doch für einen langen Fußmarsch war es besser, Mokassins zu tragen. Zwischen Mabila und dem nächsten Dorf musste ein Berg überwunden werden, der als unwegsam galt. Dann wickelte die Mutter ein wenig Wegzehrung in Maisblätter. Sie vertraute darauf, dass die Krieger unterwegs Wild jagten, aber ein bisschen getrocknetes Fleisch und Fladen würden Maisblüte unterwegs guttun. Dann suchte sie einen ausgehöhlten Kürbis, in dem Maisblüte Wasser mitführen konnte. Anschließend führte sie ihre Tochter zur Chukka des Hopaii. Dort würde sie mit den anderen Mädchen die Nacht verbringen, um dann am Morgen die Reise anzutreten.
Maisblüte verabschiedete sich mit einer Umarmung von ihrer Mutter, dann winkte sie ihrem Bruder zu, der am Fuß des Hügels stand und sich nicht traute, die Stufen emporzusteigen. Er war traurig, dass sie ging. Sie winkte ihm zu, um ihn aufzuheitern, und trat dann in die Chukka. Im Inneren saßen bereits die anderen Mädchen. Einige waren ihre engsten Freundinnen, andere waren aus anderen Dörfern zu ihnen gestoßen. Auch das war auf die Politik des Häuptlings zurückzuführen. Er verlangte aus allen Dörfern die edelsten Jungen und Mädchen, die mit großer Ehrerbietung behandelt wurden, aber nichtsdestotrotz Geiseln waren. Der Häuptling war großzügig und erlaubte Besuche, sodass es mehr ein Austausch von Beziehungen war. Auch zwei seiner eigenen Töchter wuchsen in zwei anderen Dörfern heran, um einst einen dortigen Häuptlingssohn zu heiraten.
Maisblüte erkannte einer ihrer Freundinnen und suchte ihre Nähe. Mit einem Lächeln setzte sie sich neben Nebel-am-Morgen und legte ihre Bündel ordentlich neben die Schlafmatte. Auch Vogel-im-Bach kam näher und bat schüchtern darum, neben ihnen liegen zu dürfen. Sie war etwas jünger als die beiden Freundinnen, eigentlich noch ein Kind. In Maisblüte erwachte der Beschützerinstinkt und sie nahm das Mädchen an der Hand. „Bleib nur bei uns! Wir passen auf dich auf!“
Vogel-im-Bach nickte beruhigt. „Habt ihr von diesen Fremden gehört?”, flüsterte sie.
Maisblüte schlug sich die Hand vor den Mund. „Hasch! Wir sollten nicht darüber reden. Allein laut darüber zu sprechen, kann schon Unheil auf uns lenken. Wir tun, was der Heilige Mann uns befiehlt. Mehr nicht!“
Alle Mädchen schwiegen plötzlich und starrten Maisblüte mit großen Augen an. „Schlaft jetzt!“, befahl Maisblüte. „Morgen haben wir einen langen Weg vor uns.“
Die Mädchen legten sich wie geheißen auf ihre Matten und schlossen die Augen. Einige waren müde und schliefen tatsächlich, andere lagen noch lange wach, und in ihren Gedanken spukten Bilder von den Fremden, denen sie begegnen würden, im Kopf herum.
* * *
Am Morgen wurden sie von lautem Rufen geweckt. Der Heilige Mann begrüßte die Sonne, die Wärme und ewiges Leben schenkte. Eilig packten die Mädchen ihre Bündel und stellten sich auf die Terrasse, die sich vor der Hütte befand. Mit großen Augen blickten sie auf die Abordnung, die sich am Fuß des kleinen Hügels zum Aufbruch formierte. Vorn stand der Häuptling inmitten seiner Krieger, dann folgten der Heilige Mann und seine Träger. Auf einen Ruf hin ordneten sich die Mädchen in den Zug, ebenfalls von Kriegern und Dienerinnen umgeben. An die zweihundert Personen machten sich auf den Weg nach Osten, um diesen Fremden zu begegnen. Der Häuptling sicherte sich nach allen Richtungen ab, denn zehnmal hundert Fremde waren eine gewaltige Bedrohung.
Nachdem sie die unmittelbare Nähe des Dorfes verlassen hatten, schritten sie durch schattige Wälder. Einige Blätter verfärbten sich bereits rot und gelb, sodass es in der Sonne ein prächtiges Farbenspiel gab. Moskitos schwirrten um die Menschen, die mit zügigen Schritten in Richtung Osten marschierten.
Sie folgten einem Trampelpfad, der zeitweise in der Nähe eines Flusses verlief. Das Tempo war schnell, sodass den Mädchen der Atem fehlte, um sich zu unterhalten. Dann wurde der Weg steiler, als sie einen Berg erklommen. Gegen Mittag schlugen sie eine kurze Rast ein und blickten schweigend über das Land, das sich unter ihnen ausbreitete. Sie hatten fast den Kamm erreicht und genossen den Ausblick. Wälder wechselten sich ab mit Dörfern und Feldern. In den Flussniederungen löste sich der Nebel auf, sodass ein leichter Schleier über dem Land lag. Es war ein reiches Land, in dem sie lebten. Die Wälder waren voller Wild, die Flüsse voller Fische und der Boden fruchtbar.
