Группа авторов

Agile Organisation – Methoden, Prozesse und Strukturen im digitalen VUCA-Zeitalter


Скачать книгу

und Kostensenkungsprogrammen hart gegenzusteuern. Wird gleichzeitig eine strategische Neuausrichtung unternommen, dann liegen Gesundschrumpfen und potenzieller Wiederaufstieg oft nah beieinander.37

      Es zeigt sich, dass die Unsicherheit von einfachen, über komplizierte und komplexe bis zu chaotischen Situationen immer mehr zunimmt. Je ungewisser und instabiler die Situation, desto besser eignen sich agile Ansätze zur Lösungsfindung, solange man sich nicht ausschließlich im chaotischen Bereich befindet. Agile Ansätze empfehlen sich folglich vor allem in komplexen Umfeldern, in denen Anforderungen und Technologien unklar oder noch nicht bekannt sind. Auf Basis der ihnen zugrunde liegenden Prinzipien (vgl. Kapitel 2.3 und 4) besitzen sie eine höhere Komplexitätsverarbeitungsfähigkeit als klassische Ansätze.

      So werden bspw. die Mobilitätskonzepte der Zukunft hochgradig beeinflusst durch die ökologischen, technologischen, politischen und gesellschaftlichen Wechselwirkungen. In einer solch komplexen Gemengelage bieten sich Ansätze wie z. B. Design Thinking oder Lean Startup (vgl. Kapitel 6.4 bzw. 6.5) an, um Probleme früh zu erkennen und erste Ideen mithilfe von Experimenten schnell zu testen. Zu diesem Zweck werden bspw. in Modellregionen Prototypen unter realen Bedingungen erprobt, um die Anwendbarkeit und Nutzerakzeptanz vor Ort zu evaluieren und über kurze Lernzyklen immer wieder Innovationen hervorbringen zu können.

      In der Realität lassen sich Vorhaben jedoch nicht immer eindeutig einem Bereich der Matrix von Abbildung 5 zuordnen, und auch die Grenzen und Übergänge zwischen den verschiedenen Kontexten (einfach, kompliziert, komplex, chaotisch) lassen sich oft nicht trennscharf ziehen. Dennoch dient die auf der Stacey-Matrix und dem Cynefin-Modell beruhende Typologie als Navigationshilfe und gibt Orientierung, in welchen Kontexten welche Handlungsstrategien und Ansätze sinnvoll sind.38 So nutzten bspw. NAGEL/WILHELM in ihrem Beitrag in diesem Buch die Stacey-Matrix für die Einordnung ihres Projektvorhabens und beschreiben, wie sie auf dieser Grundlage ein hybrides Projektvorgehen abgeleitet haben, das sich als Mischung aus klassischen und agilen Praktiken und Strukturelementen bewährt hat.

      Explizit gewarnt werden soll vor dem vorschnellen Übertragen einfacher, bewährter Praktiken und Standards auf komplexe und chaotische Situationen. Aussagen wie z. B. „Das haben wir schon immer so gemacht!“ oder „Dieses Vorgehen passt nicht zu uns!“ („Not-invented-here-Syndrom“39) machen deutlich, wie wichtig der bewusste Umgang mit Veränderung und Instabilität ist. Denn bleibt dies aus, können unter Umständen sogar existenzbedrohende Krisen entstehen, vor allem wenn der Ernst der Lage bspw. nicht erkannt oder die Situation falsch eingeschätzt wird. Wenn die Marktbedingungen, das Wettbewerbs- und/oder Nutzerverhalten unklar oder aufgrund der hohen Dynamik nicht nachvollziehbar sind, dann funktionieren Best Practices und Good Practices nicht mehr, da es keine linearen Kausalitäten gibt, auf die sie angewendet werden können.

      Zu Fehleinschätzungen kann es kommen, wenn bereits vorhandene oder sich in der Entwicklung befindende Technologien und Knowhow, z. B. aufgrund dominanter etablierter Prozesse und Strukturen, nicht genutzt werden und dadurch Agilität im Denken und Handeln bei den Organisationsmitgliedern verhindert wird.

