Kerstin Groeper

Donnergrollen im Land der grünen Wasser


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eben hatte er ihm auch eine liebenswerte Seite gezeigt. Eine Sanftheit, die er auch Kämenaw Nuki gegenüber zeigen würde.

      * * *

      Am nächsten Tag ehrten sie erst Geister mit einem Tabakopfer, ehe sie sich auf die Suche nach den grünen Steinen machten. Wakoh hatte sich unsichtbar gemacht und versteckte sich am hochliegenden Ufer, um mögliche Feinde auszuspähen. Die anderen suchten den Fluss ab und fanden bereits nach kurzer Zeit die seltsamen grünen Steine, die im Süden eine so wertvolle Handelsware darstellten. Umsichtig verstauten sie die Fundstücke in den Wildlederbeuteln, die sie mitgebracht hatten. Machwao streckte manchmal seinen Rücken, denn ständig in gebückter Haltung nach den Steinen zu suchen, war anstrengend. Nach den Arbeiten an seinem Kanu und dem langen Paddeln spürte er jeden einzelnen Muskel im Leib.

      Dann ertönte völlig unvermittelt der Warnruf ihres Freundes. Nachdem der Vormittag so ruhig verlaufen war, riss er die Freunde aus ihrer geruhsamen Suche nach dem Stein des Weißen Bären. Mit einem Hechtsprung rettete sich Machwao an das Ufer, während Wapus noch völlig irritiert im Fluss stand. Nur Awässeh-neskas hatte sich ebenfalls in Sicherheit gebracht.

      „Geh in Deckung“, schrie Machwao voller Angst seinem Freund zu. Endlich reagierte Wapus und suchte Schutz hinter einem Felsen. „Was ist los?“, rief er besorgt. Seine Augen waren rund, als er sich vorsichtig nach allen Seiten umsah.

      „Keine Ahnung!“, schrie Machwao zurück. „Wakoh hat uns gewarnt!“

      Erste Pfeile schlugen unvermittelt in der Nähe der Männer ein und alle duckten sich in die Deckung von Felsen oder Bäumen. So viele Feinde konnten es nicht sein, denn die Pfeile waren zählbar, nichtsdestotrotz gefährlich. Dann ertönte ein verzweifeltes Gurgeln und Stille breitete sich über den Arm des Flusses aus.

      Machwao wagte sich aus der Deckung und rannte in Höchstgeschwindigkeit auf die Böschung zu. Dann hechtete er kopfüber in ein Dickicht, tauchte hinter einen umgestürzten Baumstamm und schnappte nach Luft. Jetzt! Jetzt, würde ihn sicherlich ein tödlicher Pfeil treffen! Er wartete mehrere Atemzüge, doch nichts geschah. Erst dann wagte er es, sich vorsichtig auf den Bauch zu drehen und die Umgebung in Augenschein zu nehmen. Wo waren die Feinde? In einiger Entfernung beobachtete er, wie jemand durch den Wald schlich. Ohne zu denken erhob er sich aus der Deckung und bewegte sich in Richtung des Feindes. Er verschwendete keinen Gedanken daran, um wen es sich handelte, denn hier ging es nur darum, seine Freunde zu retten.

      Nach wenigen Schritten hatte er den Fremden eingeholt und mit einem furchterregenden Schrei warf er sich auf ihn. Genauso überrumpelt versuchte der fremde Krieger ihn abzuschütteln, doch Machwao hatte seine Kriegskeule erhoben und schlug erbarmungslos zu. Er fühlte nichts außer dem Willen, seine Freunde zu retten und selbst zu überleben. Kurz musterte er den Feind, den er mit einem kräftigen Schlag seiner Keule getötet hatte. Ja, er war jung, vielleicht in seinem Alter. Und er schien vom Volk der Anishinabe zu sein. Warum auch wagten sie sich in die Jagdgründe der Menominee? Abgesehen davon, dass die Menominee gar nichts dagegen hätten, wenn Anishinabe hier in der Gegend auftauchten. Die Häuptlinge suchten nach Möglichkeiten des Friedens mit allen benachbarten Völkern. Kurz wallte das Mitleid in Machwao hoch, einen so jungen Feind besiegt zu haben. Aber er war angegriffen worden und hatte keine andere Wahl gehabt.

      In einiger Entfernung hörte er den Siegesschrei von Wakoh, dem Fuchs, und er dankte es seinem Freund, dass er sie alle gewarnt hatte. Es war umsichtig gewesen, dass er angeboten hatte, über sie zu wachen.

      Machwao lief zum Flussufer zurück und gab mit Zeichen zu verstehen, dass Wapus und Awässeh-neskas gefahrlos aus dem Wasser kommen konnten. Sein Freund Awässeh-neskas, Bärenkralle, war verletzt und kam nur langsam aus der Deckung eines Felsens hervor. Ein Pfeil steckte in seiner Schulter und sein Gesicht war schmerzverzerrt. „Hoh, wo sind denn diese Feinde so plötzlich hergekommen?“

      Machwao lachte dunkel, als die Erleichterung ihn übermannte. Er hob die Hände in einer Geste der Unwissenheit. „Ich habe sie auch nicht bemerkt. Gut, dass Wakoh so aufmerksam war, sonst würden wir jetzt nicht mehr hier stehen. Lass mich dir helfen!“ Awässeh-neskas ließ sich in den Kies plumpsen und ähnelte nun wirklich einem kleinen Bären, der sich die Wunden leckte. Auf seiner Stirn sammelte sich trotz der Kälte Schweiß und er atmete keuchend. Fast sah es aus, als würde sein Geist ihn gleich verlassen.

