Kerstin Groeper

Donnergrollen im Land der grünen Wasser


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dem aus die Krieger angreifende Feinde abwehren konnten. Der Eingang war mit einem Tor geschützt, das man erst durch einen Wehrgang erreichte, der von beiden Seiten befestigt war. Von hier konnte man Angreifer sogar von zwei Seiten her unter Beschuss nehmen. Die Menschen fühlten sich sicher hinter diesen Wänden.

      Maisblüte hielt ihren Blick sittsam gesenkt, als sie durch die Menschen schritt, die ihr ehrerbietig Platz machten. Dann stieg sie die Stufen zur Chukka des Hopaii empor. Auch andere Mädchen folgten ihr und verschwanden im Inneren. Die Mütter blieben draußen und warteten auf den Beginn der Zeremonien. Der Hopaii war ebenso in sein prächtigstes Gewand gekleidet. Er trug einen Schurz aus Jaguarfell, das von Stämmen weiter westlich gehandelt worden war. Seine Schultern waren mit einem Poncho aus kostbar gewebtem Stoff bedeckt und auf dem Kopf trug er eine Haube aus Federn. Am Gürtel hing ein Köcher mit Pfeilen und am Rücken trug er einen reich verzierten Bogen, der nicht so sehr zum Jagen oder Kämpfen diente, sondern wiederum seinen Status betonte. Es hieß, dass seine Pfeilspitzen mit dem Gift der Klapperschlange benetzt waren und daher besonders tödlich wären. Seine heiligen Utensilien trug er in einem Korb, der aus Bast geflochten war. So ausgestattet wartete er in aller Ruhe, bis sich die Menschen in der Mitte des Dorfes versammelt hatten oder bereits den Weg zu den Feldern säumten.

      Mit wichtiger Miene schritt der Hopaii die Stufen hinunter, gefolgt von zwanzig Jungfrauen, die bereits die Schalen mit Sand und den Glutstücken trugen. Ein Sklave entzündete das Räuchergut und legte es dann in die Schalen, sodass sich sofort aromatischer Rauch ausbreitete. Die Prozession setzte sich in Bewegung und führte die Menschen aus dem Dorf heraus. Singend gingen sie zu den Feldern, in denen der Mais bereits hoch stand. Körbe standen am Feldrand, in denen später die Kolben geerntet werden sollten. Zwischen den Maisfeldern standen kleine Gerüste, auf denen die Wächter saßen und die Ernte vor den Krähen schützten. Aber auch Waschbären und Dachse machten sich gern an den leckeren Maiskolben zu schaffen. Die Bohnen und Kürbisse, die stets mit dem Mais gemeinsam gepflanzt wurden, waren bereits geerntet worden, nur einige Sonnenblumen säumten noch die einzelnen Felder.

      Hinter dem Hopaii ging der Minko. Auch er trug kostbar hergestellte Kleidung und einen hohen Federschmuck, der ihn wie einen Riesen erscheinen ließ. Tuscalusa war ohnehin schon ein Hüne, aber die Federn ließen ihn noch größer und eindrucksvoller erscheinen. Sein muskulöser Körper war mit Öl eingeschmiert, sodass er kriegerisch und gefährlich wirkte. Auch sein Körper war voller Tattoos, sodass manchmal die ursprüngliche Farbe seiner Haut nicht mehr zu erkennen war. Er war sich seiner Wirkung bewusst und umgab sich mit dieser Aura aus Gefahr, Bedrohung und gleichzeitig Schutz. Die wichtigsten Krieger begleiteten ihn, die seine Würde noch unterstrichen. Hier schritt ein Häuptling, der wahre Macht ausübte.

      Maisblütes Augen fanden den Vater, der die Prozession des Hopaii begleitete. Sie war stolz auf ihn und sie hoffte, dass er sie einst einem ebensolchen Mann gab. Noch war sie zu jung, um zu heiraten, obwohl es durchaus üblich war, schon junge Mädchen zu verheiraten, um sie abzusichern. Aber sie entstammte einer geachteten Familie und ihr Vater wollte abwarten, bis sie ihre ersten Riten hatte. Maisblüte sah wieder auf die Schale in ihren Händen und blies hinein, um das Räucherwerk anzufachen. Aromatischer Rauch stieg auf und sie lächelte zufrieden. Mit einem Fächer wedelte sie den Maispflanzen den Rauch zu, während sie anmutig durch die Reihen schritt. Die Jungfrauen hatten sich verteilt, sodass zwanzig Mädchen durch die Reihen gingen.

      Die Menschen standen am Rand und sangen ein Lied zu Ehren des Maises und schlugen dazu kleine Trommeln. Der Heilige Mann schritt ebenfalls durch die Reihen und schlug mit einer Keramiktrommel, die mit Leder überzogen und mit Wasser gefüllt war, einen gleichmäßigen Rhythmus, um mögliche böse Geister zu verscheuchen. Es dauerte den ganzen Vormittag, die Felder abzuschreiten. Erst dann gab der Hopaii das Zeichen, die Felder abzuernten. Singend schritten die Menschen mit ihren Körben durch die Reihen und brachen die Kolben von den Stängeln. Andere hieben die Stängel um, die später als Dünger oder als Baumaterial verwendet wurden. Alles verlief geordnet und mit ruhigen Bewegungen, weil die Menschen dies schon oft gemacht hatten. Die Aufgabe der Jungfrauen war getan und so kehrte Maisblüte mit den anderen Mädchen ins Dorf zurück, um sich umzuziehen. Dann eilte sie zu den Feldern zurück und half dabei, den Mais zu ernten.

