Kerstin Groeper

Donnergrollen im Land der grünen Wasser


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langen Regenzeiten und kühlem Wind, der vom Meer her die salzige Luft brachte.

      Die Mutter beugte sich über die Glut und blies vorsichtig hinein, um das Feuer wieder anzufachen. Sie brach einige trockene Zweige ab und wartete, bis sie Feuer fingen, und legte dann einige Scheite nach. Der Vater würde bald kommen und so machte sie sich daran, eine einfache Mahlzeit zuzubereiten. Sie hatte aus den ersten Pekannüssen in diesem Jahr gemischt mit Maismehl einige Fladen gebacken, die sie mit Fleisch füllte. Der Vater liebte dieses Essen! Der süßliche Geschmack des Fladenbrotes mischte sich mit dem herzhaften Geschmack des Fleisches und gab ihm so eine ganz eigene Würze.

      Zwei weitere Frauen, die in ihrem Haushalt lebten, betraten die Hütte und setzten sich in den Hintergrund. Sie waren Sklavinnen, die tagsüber auf den Feldern arbeiteten oder andere niedere Dienste verrichteten. Die Mutter ignorierte sie, denn als hohe Frau sprach sie fast nie mit den Untergebenen. Sie ignorierte es auch, wenn der Mann sich manchmal zu ihnen legte, um seine körperlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Ein schwächliches Mädchen war bereits geboren worden, das aber den ersten Winter nicht überlebt hatte. Der Status der Frau hätte sich dadurch verbessern können, aber mit dem Tod des Kindes stand ihr dieses Privileg nicht mehr zu. Ihr Leib hatte sich wieder gerundet, und so hoffte der Mann auf einen weiteren Sohn. Langes-Schilf stand dem neuen Leben wohlwollend gegenüber und sorgte dafür, dass die Sklavin genug zu essen erhielt. Ein Kind hätte nicht den Status ihrer eigenen Kinder, aber es wäre ein vollwertiges Stammesmitglied, das auch den Status der Mutter ändern würde. Sie wäre dann eine untergeordnete Zweitfrau.

      Der kleine Bruder schoss in die Hütte und ließ sich müde auf eine Matte gleiten. „Ich habe Hunger!“, maulte er.

      Kommentarlos drückte ihm die Mutter einen Fladen in die Hand. Kinder durften immer essen, während die Frauen meist warteten, bis der Mann seinen Hunger gestillt hatte. Nanih Waiya stopfte das Essen hungrig in seinen Mund und erzählte dann kauend von seinen Heldentaten. „Wir haben heute Krebse gefangen!“

      „Wirklich?“ Die Mutter lächelte gutmütig. „Und was habt ihr damit gemacht?”

      „Na, eine Suppe gekocht! Wir haben alle aufgegessen!“

      „Und dennoch hast du so einen Hunger?”, wunderte sich die Mutter.

      Der Junge nickte wichtig. „Na, wir waren doch so viele!“ Er hob seine beiden Hände hoch, um die Zahl anzuzeigen. „Da bleibt nicht so viel für einen.“

      Maisblüte kicherte hinter vorgehaltener Hand. „Wie viele Krebse habt ihr denn gefangen?“

      „Vier Hände voll!“, erklärte der Junge stolz. „Jeder bekam zwei.“

      „Nun, davon wird man wahrlich nicht satt!“, stimmte Maisblüte zu. „Das nächste Mal solltest du alleine fischen gehen. Dann kannst du alle Krebse essen und bist satt.“

      „Das macht aber nicht so viel Spaß!“, weigerte sich das Kind. „Ich jage lieber mit meinem Stamm.“

      „Aha, und wer ist dein Stamm?“

      „Na, alle meine Freunde! Wir teilen alles!“

      „Das ist lobenswert!”, meinte die Mutter. „Aber dann hungert ihr auch alle.“

      „Nächstes Mal fangen wir mehr Krebse. Jetzt wissen wir ja, wie es geht!“ Nanih Waiya grinste frech. „Nächstes Mal bleibt so viel, dass ich euch auch was bringen kann!“ Er streckte seinen runden Bauch vor und strotzte vor Selbstbewusstsein.

      „So, so!“ Die Mutter schüttelte ungläubig den Kopf. „Woher willst du das wissen?“

      „Vater hat gesagt, dass er uns helfen wird!“

      Die Mutter und Maisblüte lachten schallend und ernteten einen tadelten Blick des Jungen. „Wirklich!“, beteuerte er.

