stets Nekoqsemäh, meine kleine Schwester, und sie rief ihn Näknäh, großer Bruder. Die Frauen hielten in ihrer Arbeit inne, als Machwao mit einer ruhigen Bewegung nach seinem Bogen griff. Das Kanu glitt still durch das Wasser und schaukelte schließlich sanft hin und her. Die Enten ließen sich nicht stören, sondern gründelten nach Futter. Auch sie suchten nach dem wilden Korn. Ein wohlgezielter Pfeil traf eine Ente durch den Körper, während die anderen aufgeschreckt davonflatterten. Sofort nahm der Mann den Stab wieder auf und stakste das Kanu in Richtung der Beute.
Die Schwester griff nach dem Vogel und zerrte ihn ins Kanu. Ihre Augen funkelten vergnügt, als sie sich zu ihrem Bruder umdrehte. „Ich werde sie dir braten!“
„Und ich lasse dich auch mal abbeißen!“, bot Machwao großzügig an. Ein kleiner Schatten verdüsterte das Gesicht des Mädchens und Machwao lachte dunkel. „Also gut, vielleicht auch zweimal …“
„Oder …”, er zögerte, um seine Schwester ein wenig zu necken.
„Oder ich erlege noch eine …!“
„Noch eine, noch eine!“, rief seine Schwester aufgeregt. Sie zappelte hin und her und Machwao balancierte das Kanu vorsichtig aus. „Hey, wir werden die ganze Ernte verlieren, wenn du weiter hier herumhüpfst. Sitz still!“ Das Kanu lag schon tief im Wasser, denn die Frauen hatten bereits einen wahren Berg an Wildreis geerntet.
Gehorsam kniete sich Kämenaw Nuki hin und Machwao tauschte einen belustigten Blick mit seiner Mutter. In aller Ruhe nahmen sie ihre Tätigkeit wieder auf, denn es würde eine Weile dauern, ehe sie auf die nächsten unvorsichtigen Enten stoßen würden. Der Krieger lenkte das Kanu durch die hohen Halme und blinzelte, als die tiefer stehende Sonne ihn blendete. In einiger Entfernung sah er ein weiteres Kanu, das von einem seiner Freunde gelenkt wurde. Es war Awässeh-neskas, Bärenkralle, der mit seiner jungen Frau unterwegs war.
Sie war im Frühjahr von einem anderen Dorf zu ihnen gestoßen. Sie hieß Regen-auf-dem-Wasser und gehörte dem Kranichclan an, während ihr Mann, ebenso wie Machwao und seine Schwester, dem Bärenclan angehörten.
* * *
Seitdem der Ahnherr ihres Volkes, der große weiße Bär, aus seiner Höhle emporgestiegen war und sich in einen Menschen verwandelt hatte, wurde die Blutlinie des Clans über den Vater bestimmt. Der Bärenclan war der älteste Clan. Aus ihm wurden immer die Sprecher des Volkes und die Häuptlinge erwählt. Machwao gehörte zum Bärenclan, so wie sein Vater vor ihm und dessen Vater vor dessen Vater. Ihre Linie konnte bis zu dem Ahnherrn zurückverfolgt werden. Es war nicht möglich, einen Angehörigen des gleichen Clans zu heiraten, und meist lebten die Familien eines Clans in einem Dorf zusammen, sodass eine junge Frau das Dorf verlassen musste, wenn sie heiratete.
Machwao wusste, dass andere Stämme dies ungewöhnlich fanden, denn meist wurde die Blutlinie dort über die Mutter bestimmt. Aber die Menominee, die Menschen des wilden Reises, stellten ihr Erbe nicht in Frage. Sie folgten ihren Traditionen, so wie Mäc-awätok es von ihnen seit Urzeiten erwartete. Deswegen hießen sie auch Kiash Matchetiwuk, die Ältesten. Ihr Leben wurde bestimmt aus den Notwendigkeiten des Lebens, dem Verlauf der Jahreszeiten und den Zeremonien, die es für alle Bereiche des Lebens gab. Durch sie war es möglich, mit den Geistern zu sprechen und um Schutz vor der Unbill der Natur zu bitten. Nur durch Schutzgeister und Talismane war es möglich, den verheerenden Kräften zu entgehen, die allerorts auf einen lauerten. Selbst vor der Ernte des wildes Reises hatte er um Schutz gefleht, denn in den Seen und Flüssen lauerte sonst die gehörnte Schlange, Meqsekenupik, die nur zu gerne Kanus umwarf und die Insassen unter Wasser zerrte, um sie aufzufressen. Niemand wagte sich auf das Wasser hinaus, ohne vorher um Schutz gebetet zu haben.