      * * *

      Tage vergingen, in denen geerntet, der Mais von den Kolben geschabt und zum Teil zum Trocknen in die Sonne gelegt wurde. Fast hatte Maisblüte das Gespräch ihres Vaters mit dem Minko vergessen, so sehr war sie mit ihren Arbeiten beschäftigt. Nur die Ankunft weiterer Krieger aus Nachbardörfern zeugte davon, dass etwas Ungewöhnliches vor sich ging. Die Täler am Piachi-Fluss waren fruchtbar und daher dicht besiedelt. Jedes Dorf schickte Männer zur Verteidigung, während andere auch dort die Ernte einbrachten. Dann kam ein Kundschafter, den der Sohn des Häuptlings geschickt hatte, mit beunruhigenden Nachrichten zurück. Er berichtete von dem schnellen Vorwärtskommen der Fremden und mit welcher Brutalität sie dabei vorgingen. „Sie haben jedes Dorf auf ihren Weg ausgeraubt und geplündert! Meine Kundschafter erzählen auch von den Dörfern noch weiter im Osten. Dort sind im letzten Jahr seltsame Krankheiten ausgebrochen, die viele Menschen dahingerafft haben. Sie glauben, dass es die Fremden sind, die Tod und Zerstörung bringen. Wir müssen uns vorbereiten.“

      Maisblüte hörte von ihrem Vater über diese besorgniserregenden Nachrichten. Große-Schlange schüttelte energisch den Kopf.

      „Wir müssen diese Fremden aufhalten, ehe sie Tod und Zerstörung zu uns bringen! Der Heilige Mann soll seinen Zauber über sie ausbreiten, damit wir sie vernichten können!“

      Maisblüte erkannte sehr wohl die Gefahr, in die sie sich begab. Aber sie war eine Jungfrau und so war es ihre Aufgabe, das Volk zu schützen. Es war nicht mehr nur eine abenteuerliche Reise, sondern eine heilige Handlung. Sie musste packen, damit sie am nächsten Tag ihre Reise antreten konnte. Ihr war seltsam zumute, denn sie war noch nie von ihrem Dorf entfernt gewesen. Atahachi lag drei bis vier Tagesreisen von Mabila entfernt und mindestens einmal mussten sie einen Fluss überqueren. Sie hatte keine Ahnung, wie diese Fremden, von denen der Häuptling gesprochen hatte, sein würden. „Mutter!“, bat sie mit bangem Herzen. „Was wird von mir erwartet, wenn wir diesen Fremden begegnen?“ Die Mutter faltete einen Umhang zusammen und legte ihn bedächtig in einen Tragekorb. „Du wirst es wissen, wenn du dort ankommst! Mach dir keine Sorgen! Der Heilige Mann wird dir sagen, was zu tun ist. Und es werden so viele Krieger dabei sein, die euch schützen werden.“

      „Und wenn es zum Kampf kommt?“

      „Tuscalusa wird nicht in Atahachi kämpfen! Er lockt diese Fremden hierher. Warte nur ab!“ Die Mutter klang so zuversichtlich, dass Maisblüte ihre Zweifel beiseite schob. Es wäre respektlos, ihre Mutter weiter zu ängstigen.

      „Außerdem sind auch unsere anderen Dörfer befestigt. Wir haben überall Krieger, die sich zu verteidigen wissen“, fuhr die Mutter fort. „Du darfst dich nicht mit zu vielen Gedanken quälen, denn sonst kommt Impashilup und frisst deine Seele. Denke an gute Dinge, denn das wird dich schützen!“

      Maisblüte schob sich eine Strähne ihres Haares nach hinten, die ihr vor die Augen gefallen war. „Ach, ich bin einfach nur aufgeregt“, murmelte sie entschuldigend. Sie sagte nicht, dass auch die Dörfer der Stämme weiter im Osten befestigt gewesen waren. Dort hatten sich die Menschen nicht schützen können.

      Die Mutter lächelte. „Tochter! Ich wäre auch aufgeregt, wenn ich so eine Reise machen dürfte. Du wirst die anderen Dörfer sehen und viele Menschen treffen. Du hast eine wichtige Aufgabe!“

      Maisblüte nickte geschmeichelt. „Ja, ich weiß. Man ist nur einmal die Jungfrau des Heiligen Mannes. Bald werde ich eine Frau sein und heiraten, dann kann ich diese Dinge nicht mehr tun.“

      „Erinnere dich an die Tugenden und an die Aufgabe, die dir anvertraut wurden. Du begleitest den Hopaii und den Minko, um diesen Fremden zu begegnen und Schaden von uns abzuwenden. Das ist ehrenvoll.“

      Maisblüte senkte den Blick. „Ich weiß. Ich werde tun, was von mir verlangt wird.”

      „Hier, diese Sachen ziehst du auf der Reise an, damit deine schönen Gewänder geschont werden.“ Die Mutter gab Maisblüte einen einfachen Schurz und einen Umhang aus Hirschfell. Es wurde bereits kühl, sodass es