte er zusammen mit Carney zum Camp hinüber. Mit einem Gesicht, das wie eine holzgeschnitzte Maske wirkte, schaute Greg Williams ihnen nach.

      *

      Wie eine große Walze bewegte sich die Herde nach Norden – dreitausend Rinder, eingehüllt in eine mächtige Wolke aus gelbem Staub. Die Erde schien unter dem Gestampfe der vielen Hufe zu erzittern. Tosender Lärm erfüllte die Luft: Hufgedröhn, Hörnerklappern, Rindergebrüll und Pferdewiehern, die heiseren Rufe der Treiber und gelegentliche Revolverschüsse, mit denen ausbrechende Stiere zurückgeschreckt wurden.

      Voraus schaukelte der Küchenwagen, dessen Plane weiß im Sonnenglast leuchtete. Auf dem Bock schwang Noel, der Koch, die Peitsche, auf der Suche nach dem nächsten Lagerplatz, wo er schon mit den fertigen Mahlzeiten auf die abgehetzten Reiter warten würde.

      In einem Abstand von einer halben Meile hinter der Herde, um nicht in den dichtesten Staub zu geraten, trieb die junge Mary Lockwood die Reservepferde. Die Arbeit mit der Remuda wurde üblicherweise stets dem jüngsten Mann einer Treiber Crew übertragen. Und da die Lockwood Mannschaft ohnehin nicht groß war, hatte das Mädchen diese Aufgabe übernommen.

      Sie saß wie ein Mann im Sattel, in Jeans und derbem Reithemd, ein Halstuch vor die untere Gesichtshälfte gebunden, um die Atemwege vor dem lästigen Staub zu schützen. Aus der Ferne war sie nur an der goldenen Flut der lang herabwallenden Haare zu erkennen.

      Lee Torrence hielt sich meistens neben dem Leitstier an der Herdenspitze. Die anderen Reiter – Dillon, Tipstone, Carney und Greg – waren auf die Flanken verteilt, unablässig damit beschäftigt, ausbrechende Rinderrudel zurückzuhalten und die Herde nicht langsamer werden zu lassen. In den langen Stunden, die sie im Sattel zubrachten, schien ihre ganze Welt nur aus der weiten hitzeflimmernden Ebene, der gewaltigen Walze aus hellbraunen Rinderleibern, dem Staub und dem tosenden Lärm zu bestehen.

      Die Tage vergingen in harter Arbeit und bedrückender Monotonie. Sie ließen die Camps am Round Top, Bushy Creek, Cornhill und Noland Creek zurück. An einem besonders heißen Tag überquerten sie schweißgebadet den Loon River und am folgenden Tag den Bosque River.

      Während dieser Zeit wurde zwischen Greg und Torrence kaum ein Wort gewechselt. Die übrigen Cowboys verhielten sich dem Neuen gegenüber abwartend und kühl. Nur der alte Tipstone machte dabei eine Ausnahme. Er war der Einzige, mit dem sich Greg während der nächtlichen Stunden am Lagerfeuer vor dem Schlafengehen angeregt unterhalten konnte.

      Obwohl das harte Rindertreiben seinen ganzen Krafteinsatz erforderte, konnte Greg doch nicht vergessen, was er in jener denkwürdigen Nacht nördlich von Austin belauscht hatte. Sein einziger Trost bestand darin, dass Torrence und seine Komplicen ihren Coup erst ausführen würden, wenn der Red River hinter ihnen lag – und bis da hin war es noch weit.

      Trotzdem schreckte Greg oft genug nachts mit dem Gedanken aus dem Schlaf, dass die Entscheidung unaufhaltsam näherrückte. Immer wieder stellte Greg sich die Frage, was er dann unternehmen sollte.