Kerstin Groeper

Donnergrollen im Land der grünen Wasser


Скачать книгу

du einen Boten schickst? Du könntest eine Einladung schicken und inzwischen den Feind ausspähen, während du Vorbereitungen für einen Angriff triffst.“

      Tuscalusa verzog schmunzelnd die Mundwinkel. „Ich dachte genau das! Ich werde meinen Sohn schicken, als Zeichen meiner Wertschätzung, aber du wirst die Krieger der anderen Dörfer hier in Mabila zusammenziehen. Vielleicht gehe ich diesen Fremden sogar entgegen und wiege sie in Sicherheit. Doch sollten sie mich dabei gefangennehmen, dann vertraue ich darauf, dass du mich wieder befreist. Für das Wohl des Volkes und für das Andenken an die Ahnen.“

      „Ein Minko sollte sich dieser Gefahr nicht aussetzen. Du solltest ihnen nicht zu weit entgegengehen!“, warnte Große-Schlange seinen Freund.

      Tuscalusa zischte abfällig durch die Zähne. „Nur bis Atahachi. Das Dorf ist befestigt und die Chukka des Minkos dort bietet einen würdigen Rahmen, um diese Fremden zu begrüßen. Von dort locke ich sie nach Mabila. Dann werden wir wissen, wie ihre Kampfkraft ist. Ich werde den Hopaii und die Jungfrauen mitnehmen, um unsere Dörfer vor Hexerei und bösem Zauber zu schützen. Außerdem wird es die Fremden in Sicherheit wiegen.“

      Große-Schlange schloss für einen kurzen Augenblick die Augen, denn das würde bedeuten, dass auch seine Tochter den Minko begleitete. Wäre sie in Sicherheit? Andererseits war es ihre Pflicht, dem Minko und dem Hopaii zu dienen und das Volk vor Unheil zu bewahren. Er warf einen Blick in den Hintergrund der Chukka, wo seine Tochter still an irgendetwas arbeitete. Auch sie hatte innegehalten und blickte ihn erschrocken an. Dann senkte sie die Augen und arbeitete weiter. Sie würde gehorchen und das tun, was von ihr erwartet wurde. Dann entspannte sich Große-Schlange wieder. Der Minko würde sicherlich nicht sein Leben gefährden. Und das des Hopaii auch nicht. Große-Schlange machte eine abschließende Handbewegung. „Ich werde dich nicht enttäuschen und alles für einen Kampf vorbereiten.“

      „Nur wenn es nötig ist!“, meinte Tuscalusa sinnend. „Aber die Nachrichten meiner Kundschafter sind beunruhigend. Es ist besser, wir sind vorbereitet.“

      „Was ist mit der Ernte?“, fragte Große-Schlange nachdenklich.

      Der Minko seufzte schwer. „Nichts. Wir segnen morgen die Felder und bringen die Ernte ein. Es werden Tage vergehen, ehe mein Sohn die Fremden erreicht. Ich selbst werde in einigen Tagen aufbrechen, um sie in Atahachi zu empfangen. Das gibt auch dir Zeit, die Krieger zu versammeln. Die Maisernte ist wichtig. Erst dann schicke Boten aus, die die Männer zusammenrufen.“ Mit einer schnellen Bewegung stand er auf, und auch Große-Schlange erhob sich, um seinem Freund Respekt zu zollen. Der Häuptling umarmte seinen Freund kurz und flüsterte ihm eine Warnung ins Ohr: „Pass auf! Meine Träume sind nicht gut!“

      Große-Schlange erschrak zutiefst und sah seinem Freund nach, als dieser die Hütte verließ. Schlechte Träume waren immer eine Bedrohung.

       Die Menominee

       (Manomäh-Sipiah, Menominee-Fluss im Norden)

      Machwao, der Schwarze Wolf, stieß das Kanu langsam durch die grünen hohen Halme des wilden Reises, die überall in Ufernähe des Manomäh-Sipiah, des Wildreis-Flusses, im Wasser wuchsen. Der Fluss hatte sich an dieser Stelle so verbreitert, dass er fast wie ein See anmutete. Wolkenfetzen bewegten sich darüber hinweg und eine leichte Brise wehte über das Wasser und ließ die Halme des Wildreises rauschen. Machwao benutzte zum Vorankommen einen langen Stock, mit dem er das Kanu vorwärts stieß; langsam, fast meditativ, steuerte er das Kanu zwischen den Halmen hindurch.

      Es war Pawahan Kesoq, jener Mond, in dem das wilde Korn von der Ähre geschlagen wird. Noch war es tagsüber warm, doch einige Bäume hatten bereits begonnen, ihr Farbkleid zu wechseln. Sie funkelten in Rot, Braun und Gelb im Sonnenlicht, als wollten sie sich vor dem langen Winter ein letztes Mal aufbäumen und sich in ihrem besten Licht zeigen. Noch waren die Bäume voller Laub, sodass der Fluss in einem glitzernden Grün schimmerte, gemischt mit den Farben des nahenden Herbstes. Machwaos Haut glänzte in dem dunklen Braunton einer Kastanie, und sein langes Haar fiel wie das Gefieder des schwarzen Raben über seinen Rücken. Es glänzte leicht, denn er schmierte das Haar mit Fett ein, so wie es bei ihnen Gewohnheit war. Er zählte um die zwanzig Winter, und sein Körper war schlank und sehnig, seine Lenden nur von einem kleinen Schurz bedeckt. Sein rundes Gesicht war ebenmäßig, ohne die Falten eines entbehrungsreichen Lebens, überstrahlt von zwei blitzenden schwarzen Augen, die von winzigen freundlichen Lachfältchen umgeben waren.