      Die Mutter kicherte immer noch und strich ihrem Sohn über die Haare. „Aber sicher. Ich glaube dir und freue mich für dich. Ich möchte wirklich gerne etwas von dieser Krebssuppe probieren!“

      Ihr Lachen erstarb, als der Vater die Hütte betrat. Seine eindrucksvolle Erscheinung flößte sofort Respekt ein. Er ließ sich auf einer Matte nieder und lächelte freundlich. „Warum habt ihr gelacht?“ Die Mutter zeigte auf den Sohn. „Er hat uns von seinem Jagderfolg erzählt. Und dass er wohl bald die ganze Familie ernähren kann!“

      Der Vater schmunzelte erheitert. „Ja, ich zeige den Jungen morgen, wie sie Reusen bauen können, damit ihnen nicht so viele Krebse entwischen.“

      „Siehst du!“, strahlte der Junge. „Vater hilft uns!“

      Der Mann nahm den Jungen auf seinen Schoß und strich ihm über die Haare. „Du wirst einmal ein großer Jäger!“, bestätigte er den Eifer des Kindes.

      * * *

      Dann wurde es wieder still, als ein weiterer Mann die Hütte betrat. Aller Augen richteten sich voller Erstaunen auf den Ankömmling. Es war Tuscalusa, der Minko des Dorfes. Sofort verschwanden die Frauen und Kinder im Hintergrund, um den Gast im Gespräch mit dem Vater nicht zu stören. Es war verwunderlich, dass der Häuptling eigens zu ihnen kam, also musste es wichtig sein. Doch manchmal besprach er seine Pläne erst mit seinem Ersten Krieger, dem Tishominko, ehe er seine Entscheidung im Rat mitteilte. Als Tishominko leitete Große-Schlange auch Zeremonien für den Minko und galt als sein Sprecher.

      Große-Schlange legte bescheiden den Kopf zur Seite und wartete, was Tuscalusa mit ihm besprechen wollte. Sie waren seit ihrer Kindheit miteinander befreundet, und Große-Schlange hatte noch nie das Vertrauen des Minkos verraten. Er behielt Stillschweigen über alles, was Tuscalusa ihm anvertraute, und verlangte das Gleiche von seiner Familie. Mit einer Handbewegung schickte er den Jungen nach draußen zum Spielen. Er war noch zu klein, um Geheimnisse zu hüten.

      Gehorsam huschte Nanih Waiya aus der Chukka und hoffte, noch einige Freunde zu finden, mit denen er ein weiteres Abenteuer erleben konnte. Was die Erwachsenen zu erzählen hatten, war bestimmt langweilig. Auf ein Nicken hin verschwanden auch die beiden Sklavinnen. Große-Schlange tätschelte kurz über den Bauch der Frau und schenkte ihr ein wohlwollendes Lächeln, ehe sie durch den Türvorhang verschwand.

      Tuscalusa nickte dankbar und griff dann nach einer kleinen Pfeife, die Große-Schlange ihm reichte. Die beiden Männer schwiegen eine Weile, dann runzelte Tuscalusa besorgt die Stirn. „Ich habe Kunde von den Völkern im Osten”, begann er langsam. „Sie erzählen merkwürdige Dinge.“

      Große-Schlange senkte den Blick und hörte aufmerksam zu. Sie hatten ein weitreichendes Handels- und Nachrichtennetzwerk, und so war es nicht ungewöhnlich, dass sie über Ereignisse informiert wurden, die in anderen Teilen des Landes stattfanden.

      „Reisende aus einem fernen Land sind unterwegs zu uns”, erzählte der Minko weiter. „Sie kommen nicht von unserer Insel, sondern aus einem Land jenseits des Meeres. Sie tragen seltsame Kleidung, die an den Panzer eines Käfers erinnert, und sie haben fremde Waffen und seltsame Tiere bei sich. Sie sind sehr kriegerisch und unterwerfen die Dörfer, durch die sie kommen. Sie plündern die Vorräte, nehmen sich die Frauen und Männer und versklaven sie.“ Der Häuptling zögerte verunsichert. Man konnte sehen, dass er nicht wusste, wie er diese Nachrichten einordnen sollte.

      „Und sie sind auf dem Weg hierher?“, fragte Große-Schlange.

      „Ja! Mir wurde berichtet, dass Häuptling Coosa gefangen gehalten wird und dass viele seines Volkes für die Fremden die Lasten tragen müssen. Die Fremden wandern den Piachi-Fluss entlang und stehen kurz vor Talisi.“

      Große-Schlange machte eine abfällige Handbewegung. „Wir sind nicht wie Coosa! Sollen sie nur kommen!“

      Tuscalusa lächelte ohne Humor. „Es kann nicht schaden, erst einmal zu spähen, wer diese Fremden sind! Ich kämpfe nicht gern gegen einen Gegner, den ich nicht kenne. Erst muss ich wissen, wie viele Fremde es sind, welche Waffen sie tragen und wie ihre Kampfkraft ist. Ich sehe es als Warnung, dass es ihnen gelungen ist, Coosa gefangen zu nehmen. Diese Fremden sind gefährlich, denn wenn sie erst den Minko eines Dorfes haben, dann versklaven sie auch das Volk.“

      Große-Schlange