Kerstin Groeper

Donnergrollen im Land der grünen Wasser


Скачать книгу

Volk befehligt hatte und der oberste Priester für sie gewesen war. Sein Tod war ihm eine Warnung, diese Fremden nicht zu unterschätzen. Aber er wollte sich ganz sicher nicht unterwerfen lassen! Mit der Schläue des Politikers wollte er diese Fremden über seine wahren Absichten im Unklaren lassen. Er würde sie mit Freundlichkeit einlullen, während seine Kriegshäuptlinge den Angriff vorbereiteten. Vielleicht siegte ja auch die Diplomatie. Aber Friedensverhandlungen wären nur erfolgreich, wenn diese Fremden von seiner Stärke überzeugt waren. Und er hatte genaue Vorstellungen, wie er die Fremden beeindrucken wollte. Atahachi wäre der geeignete Ort dafür!

      Maisblüte war müde, als sie endlich Atahachi erreichten. Das Dorf lag erhöht auf einem Hügel und die Chukka des Häuptlings stand auf einem künstlich errichteten Hügel, einem Mound, vor dessen Eingang sich eine große Terrasse befand. Die Hütte war langgestreckt und das Innere mit mehreren Decken abgeteilt. Alles war bereits für ihre Ankunft hergerichtet worden, sodass die Mädchen schnell im hinteren Teil verschwanden, der für sie vorgesehen war. Der Minko blieb im vorderen Teil, zusammen mit dem Hopaii und seinen Vertrauten. Die anderen wurden in den umliegenden Hütten beherbergt. Frauen trugen Töpfe mit Essen herein, das gerecht verteilt wurde. Jeder erhielt eine hölzerne Schale mit Essen, das nach der langen Wanderung köstlich schmeckte. Es war eine Suppe aus Mais, gemischt mit Fleisch und Zwiebeln. Alle lachten, als ihnen das Fett über das Kinn lief. Niemand sprach von den bevorstehenden Ereignissen, um die Gastgeber nicht zu beleidigen. Heute wurde nur das Essen gewürdigt.

      Am nächsten Tag berichteten Kundschafter von dem Näherrücken der Fremden. Sie näherten sich in zwei Kolonnen, mit all ihren Sklaven, Getier und Gepäck. Tuscalusa befahl, dass alle sich schmücken sollten, um den Anführer ehrerbietig zu begrüßen. Der Heilige Mann sprach ein Gebet und flehte die Sonne um Unterstützung an, während die Jungfrauen in ihre schönsten Gewänder gehüllt neben ihn standen und seine Utensilien hielten. So warteten sie auf dem erhöhten Platz auf die Ankunft der Fremden. Die hochaufgerichtete Gestalt des Häuptlings wirkte dabei noch riesiger, aber genau das war ja seine Absicht. Er trug einen kostbaren Mantel aus Federn und hinter ihm stand ein Sklave, der einen Fächer aus Schilf hielt. Noch stand der Häuptling im hellen Sonnenlicht. Er blinzelte nach oben und sah zufrieden, dass die Große Sonne ihre Gespräche hören würde. Ohne ihren Schutz hätte er dieses Zusammentreffen abgesagt und auf gutes Wetter gewartet.

      Maisblüte verschlug es den Atem, als die Abordnung der Fremden schließlich durch das Dorf kam und vor dem Hügel hielt. So etwas hatte sie noch nie gesehen! Sie widerstand dem Impuls, einfach wegzulaufen, auch, weil ihre Knie ohnehin einzuknicken drohten. Ihre Hände zitterten, als sie ungläubig auf das Bild blickte, das sich ihr bot. Wesen, die oben den Körper von Menschen hatten, aber unten die vier Beine eines Tieres, das aussah wie ein riesiger Hund. Sie kannte Kashehotopolo, ein Wesen, das halb Mensch und halb Hirsch war. Wenn man es ärgerte, dann rannte es mit großer Geschwindigkeit vor einem her und vertrieb das Wild oder warnte die Feinde. Aber diese Wesen hier ähnelten nichts, was sie je gesehen oder gehört hatte. Ihre Kleidung glänzte schwarz in der Sonne und erinnerte an den Panzer eines Käfers. Auf dem Kopf trugen diese Menschen einen Hut aus dem gleichen Material, das von der Sonne reflektiert wurde. Einige dieser Männer trugen lange Speere in ihren Händen. Dahinter reihte sich ein Zug aus vielen Männern und Sklaven, die die Bündel trugen. Bei einigen waren die Füße mit Fesseln zusammengebunden, sodass sie kaum laufen konnten. All dies erblickte Maisblüte in den ersten Augenblicken. Dabei gab es so viele Kleinigkeiten, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Alles war fremd! Einfach alles! Das Aussehen, die Kleidung, die Ausrüstung, das Haar in den Gesichtern der Männer, die Waffen. Maisblüte wollte sich gar nicht vorstellen, was die Fremden alles in den Bündeln hatten, die sie mit sich führten. Gleichzeitig schockierte sie das Aussehen der Sklaven. Auch bei ihrem Volk wurden Gefangene nicht gut behandelt, aber diese Demütigung zu sehen, war schrecklich. Es gab ihr einen Geschmack von dem, was passieren würde, wenn es Tuscalusa nicht gelang, diese Fremden zu besiegen oder Frieden zu schließen.

