Kerstin Groeper

Donnergrollen im Land der grünen Wasser


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einem Stein glattgeschliffen werden und dann wäre es wirklich sehr geeignet, um als Unterbrett für eine Babytrage herzuhalten. Er hatte tatsächlich an seinen Freund gedacht und so riss er erstaunt die Augen auf. Er musste vorsichtiger mit seinen Gedanken sein. Vielleicht „erträumte“ er sich sonst eine Ehefrau. Er gluckste in sich hinein und überlegte, warum ihm dieser Gedanke gerade Angst gemacht hatte. Wollte er keine Ehefrau? Oder schützte er sich, um nicht abgewiesen zu werden? Andererseits hatte sein Herz bisher noch nicht für ein Mädchen höher geschlagen.

      Im Grunde wäre er sogar zufrieden, wenn seine Familie endlich ein Mädchen für ihn erwählte, dann müsste er sich nicht mit einer Entscheidung quälen. Er galt als schüchtern und so wusste er nicht wirklich, wie er bei den Besuchen von anderen Familien die Aufmerksamkeit der unverheirateten Mädchen auf sich lenken sollte. So viele Begegnungen mit möglichen Ehefrauen gab es nicht.

      Sein Onkel hatte seine Erheiterung bemerkt und stieß ihn von der Seite an. „Was?“

      Machwao riss sich aus den Gedanken los und grinste leicht.

      „Nichts! Ich dachte nur an Awässeh-neskas und seine Frau. Ich freue mich auf das Baby der beiden. Wem es wohl ähnlich sehen wird?“

      Der Onkel runzelte nachdenklich die Stirn. „Wer weiß? Vielleicht erwählt auch einer unserer Vorfahren die beiden als seine Eltern und kehrt zu uns zurück.“

      Machwao gefiel der Gedanke. „Ja, das wäre schön!“ Nicht jedes geborene Kind war eine Wiedergeburt, aber manchmal zeigte ein neues Leben ganz klare Persönlichkeitsmerkmale einer verstorbenen Person, und das erforderte sehr viel Fürsorge und Achtsamkeit von den Eltern.

      Kinder waren ein Mysterium, das ganz nahe bei Mäc-awätok stand.

      * * *

      Am nächsten Tag brach Machwao bereits vor der Dämmerung auf, um zu jagen. Er hatte schlecht geschlafen und so wollte er den angebrochenen Tag nutzen. Außerdem wollte er sicherstellen, dass seine Familie genug zu essen hatte. Das Gerüst für das Trockenfleisch war leer. Seine Reise würde mehrere Tage dauern und wenn er noch etwas Fleisch brachte, dann konnte seine Mutter die verbliebenen Herbsttage zum Trocknen des Fleisches verwenden. Er fröstelte etwas, als er leichtfüßig durch den Wald lief und die Umgebung des Dorfes verließ. Die Gegend war leicht hügelig und dicht mit Wald bewachsen. Der Boden war feucht und verschluckte seine Tritte. Er folgte einem Wildwechsel und entfernte sich eine gute Strecke, ehe er schließlich auf einen Baum kletterte, um sich auf die Lauer zu legen. Unter ihm breitete sich eine kleine Lichtung aus, die mit weichem Gras bewachsen war. Wenn er Glück hatte, dann würde ein Hirsch oder ein Elch hier zum Äsen herauskommen. Er lehnte im Geäst des Baumes und hörte auf die ersten Vogelstimmen. Er war müde und kämpfte ein bisschen gegen das Einschlafen. Erste Sonnenstrahlen traten durch die Zweige und wärmten ihn, was seine Müdigkeit eher noch verschlimmerte. Er konnte nicht sagen, warum er so schlecht geschlafen hatte, denn er konnte sich an seine Träume nicht erinnern. Wenn sie wiederkehrten, würde er besser aufpassen und hinhören!

      Aber er nickte tatsächlich ein wenig ein und wäre fast vom Baum gestürzt, wenn sich nicht ein Vogel auf dem Ast neben ihn gesetzt hätte. Der Beinahe-Sturz machte ihn hellwach und er balancierte sein Gleichgewicht wieder aus. Die winzige Bewegung vertrieb den Vogel und Machwao sah ihm nach, als er in den Wald flatterte.

      Dann erregten zwei junge Schwarzbären seine Aufmerksamkeit. Die jungen Bären purzelten spielend und raufend auf die Lichtung und schienen die Welt um sich herum vergessen zu haben. Obwohl er wusste, dass er heute keinen Jagderfolg mehr haben würde, blieb Machwao sitzen und beobachtete die Szene. Amüsiert sah er dem Spiel der kleinen Bären zu, die fast wie kleine Kinder herumtollten und tapsig wie junge Hunde waren. Schließlich kam die besorgte Bärenmutter und führte die beiden Jungen zurück in das schützende Dickicht des Waldes. Machwao lächelte entspannt und kletterte wieder den Baum hinunter. Die Bären waren ein gutes Zeichen! Jetzt konnte er beruhigt seine Reise planen. Er würde am nächsten Tag erneut zur Jagd gehen, aber er wusste, dass Mäc-awätok seine Gründe gehabt hatte, ihm heute die Bären zu schicken.

