Kerstin Groeper

Donnergrollen im Land der grünen Wasser


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den Feldern mit den anderen Frauen arbeiten. Sie erntete den weichen Flachs, der sich unter der Rinde des Maulbeerbaumes verbarg, und sammelte die Wolle der Baumwollpflanze, um daraus die Kleidung herzustellen. Sie konnte aber auch das Fell gerben und das Fleisch von der Jagdbeute verarbeiten, die der Vater brachte. Ihr Vater hieß „Große-Schlange“, und er gehörte zu den bevorzugten Kriegern des Häuptlings. Noch war er kräftig genug, um die Lanze oder den Bogen zu führen. Maisblüte hatte einen älteren Bruder, der bereits im Haus der unverheirateten Männer lebte.

      Außerdem kümmerte sie sich um den kleineren Bruder, der erst sechs Winter zählte. Er hieß „Nanih Waiya“, Lehnender Hügel, in Erinnerung an die Herkunft ihres Volkes. Die Legende erzählte, dass ihr Volk einst weit im Westen gelebt hätte. Ein Hopaii, ein Heiliger Mann, führte sie über schneebedeckte Berge immer weiter nach Osten. Jeden Abend stellte er einen rotbemalten Stock in die Erde, der sich am Morgen stets nach Osten neigte. Erst, wenn der Stock aufrecht stehenbleiben würde, hätten sie ihre neue Heimat erreicht. So hatten sie diese Ebene mit ihren fruchtbaren Böden und fischreichen Flüssen gefunden. Damals hatte der Stamm zwei Brüder als Anführer gehabt. Der eine hieß Chatah, und die Legende besagte, dass auch dies auf ihren Stammesnamen zurückführte. Der andere hieß Chicksaw, der seine Leute nach Norden führte, um dort zu siedeln. Chatah hatte an der Stelle, an der der rotbemalte Stock aufrecht stand, einen Hügel aus Sand aufschütten lassen. Dort hatten die Menschen ihre Ahnen bestattet, deren Knochen sie auf der langen Reise mitgeschleppt hatten. Sie waren in Zedernholzrinde gewickelt und ehrenvoll zur letzten Ruhe gebettet worden. Frauen hatten in mühsamer Arbeit den Sand in Körben vom Flussufer herbeigeschleppt, und die Männer hatten Zedern gefällt und daraus einen hohen Hügel errichtet. Anschließend war der Hügel mit schwarzer Erde bedeckt und mit Baumschösslingen bepflanzt worden, damit Regen und Schnee das künstliche Bauwerk nicht abtrugen.

      Nanih Waiya war ein symbolträchtiger Name, aber für Maisblüte war der kleine Bruder einfach nur ein ungezogenes Kind, das ihr an den Haaren zog oder die mühsam gesäuberte und weichgeklopfte Maulbeerbaumrinde durcheinanderbrachte, wenn er mit seinen Freunden in die Hütte stob, um sich etwas zu essen zu holen. Sie schimpfte nicht, denn das stand ihr als Schwester nicht zu. Auch die Mutter schimpfte nie, weil sie den Geist des Kindes nicht brechen wollte. „Er wird einmal ein großer Krieger!“, lächelte sie stets.

      „Ja, groß darin, alles umzuwerfen!“, lästerte Maisblüte dann.

      „Du musst Geduld haben, wenn du einst Mutter wirst!“

      Maisblüte erwiderte daraufhin nichts. Ihre Mutter hatte ja recht. Also nahm sie ihren Bruder stets liebevoll in die Arme und bat ihn flüsternd um mehr Aufmerksamkeit. „Sieh nur, wie viel Arbeit das macht. Bitte, mach es nicht kaputt! Sonst habe ich ja gar keine Zeit, um dir etwas Leckeres zu kochen!“

      Das half immer, denn ihr kleiner Bruder hatte einen schier unstillbaren Hunger. Sein kleiner brauner Körper drückte sich dann vertrauensvoll an sie heran, im Sommer nur mit einem kurzen Lendenschurz bekleidet, und seine Haare im kurzen Schnitt der kleinen Jungen.

      Der Vater hatte die langen Haare eines Kriegers, die er zu einem hohen Zopf zusammendrehte und mit einem Haarband zusammenhielt. Auch er trug im Sommer nur einen kurzen Lendenschurz, aber seine Haut war teilweise mit Tätowierungen verziert, die davon zeugten, welch gefürchteter Krieger er war, denn die Tätowierungen waren Auszeichnungen für Tapferkeit. Wenn er die Hütte betrat, strahlte er Präsenz und Kraft aus. Alle Arbeiten ruhten dann und die Aufmerksamkeit richtete sich auf die Bedürfnisse des Vaters.

      Maisblüte hatte schon früh gelernt, dem Vater das Essen zu reichen, die Muskeln zu massieren oder die Kleidung zu richten. Die Aufgaben waren verteilt, nur im Mond des Windes halfen die Männer auf den Feldern, weil das Umgraben der Felder oder das Anlegen neuer Felder für die Frauen zu anstrengend war. Die Aussaat und Pflege der Felder dagegen war Frauenarbeit, aber die Ernte wurde wieder von allen eingebracht, sogar von den Kindern, und ehe die frechen Vögel sich zu sehr bedienten. Die Kinder sammelten auch die Pekannüsse, aus denen schmackhafte Fladen gebacken wurden, oder sammelten andere Nüsse, Früchte und Beeren. Die Körbe waren bereits gut gefüllt, und die erhöhten Vorratsspeicher warteten auf den Mais. In der Sonne vor den Hütten trocknete Fisch auf hölzernen Gestellen und am Ufer wurden die Fischnetze für das nächste Frühjahr geflickt. Der Hash Tek Inhashi, der Frauenmond, war eine Zeit des Überflusses, aber auch der Feste und des Dankes an den Sonnenvater.