      Vor ihm knieten seine Schwester Kämenaw Nuki, Regenfrau, und seine Mutter, Nepewin Nuki, Wassergeistfrau. Seine Schwester hatte den zierlichen Körpers eines Mädchens, das noch nicht ganz zur Frau geworden war. Sie zählte erst dreizehn Winter. Sie hatte das gleiche freundliche Gesicht wie ihr Bruder und ebenso schwarze Haare, nur dass sie dem Mädchen bis weit über den Rücken fielen. Die Mutter war älter, mit Runzeln und Falten im Gesicht, die ihre eigenen Geschichten erzählten. Auch sie war schlank, fast hager, und ihre Hände zeugten von harter Arbeit. Beide Frauen trugen Kittel aus weichem Leder, die über den Schultern von zwei Trägern gehalten wurden. Sie arbeiteten flink und harmonisch zusammen, als hätten sie diese Aufgabe schon oft gemeinsam erledigt. Eine bog die Halme mit einem Stab über die Bordwand des Kanus, während die andere mit einem Schläger aus Zedernholz den Wildreis von den Halmen schlug. Die hellgrünen Körner fielen auf den Boden des Kanus, viele landeten auch einfach im Wasser und bildeten die Saat für die nächste Ernte. Die Frauen blieben still, als sie sich ihrer Arbeit widmeten.

      Der „Manomäh“ war wertvoll für ihr Volk. In den Zeiten des langen kalten Winters würde er überlebensnotwendig sein, ebenso wie der Ahornsirup, den die Bäume ihnen schenkten, oder die Nahrungsmittelvorräte, die sie sonst anlegen konnten. In den Vorratsgruben, die neben ihren Gärten lagen, hatte die Familie schon Bohnen, getrocknete Früchte und Kürbisse gelagert. Der braune Reis würde ein weiteres willkommenes Nahrungsmittel sein, ebenso wie der Mais. Den ganzen Sommer hatten sie bereits Vorräte angelegt, nur darauf bedacht, den extrem langen Winter in diesen nördlichen Breiten zu überleben. Die Mutter hatte Fisch und Fleisch getrocknet, Beeren gesammelt, würde Nüsse und Pilze ernten, den Wildreis trocknen, Kürbisse lagern und darauf hoffen, dass ihr Sohn auch im Winter noch Beute nach Hause brachte.

      Machwao dachte an die Zeremonien, die der Ernte des Wildreises vorangegangen waren. Tagelang hatten sie gesungen, bis der Wildreis-Häuptling schließlich mitgeteilt hatte, dass die Zeit der Ernte gekommen war. Eine Gruppe weiser Männer hatte beschlossen, welche Bereiche abgeerntet werden sollten, und die Familien waren diesen Anweisungen gefolgt. Voller Ehrerbietung hatten sie den Wassergeistern Tabakopfer gegeben, um eine gute Ernte zu erhalten und Schaden abzuhalten. Seit Urzeiten sammelte das Volk auf diese Weise den braunen Reis, und es hatte sich als erfolgreich herausgestellt. Machwao lächelte kurz, als er seine Schwester beobachtete. Sie war das erste Mal dabei und sie war stolz auf diese wichtige Aufgabe. In einiger Entfernung vermutete Machwao die anderen Kanus, doch durch das hohe Schilf und Gras waren sie nicht zu sehen. Bis auf das leise Plätschern des Wassers und das Schlagen auf die Halme war es friedlich. Nur Myriaden von Mücken umschwärmten das Kanu und bildeten eine Gasse, als es ruhig durch die hektisch tanzenden Wolken glitt. Es roch nach modrigem Wasser und nach dem schweren Duft der Kiefern und Fichten.

      Manchmal schwamm eine aufgeschreckte Ente vor ihnen davon, und jedes Mal war der Krieger versucht, nach seinem Bogen zu greifen, der am Boden des Kanus zur Verteidigung bereit lag. Die Enten und Gänse hatten Fett angesetzt für ihre lange Reise in den Süden. Auch sie wären eine willkommene Beute. Mit seinen Lippen deutete Machwao auf einige Enten, die arglos zwischen den Halmen davonschwammen. „Die Wahkayoh sind so fett, dass sie kaum fliegen können. Sie wären ein guter Braten!“

      Seine Schwester hielt kurz inne, um in Richtung der Enten zu blicken. Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht, als sie sich auffordernd zum Bruder umdrehte. „Warum jagst du sie nicht? Sie wären eine schöne Abwechslung zum Hirschfleisch.“ Ihr rundes Gesicht strahlte vor Aufregung.

      „Meinst du?“ Der Krieger grinste, als er den hungrigen Blick seiner Schwester sah. Aber auch die Mutter schien von der Idee ganz angetan zu sein. Er nannte sie respektvoll Ne’äh, während seine Schwester sie noch in der Kindersprache mit Mamah anredete.

      Es war nicht üblich, sich beim