       Maiswinter

       (Mabila im Süden)

      Maisblüte starrte auf den Piachi-Fluss, den sie inzwischen erreicht hatten, und wartete in Ruhe auf die Anweisungen, die man ihr geben würde. Verwundert beobachtete sie, dass an zwei Stellen Lager aufgebaut wurden, um die Überquerung vorzubereiten. Die meisten Einwohner des Dorfes waren in ihren Kanus geflohen, sodass die Spanier erst Flöße bauen mussten. Dies nahm einige Zeit in Anspruch. Stoßtrupps der Fremden durchkämmten das Land und brachten Lebensmittel aus anderen Ansiedlungen. Die Gegend war dicht besiedelt, aber viele Bewohner waren vor den Fremden geflohen, wie es Tuscalusa befohlen hatte.

      Maisblüte durfte mit den anderen Jungfrauen wieder in der scheinbaren Sicherheit des Häuptlings verweilen. Die Mädchen drängten sich zusammen und wagten es nicht, sich allein zu entfernen. Es war beschämend, die Krieger um Hilfe zu bitten, wenn sie sich für ihre Bedürfnisse entfernen mussten. Sie wurden misstrauisch beobachtet und stets überwacht. Zu den anderen Gefangenen, die dem Tross folgten, hatten sie bisher keinen Kontakt. Nur aus der Ferne beobachteten sie, wie die Fremden ihre Kolonne führten. Die seltsamen Schweine wurden von Soldaten vorwärtsgetrieben und die Ausrüstung auf die Sklaven verteilt.

      Maisblüte wunderte sich darüber, was die Fremden alles mitschleppen. Sie hatte gesehen, dass für den Anführer stets ein eigenes Zelt aufgebaut wurde, das mit seltsamen Gestellen ausgestattet war, an die der Mann sich setzte, um zu essen. Er hatte Tuscalusa zu so einem Essen eingeladen und mit dem Fleisch der fetten Schweine bewirtet. Hierbei hatte der Häuptling zum ersten Mal Bewunderung geäußert und anschließend seinen Kriegern zugezwinkert, dass er im Falle eines Sieges diese Schweine als Beute wollte. Dies hatte die Runde gemacht und auch die Mädchen hatten darüber gelacht.

      Maisblüte konnte darüber nur den Kopf schütteln. „Fleisch haben wir doch wahrlich genug. Ich möchte lieber eins von diesen großen Wesen. Es muss lustig sein, darauf zu sitzen.“ Sie hatte beobachtet, dass die neuen Tiere meist sanft waren, wenn die Reiter nicht auf ihnen saßen. Außerdem fraßen sie nur Gras und Mais. Das hatte ihre Angst etwas gedämpft. Vielleicht waren es nur große Hunde, die freundlich waren, wenn man sie gut behandelte.

      Nebel-am-Morgen starrte sie sprachlos an. „Du würdest es wagen, auf diesen Tieren zu sitzen?“, fragte sie ungläubig.

      „Warum nicht?“ Maisblüte kicherte leicht, als sie sich ihrer eigenen Forschheit bewusst wurde.

      „Es sind böse Geister aus einer anderen Welt. Darum!“

      „Aber sie haben ganz sanfte Augen. Ich glaube nicht, dass es böse Geister sind“, verteidigte Maisblüte ihren Wunsch. „Sie sind nur böse, wenn diese Männer auf ihnen sitzen.“

      „Das wird der Heilige Mann entscheiden“, meinte Nebel-am-Morgen altklug. „Uns steht es nicht zu, über die Wesen zu urteilen.“

      Maisblüte schwieg lieber. Ihre Freundin hatte recht. Erst einmal mussten sie Mabila erreichen und diesen Fremden entkommen. Sie lagerten auf einer Halbinsel, die der Fluss formte. Der Haupttross lagerte an einer anderen Stelle, sodass die Mädchen die relative Ruhe genossen. Es war sogar möglich, dass sie sich badeten, ohne von Männern beobachtet zu werden. Maisblüte zog frische Kleidung an und packte ihre schönen Sachen in den Tragekorb. Gegenseitig kämmten sie sich die langen Haare und flochten dann strenge Zöpfe, in denen sich der Staub nicht so leicht verfangen würde.

      * * *

      Nach einer einfachen Mahlzeit wurden die Mädchen von den Kriegern zu einer Stelle des Flusses geführt, an der die Fremden bereits die ersten Kanus gebaut hatten. Maisblüte stand staunend am Ufer und beobachtete, wie diese mit Streitäxten aus seltsamem Material Bäume fällten und mit Schnüren zusammenbanden. Andere fällten große Bäume und höhlten sie mit Werkzeugen aus, die sie ebenfalls noch nie gesehen hatte. Maisblüte blickte auf das Gewimmel der Menschen und hörte auf die lauten unbekannten Rufe, mit denen sie sich Anweisungen zubrüllten. Sie wunderte sich über die schwere, unbequeme Kleidung, die diese Fremden trugen. Ihre Körper waren vollständig bedeckt, während die Krieger ihres