      Ob die deutsche Autoindustrie (vgl. Kapitel 1) ein ähnliches Schicksal ereilt wie die einst stolzen Kamera- und TV-Gerätehersteller, wird sich wohl in den nächsten Jahren zeigen. Die deutschen Automobilhersteller haben die Konkurrenz um TESLA und den rasanten Wandel von analog auf digital lange Zeit nicht richtig ernst genommen. Sie waren auf die steigende Komplexität nicht vorbereitet und verharrten zu lange in ihren bewährten Strukturen und standardisierten Prozessen. Der Wechsel hin zu agile(re)n Ansätzen ging nur langsam vonstatten. Aktuell wird TESLA noch ein technologischer Vorsprung von vier bis fünf Jahren gegenüber den deutschen Autobauern zugesprochen.40

      Die Beispiele und die oben beschriebenen Kontexte verdeutlichen, wie wichtig es ist, die jeweiligen Kontexte nicht nur auseinanderzuhalten, sondern auch die passenden Strukturen und Prozesse zu wählen, zu beherrschen und zu kultivieren. Um zu prüfen, ob eine Aufgabe als „komplex“ zu bezeichnen ist und sich somit prinzipiell agile Ansätze eignen, können die folgenden Kriterien geprüft werden. Eine agile Organisation passt zu Aufgaben, bei denen (mehrere, aber nicht zwingend alle) der folgenden Rahmenbedingungen für agiles Arbeiten zutreffen:41

      

Themenstellung ist unübersichtlich und nicht genau im Voraus planbar.

      

Schnelle Akquisition von Neugeschäft hat hohe strategische Bedeutung.

      

Es geht um das Finden und die Entwicklung von Innovationen bzw. Neuerungen.

      

Geschäftsumfeld bzw. Kundenanforderungen ändern sich häufig bzw. unvorhersehbar.

      

Kundenerwartungen sind zwar stabil, Zwischenziele und Meilensteine ändern sich aber häufig.

      

Konzentration auf Kundenbedürfnisse ist wichtiger als repetitive Wiederholung oder die Perfektionierung einer bekannten Lösung (Best Practice).

      

Kunden erwarten Reaktions- bzw. Bearbeitungsgeschwindigkeit, die die derzeitigen Fähigkeiten übersteigt.

      

Kunden schätzen häufige, inkrementelle Lieferungen bzw. Updates.

      

Lösungsweg ist unbekannt und durch häufige Iterationen geprägt, die ggf. Experimente und die Kombination unterschiedlicher Ansätze erfordern.

      

Menschen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen werden benötigt, um Neues zu kreieren und/oder schnell zu handeln.

      

Kunde ist bereit, z. B. über Feedback, aktiv an der iterativen, inkrementellen Entwicklung mitzuwirken.

      3 Grundlagen von Organisation

      3.1 Zentrale Elemente

      Weil sich das vorliegende Buch auf den Themenbereich der agilen Organisation fokussiert, sollen im Folgenden zunächst die zentralen Grundlagen und Basiselemente von Organisation im Allgemeinen in einfacher bzw. vereinfachter Form vorgestellt werden.42 Das Ziel ist es, den Begriff bzw. den Themenkomplex gedanklich etwas von dem komplexen, historisch gewachsenen und oft eingefahrenen Ist-Bild aus dem eigenen Unternehmenskontext zu lösen. Denn um die wirklichen Besonderheiten von agiler Organisation zu verstehen, ist es sinnvoll und notwendig, einmal reflektiert auf den Kern von Organisation zu schauen. Eilige Leser, die sich gut mit dem Thema Organisation auskennen, können auch direkt zu Kapitel 3.4 gehen.

      Inhaltliche und definitorische Grundlagen

      Da es hier um die Organisation von Unternehmen geht, soll daran angesetzt werden. Unternehmen gibt es deswegen, weil ein Mensch oder mehrere Menschen etwas unternehmen, im Sinne von tun, um ein bestimmtes