      Maisblüte legte die Spindel zur Seite und hob prüfend das Gewand, das sie am nächsten Tag für die Zeremonie anziehen würde. Es war aus heller Baumwolle gewoben und mit einigen Fäden der dunklen Maulbeerbaumrinde durchsetzt. Das ergab ein schönes Muster. Sie wickelte das Tuch um ihren Körper und band es über der linken Schulter zu. Gehalten wurde das Tuch mit einem einfachen Gürtel aus einem breiten Stück Leder. So hatte sie beide Hände frei, um die Schalen und heiligen Dinge des Hopaii, des Heiligen Mannes, zu tragen. Ihre langen schwarzen Haare blieben offen und flossen in natürlichen Wellen über den hellen Stoff. Sie hatte dreizehn Mal das Gras sterben sehen, und bald würde sie ihre ersten Riten haben, die sie zur Frau machten. Sie war groß und schlank, noch mit der jugendlichen Spannkraft eines Kindes, aber bereits mit weiblichen Rundungen. Ihre Brüste standen hoch, noch nicht ausgezehrt vom Stillen der Kinder. Ihre Gesichtszüge waren fein, mit hochstehenden Wangenknochen, einer hohen Stirn und ausdrucksvollen schwarzen Augen. Sie war eine Zierde für jeden Mann, und ihr Vater erwartete als mögliche zukünftige Schwiegersöhne nur die besten Krieger. Noch galt sie als Kind, aber sie genoss bereits die bewundernden Blicke unverheirateter und manchmal auch verheirateter Männer. Im Sommer trug auch sie nur einen Schurz, der nichts von ihrer schlanken Gestalt verbarg.

      „Du bist hübsch!“, lobte die Mutter bewundernd. Sie hieß „Langes-Schilf“ und ihre immer noch schlanke Figur betonte die Herkunft ihres Namens. Sie gehörte zum Isha des Wolfes, zum Clan des Wolfes, ebenso wie alle ihre Kinder, die den Status vor ihr geerbt hatten. Ihr Vater gehörte zum Clan des Windes.

      Maisblüte kicherte und drehte sich einmal im Kreis. „Nicht wahr?“, forschte sie lobheischend.

      Sie würde mit den anderen Mädchen durch die Reihen des Maises gehen und dem Hopaii die Schale reichen, mit dem der Mais gesegnet wurde. Erst dann würde das Volk die Kolben brechen und die Ernte in geflochtenen Körben einbringen. Jeder bekam seinen Anteil, doch ein Teil der Ernte würde in den Vorratsspeichern gestapelt werden. Die Chatah fürchteten Schlangen und bevorzugten daher hohe Plätze für ihre Vorräte. Maisblüte hatte auch noch andere Aufgaben, sodass sie in diesem Herbst nicht viel bei der Ernte helfen würde. Diese Ehre erhielt ein Mädchen nur einmal in seinem Leben.

      Bereits im Hash Bissi, im Mond der Schwarzbeeren, hatte sie die Felder gesegnet und dabei einen Tropfen ihres Blutes vergossen, damit der Sonnenvater ihre Ernsthaftigkeit erkannte und ihnen eine gute Ernte bescherte. Wenn die Zeiten schwer waren, war auch schon mal ein Gefangener geopfert worden, von dem das Blut auf den Feldern verteilt worden war. Der Heilige Mann hielt das nicht für nötig, und so war seit längerem darauf verzichtet worden. Maisblüte konnte sich nicht daran erinnern, dass zu ihren Lebzeiten je ein Gefangener geopfert worden wäre. Aber jedes Mädchen schnitt sich in den Finger und gab sein Blut, um den Sonnenvater um den Segen zu bitten. Vielleicht war es ja besser, das eigene Blut zu geben, um zu flehen, und nicht das Blut eines Gefangenen, der um sein Leben gekämpft hatte.

      Sie hatte schon erlebt, dass Gefangene ins Dorf gebracht und brutal getötet worden waren. Mit Keulen war auf sie eingeschlagen worden, bis sich keiner mehr rührte. Gleichgültig ob Männer, Frauen oder Kinder, Tuscalusa kannte kein Erbarmen mit ihnen. Maisblüte taten die Kinder leid, die sich an ihre Mütter klammerten und vor Entsetzen schrien. Meist reichte ein Schlag, und es wurde still, während der Todeskampf der Männer länger dauerte. Auch, weil man mit ihnen kein Mitleid hatte und somit die ersten Schläge nicht tödlich waren. Maisblüte hatte in diesem Sommer einmal einer solchen Zeremonie beigewohnt und anschließend beobachtet, wie die Seele eines Getöteten besänftigt worden war. Manchmal trat auch jemand vor und forderte einen Gefangenen für sich.

      Maisblüte sah dies als gute Sache an, denn sie wusste von einigen, die inzwischen wertvolle Mitglieder des Stammes waren. Die Chatah waren ein reiches Volk, das es sich leisten konnte, ein paar Mäuler mehr durchzufüttern.

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