      * * *

      Ein Mann trat vor und Maisblüte hörte auf die Worte, die aus seinem Mund kamen. Er sprach die Sprache der Chatah, aber schlecht. Sein Name sei Juan Ortiz und er war bereits als Kind in ihr Land gekommen und hätte die Sprachen der Eingeborenen gelernt. Er erzählte, dass diese Fremden von weither über das Wasser aus einem Land namens Spanien kamen. Maisblüte hatte keine Vorstellung davon, was das sein sollte, aber es musste ein unheimlicher Ort sein, wenn es solche Menschen hervorbrachte. Der Mann sprach immer wieder von einer heiligen Frau namens „Heilige Maria“, in deren Namen diese Menschen fremde Länder eroberten. Hier seien sie auf der Suche nach einem Weg zu einem anderen Meer, um dort ein Dorf zu gründen. Außerdem suchten sie nach etwas, das sie Gold nannten. Der hohe Herr, den er „Gouverneur“ nannte, ersuchte um Männer und Frauen, die ihm halfen, diesen Weg zu erkunden. Um seinen guten Willen zu bekunden, brächte er Geschenke für den hohen Herrn dieses Landes. Der Mann trat einen Schritt beiseite und winkte einige der Träger näher, die eine Kiste abluden.

      Tuscalusa nickte gnädig und erlaubte ihnen, die Kiste die Stufen emporzutragen. Dann sah er unbeeindruckt zu, wie die beiden Männer die Kiste öffneten und ihm den Inhalt zeigten. Maisblüte konnte nicht erkennen, was sich darin befand. Auch der Häuptling zeigte mit keiner Miene, ob er beeindruckt war oder nicht. Mit einem Handzeichen rief er die Krieger herbei, die für die Fremden einen Tanz zeigten. Die Jungfrauen traten näher und umrahmten die Krieger mit ihrer Schönheit und demütigen Haltung.

      Dann sprach der Häuptling zu den Spaniern: „Ich freue mich über die Geschenke und heiße euch in meinem Land willkommen. Die Dinge, die ihr fordert, kann ich euch hier nicht geben. Aber einige Tagesreisen von hier liegt Mabila. Dort werde ich euch mit dem ausrüsten, was ihr fordert.“ Er hoffte natürlich, die Fremden auf diese Weise friedlich durch sein Gebiet zu schleusen und wieder loszuwerden. „Bis dahin seid meine Gäste und nehmt die Vorräte, die ich euch großzügig überlasse.“

      Männer und Frauen brachten Körbe, in denen sich viele Vorräte befanden. Es stellte nur einen kleinen Teil ihrer Nahrungsvorräte dar, aber anscheinend waren die Fremden zufrieden damit. Sie luden den Häuptling und sein Gefolge zu einer Demonstration ihrer Fähigkeiten ein. Sie nannten es „Pferderennen“. Maisblüte erfuhr, dass es sich bei den Vierbeinern um „Pferde“ handelte und die Männer darauf nicht mit ihnen verschmolzen waren, sondern auf- und absteigen konnten. Sie benutzten dazu ein Ding, das sie „Sattel“ nannten. Es war aus Leder gefertigt und bot Riemen, die es den Männern gestatteten, auf das Tier zu klettern. Tuscalusa weigerte sich, seinen Hügel zu verlassen, stattdessen ließ er den Hauptweg räumen, damit die Fremden ihr Können zeigten. Die Menschen kletterten einfach auf die Dächer der Häuser, um besser sehen zu können, oder verteilten sich an der Wegstrecke.

      Maisblüte blieb mit den anderen Mädchen neben dem Häuptling stehen und hatte so eine gute Sicht. Nebel-am-Morgen und Vogel-im-Bach standen neben ihr. Sie kicherten vor Aufregung und freuten sich auf das Spektakel. Noch hatten sie die Gefahr nicht verstanden, in der sie alle schwebten. Sie hatten das Gespräch zwischen Tuscalusa und Große-Schlange nicht gehört und Maisblüte hatte ihnen ebenfalls nichts erzählt. Sie fühlten sich sicher in der Gegenwart des Häuptlings. „Sieh nur, wie ihre Kleidung glänzt!“, lächelte Vogel-im-Bach.

      „Ich möchte wissen, was in dieser Kiste ist“, überlegte Nebelam-Morgen. „Der Minko schien nicht so beeindruckt gewesen zu sein.“

      Maisblüte kicherte. „Er zeigt nie, wenn er beeindruckt ist. Sonst wäre er ja kein so großer Minko.“

      Die Mädchen lachten. „Das stimmt. Wenn es leicht wäre, ihn zu beeindrucken, dann wäre es schwierig, so respekteinflößend zu sein. Seht nur, wie er diese Fremden behandelt! Als hätte er so etwas schon oft gemacht!“

      * * *

      Dann wurden alle still, als zehn Reiter plötzlich eine Attacke gegen den Hügel des Häuptlings ritten und erst im letzten Moment die Tiere durchparierten. Staub wirbelte auf und außer dem Schnauben der Pferde war nichts zu hören. Den Mädchen war vor Entsetzen das Gesicht gefroren, nur langsam wagten sie wieder auszuatmen, während der Häuptling ganz ruhig dastand und gnädig mit dem Kopf nickte. Maisblüte bewunderte ihn. Wie konnte er sich so schnell von diesem Schrecken aus der Geisterwelt erholen? Die riesigen Wesen, die aus einem vierbeinigen Wesen