Machwao stakste langsam in Richtung seines Freundes, auch wenn das bedeutete, dass er heute wohl keine Ente mehr erlegte. Ein frischer Wind kam auf und das Wasser kräuselte sich vor dem Bug des Kanus. Leichte Wellen schlugen gegen den Rand und trotz der drei Insassen schaukelte es leicht. Seine Mutter und seine Schwester waren immer noch darin vertieft, das Korn von den Halmen zu schlagen. Er schnalzte leise mit der Zunge und als er ihre Aufmerksamkeit hatte, zeigte er mit gespitzten Lippen in Richtung des anderen Kanus. „Sie gehen bereits an Land. Wir sollten ihnen folgen und morgen weitermachen.“
Die Mutter nickte ihr Einverständnis und so stieß Machwao das Kanu etwas schwungvoller vorwärts. Die Halme bogen sich auseinander, als es durch sie hindurchglitt und schließlich gegen den sandigen Boden des Ufers stieß. Er hüpfte ins Wasser und schob das Kanu mit einem kräftigen Ruck ins Trockene, sodass seine Schwester und seine Mutter trockenen Fußes an Land gehen konnten. Als sie ausgestiegen waren, zog er das Kanu vollends an Land. Dann beugten sie sich über die Schilfmatten, in denen sie das Korn gesammelt hatten, und hoben sie vorsichtig aus dem Kanu. An einer sonnigen Stelle legten sie die Matten aus und verteilten das Korn gleichmäßig zum Trocknen.
Machwao überließ die weitere Arbeit den Frauen und ging zu der Stelle, an der sein Freund bereits ein kleines Lager aufschlug. Sie waren nicht weit von ihrem Dorf entfernt, doch da sie am nächsten Tag weiterarbeiten wollten, hatten sie beschlossen, die Nacht hier zu verbringen. Noch war es warm, sodass sie die nächtliche Kälte nicht fürchten mussten. Sein Freund hieß Awässeh-neskas, Bärenkralle, und er ähnelte dem Bären nicht nur äußerlich mit seiner tapsigen Art. Es amüsierte das Volk, wie sehr der Name auf die Persönlichkeit abfärbte.
„Ich habe eine Ente erlegt!“, verkündete Machwao.
„Ich auch! Und wir haben etwas Trockenfleisch dabei. Kommt doch her, dann brauchen wir nur ein Feuer!“
Machwao warf seinem Freund einen anzüglichen Blick zu.
„Wirklich? Ich dachte, du möchtest vielleicht ein wenig Ruhe mit deiner jungen Frau.“ Er rollte vielsagend die Augen und bewegte sein Becken auf beredte Weise vor und zurück. Die Lachfältchen um seine Augen wurden tief.
Awässeh-neskas zeigte seine Zähne und legte mit zusammengekniffenen Augen den Kopf schief. „Such du dir mal lieber eine eigene Frau und schau dir nicht die Augen nach den hübschen Frauen deiner Freunde aus.“
„Tss! Noch bestimme ich, welche Frauen hübsch sind oder nicht. Ich sagte nur, dass deine Frau jung ist!“
Die junge Frau, die in seinen Augen vielleicht nicht hübsch genug war, warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Entschuldigend hob er die Hände und lächelte versöhnlich. „Ich lasse mir nur keine Worte in den Mund legen! Ich entscheide selbst, mit welchen Worten ich eine Frau beschreibe.“
„Und welche Worte findest du für mich?“ Ihr Blick war immer noch finster.
„Nun“, er überlegte scharf und musterte sie kurz von oben bis unten. „Vielleicht wäre wunderschön passender? Oder …” Sein Satz blieb unvollendet, als er in die schwarzen Augen seines Freundes blickte. Er schien dies nicht mehr lustig zu finden. „Hör bloß auf!“, zischte er warnend.
Machwao musste so lachen, dass sein Freund ihn empört in den Bauch boxte. Schnaufend schnappte Machwao nach Luft und trat einige Schritte rückwärts, um sich aus der Reichweite von Awässeh-neskas Fäusten zu bringen.
„Warte nur, bis du eines Tages eine Frau hast. Dann kannst du froh ein, wenn ich sie nicht mit einer Schildkröte vergleiche!“, knurrte Bärenkralle.
„Schildkröte!“ Wieder prustete Machwao los. „Ich suche mir doch keine Schildkröte!“
„Wir werden sehen!“, prophezeite Awässeh-neskas. „In meinen Träumen sah ich sehr merkwürdige Dinge.“
Sofort wurde Machwao ernst. „Welche Dinge?“ Er wusste, dass sein Freund oft Träume hatte, und glaubte an dessen Vorahnungen. Aus einer witzigen Bemerkung war plötzlich Ernst geworden und seine Lippen wurden schmal, als er einen Schatten im Gesicht des Freundes bemerkte.
Awässeh-neskas zuckte mit den Schultern und winkte mit einem Lächeln ab. „Wir können uns ja später über deine Schildkröte unterhalten. Lass uns ein Feuer machen und die Enten braten. Ich habe Hunger.“
Machwao nickte und kehrte zu seinem Kanu zurück, um seine Sachen zu holen. Sein Freund hatte die kurze Andeutung mit einem Scherz abgetan und