      Wapus kniete sich neben den Verletzten und begutachtete die Wunde. Der Pfeil steckte tief in der Schulter und Wapus warf Machwao einen besorgten Blick zu. „Ich muss die Wunde weiten, um den Pfeil herauszuziehen. Er wird viel Blut verlieren. Hilfst du mir, ihn festzuhalten?“

      Machwao spürte, wie ihm die Kehle eng wurde. Sein Freund würde Schmerzen haben! Er konnte so etwas schwer aushalten. Er sah auf, als Wakoh angerannt kam. Außer Atem kniete auch dieser sich neben den Krieger und sah vorwurfsvoll von einem zum anderen. „Habt ihr meinen Warnruf nicht gehört?“

      Machwao schluckte seinen Zorn hinunter und warf ihm einen finsteren Blick zu. „Du urteilst vorschnell! Wir haben dich gehört, doch deine Warnung kam reichlich spät. Ein Pfeil fliegt schnell!“

      „Hoh!“ Wakoh schluckte die Kritik hinunter und schüttelte den Kopf. „Sie waren vorsichtig. Seht, was ich gefunden haben!“ Er zeigte den Männern einen ledernen Beutel, in dem bereits viele dieser grünen Klumpen lagen. Offensichtlich kannten auch einige Anishinabe den geheimen Platz und waren hierhergekommen, um sich daran zu bereichern.

      Machwao nickte kurz und zeigte dann auf den verletzten Freund.

      „Wir müssen den Pfeil herausschneiden. Hilf mir, ihn festzuhalten!“

      Awässeh-neskas schüttelte verneinend den Kopf. „Ich kann das alleine. Ihr müsst mich nicht festhalten.“

      Es war Wapus, der entschlossen ein Machtwort sprach. „Ich bohre nicht mit einem Messer in dir herum, ohne dass du festgehalten wirst. Ich kenne dich und will nicht von deinen Tatzen erschlagen werden, wenn du wütend wirst.“

      Awässeh-neskas rollte empört die Augen, dann ließ er sich widerstandslos nach hinten sinken. Seine Lider waren nun geschlossen und es sah aus, als würde er schlafen.

      Mit seinem Messer schnitt Wapus den Umhang über der Verletzung auf. Als Wapus die Wunde freigelegt hatte, drang er mit dem Messer am Schaft entlang in das blutende Fleisch. Er weitete die Wunde, bis er schließlich die Pfeilspitze erreicht hatte. Er musste verhindern, dass die Spitze in der Wunde blieb, wenn er den Pfeil herauszog. Das Blut floss in Strömen über den Körper des Verletzten und Awässeh-neskas bäumte sich auf. Machwao und Wakoh knieten fast auf den Armen von Awässeh-neskas, um ihn am Boden zu halten. Der Mann kämpfte gegen die Schmerzen an und seine Lippen wurden blutig, bis Machwao ihm ein Stück Leder in den Mund schob.

      Umsichtig schnitt Wapus das Fleisch um die Pfeilspitze herum auf und bohrte dann unter den Pfeil. Mit einer leichten Hebelwirkung versuchte er, den Pfeil nach oben zu schieben. Es ging ganz leicht, weil der Pfeil den Knochen noch nicht durchschlagen hatte. Kurze Zeit später lag der Pfeil im Kies und Wapus entfernte alle kleinen Teilchen, die er sehen konnte. Wenn Dreck zurückblieb, dann konnte sich die Wunde entzünden. Es blutete stark, doch das würde eher helfen, die Wunde zu reinigen. Awässehneskas lag ganz still da. Eine gnädige Ohnmacht hatte ihn von den Schmerzen befreit.

      Wapus öffnete sein heiliges Bündel und suchte nach den Kräutern und anderem Zauber, der seinem Freund bei der Heilung unterstützen würde. Aber er wusste, dass es besser wäre, schnell wieder heimzukommen. Die Wunde war schwer und es würde einige Zeit dauern, bis sie verheilt war. Sein Freund brauchte einen warmen Wigwam und Pflege. Sie hatten gefunden, was sie wollten, und jetzt hatte die Genesung des Freundes Vorrang. Außerdem musste das Volk wissen, dass Anishinabe in der Nähe waren.

       Der Kampf um Mabila

       (Im Süden)

      Maisblüte wollte zu ihrer Mutter, doch die Pflicht, aber auch die Angst, ließen sie verharren. Von draußen waren der Kampflärm und die Schreie der Krieger zu hören. Ihr Herz klopfte, als sie mit den anderen die heiligen Gesänge zum Sonnenvater schickte. Der Heilige Mann sang ebenfalls und begleitete die Gesänge wieder mit seiner kleinen Trommel. Sie war