Maisblüte wischte sich den Schweiß von der Stirn und trank einige Schlucke aus der Kalebasse. Einige Gänse flogen am Himmel über sie hinweg und sie wedelte mit der Hand in Richtung des Schwarms. „Sie kommen, um zu überwintern!“
Vogel-im-Bach kicherte. „Stell dir vor, wir müssten immer so von Norden nach Süden ziehen!“
Maisblüte zuckte mit den Schultern. „Auch wir sind einst einen weiten Weg gewandert, um hierher zu gelangen. Vielleicht haben diese Vögel ihre Heimat noch nicht gefunden?“
„Meinst du?“ Die Augen des Mädchens wurden groß. „Es gibt so viele Vögel, die hin und her wandern! Vielleicht haben die alle ihre Heimat noch nicht gefunden?“
Maisblüte kicherte. „Oder sie finden es einfach nur lustig. Es muss doch schön sein, wenn man dort oben fliegt und die Erde unter einem dahingleitet. Fast so wie jetzt …!“ Sie deutete mit ihrer Hand auf die Landschaft.
„Oh, da würde mir schlecht werden …!“, wehrte Vogel-im-Bach ab. „Das ist mir zu hoch.“
Ihre Unterhaltung verstummte, denn die Krieger drängten erneut zum Aufbruch. Der Weg war nicht mehr so beschwerlich, denn es ging bergab.
Am Abend lagerten sie am Ufer eines Baches und Maisblüte nutzte die Gelegenheit, ihre Kürbisflasche wieder mit frischem Wasser zu füllen.
Am nächsten Tag erreichten sie das Dorf Piachi und übernachteten in einer Hütte, die eigens für sie hergerichtet worden war. Der Minko verbrachte die Nacht in seiner stattlichen Behausung, die ebenfalls auf einem künstlichen Hügel errichtet worden war. Maisblüte staunte, denn dieses Haus war noch größer und stattlicher als das Haus in Mabila, wenn das überhaupt noch möglich war. Das Dorf lag auf einem Hügel am Fluss Piachi, den sie am Morgen mit Kanus überqueren wollten. Auch dieses Dorf hatte Palisaden und schien wegen seiner erhöhten Lage kaum einnehmbar zu sein.
* * *
Als die Sonne höher stieg, wurde die Abordnung mit den Kanus über den Fluss gepaddelt. Maisblüte saß mit zwei anderen Mädchen in einem Kanu, das von zwei Männern des Dorfes geführt wurde. Es ziemte sich nicht, dass die Mädchen mit fremden Männern sprachen, und so achtete Maisblüte nur darauf, dass ihre Bündel nicht nass wurden. Am anderen Ufer wartete sie geduldig, bis alle übergesetzt hatten, und nutzte die Zeit, schnell ihre Sachen zu überprüfen. Manchmal leckten die Kanus und sie wollte nicht, dass ihre schöne Kleidung Wasserflecken hatte. Tuscalusa schickte die Männer des Dorfes zurück und gab Befehl, die Frauen und Kinder mit den Kanus fortzuschaffen. „Wir müssen diesen Fremden nicht noch helfen, sich in unserem Land zu bewegen!“ Er grinste ohne Humor und machte eine ungeduldige Handbewegung, die zeigte, dass er wusste, dass seine Befehle nicht in Frage gestellt wurden. Er sorgte sich um die Frauen und Kinder. Es war weise, sie in Sicherheit zu bringen. Außerdem würde es die Fremden aufhalten, wenn sie keine Kanus hatten, um den Fluss zu überqueren.
Einen Teil der Krieger schickte er in Richtung Mabila, um dort die Krieger zu verstärken. Maisblüte sah dies mit Argwohn. Würde es einen Kampf geben? Anscheinend waren die Berichte über diese Fremden besorgniserregend, aber sie wagte nicht zu fragen. Die nächste Nacht verbrachten sie zwischen einigen Hügeln. Feuer wurden entzündet, denn nachts wurde es kalt. Sie hüllten sich in Umhänge aus Hirschfell und legten Matten auf den Boden. Alle freuten sich darauf, am nächsten Tag Atahachi zu erreichen.
Der Sohn des Häuptlings war zurückgekehrt und berichtete von den merkwürdigen Dingen, die er gesehen hatte. Er sprach von Wesen, die auf riesigen vierbeinigen Tieren ritten, und von Menschen, die seltsamste Kleidung trugen. Er sprach aber auch von den vielen Menschen, die versklavt worden waren, um den Fremden die Lasten zu tragen. Mit einem höhnischen Lächeln erzählte er, dass der feindliche Häuptling Coosa schließlich von den Fremden freigelassen worden wäre. Aber sein Schicksal war trotzdem besiegelt worden, denn er fiel dem Sohn Tuscalusas in die Hände. „Wir fanden ihn auf dem schnellen Rückweg in sein Stammesgebiet, doch er entkam unseren Keulen nicht!“
Tuscalusa