A. F. Morland

Extra Krimi Paket Sommer 2021


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ich werde eine schöne Bäckerin besuchen.«

      »Pass auf, dass sie dich nicht mit Mehl einstäubt, und bring mir eine frische Baguette mit.«

      »Zu Befehl!«

      Die Semperstraße lag in einem Viertel, das vor der Erfindung der Betonplatten entstanden war, und die Bäckerei Krone befand sich in einem kleinen Einkaufszentrum. Es roch nach frischem Brot und warmem Gebäck, die drei Frauen hinter der Theke hatten gut zu tun, Rogge musste sich in eine kleine Schlange einreihen.

      Inge Weber erkannte er nach den Bildern aus der Akte sofort. Zweite Hälfte dreißig, hundertfünfundsiebzig Zentimeter groß, knapp über sechzig Kilo, bestimmte Dinge registrierte er automatisch. Dunkelblonde lockige Haare, kurz geschnitten. Grüne Augen, hohe Wangenknochen, Stupsnase, breiter, voller Mund; ein schmales, ungewöhnliches Gesicht, das auffiel, das man nicht so leicht vergaß. Sie bewegte sich schnell und zielstrebig, Energie schien sie im Übermaß zu besitzen, aber sie lachte auch gerne und für jede Kundin hatte sie einen freundlichen Satz parat.

      Langsam rückte er vor. Jetzt konnte er auch die Worte verstehen, die sie mit den Kundinnen wechselte. Sie biederte sich nicht an, dazu schien sie zu intelligent, und sie achtete bei aller verbindlichen Freundlichkeit doch auf Distanz. Das graue Loch hatte ihr Selbstbewusstsein erstaunlicherweise nicht beschädigt, dachte Rogge flüchtig, und nach der kurzen Zeit, die er sie beobachten konnte, war er sicher, dass sie früher privat und auch beruflich, was immer sie getan hatte, beliebt und erfolgreich gewesen war.

      »Ja, bitte?«

      »Ich hätte gerne eine frische Baguette und ein Pfund geschnittenes Graubrot.«

      »Ja.« Als die Sachen auf der Glasplatte lagen, zückte er seinen Ausweis. »Außerdem möchte ich Sie gern sprechen, Frau Weber.«

      Sie hob die Augenbrauen, las seinen Ausweis und stöhnte leise: »In einer Stunde habe ich frei. Können Sie so lange warten?«

      »Kein Problem. Ich hole Sie ab, ja?«

      »Bis dann, Herr Rogge.«

      Mit etwas schlechtem Gewissen schlenderte er zu einem Geschäft auf der anderen Straßenseite. Kaufhäuser hasste er, die vielen Menschen, das Gewusel und die schlechte Luft stimmten ihn reizbar, aber neue Hemden brauchte er, daran führte kein Weg mehr vorbei; die Sandausche Freifrau drängte ihn, entweder zuzunehmen oder neue Anzüge zu kaufen. Im Krankenhaus und in dieser Folterwerkstatt von Reha hatte er fast fünfzehn Kilo verloren und darüber hinaus auch den Appetit. Schon vor dieser Schießerei war er mager gewesen, jetzt durfte er sich mit Fug und Recht als hager bezeichnen und Jacken und Hosen saßen großzügig, um nicht zu sagen: Sie schlotterten. Also neue Hemden und vielleicht ein, zwei Krawatten.

      Das kurze Kleid stand Inge Weber gut, er lächelte anerkennend, was ihr nicht entging. Lange Beine, schmale Hüften, ein schöner Busen; im letzten Moment verbot er sich, ihre Maße zu schätzen und in seinem Gedächtnis zu speichern.

      Während sie ihm die Hand gab, zerkaute sie ein Lächeln. »Wir kennen uns noch nicht.«

      »Nein. Kollege Grembowski hat den Fall heute abgegeben.«

      »Den Fall?«, spottete sie und schwang sich die Tragetasche über die Schulter. »Meinen Fall?«

      Die Sonne tat des Guten fast zu viel, Inge Weber setzte eine sehr dunkle Sonnenbrille auf, was Rogge bedauerte, ihre lebhaften Augen verrieten viel.

      »Sie sind eine Art Herausforderung für uns, Frau Weber.«

      »Das hat Ihr Kollege immer anders, etwas gröber formuliert.«

      »Kollege Grem neigt zu einer gewissen Direktheit«, stimmte er zu und lachte leise.

      »Das ist sehr diplomatisch ausgedrückt, Herr Rogge. Darf ich fragen, was Sie im Präsidium machen?«

      »Ich bin Leiter des Ersten Kommissariats.«

      »Des Ersten - das ist doch die Mordkommission?«

      »So heißen wir in den Krimis. Aber präzise definiert sind wir zuständig für Taten gegen Leib und Leben und die persönliche Freiheit.«

      »Das heißt konkret was?«

      »Wenn Sie zum Beispiel gewaltsam, gegen Ihren Willen, zu diesem Parkplatz gebracht worden wären, fiele das in meine Zuständigkeit.«

      »So ist das!« Sie holte tief Luft: »Herr Rogge, ich wollte eigentlich zu meinem Gymnastikklub.«

      »Mein Auto steht da drüben.«

      »Nein, danke, ich brauche Bewegung und frische Luft. Hätten Sie was dagegen, mich dorthin zu begleiten? Es sind nur etwa zwanzig Minuten.«

      »Gerne. Ich hocke sowieso zu viel am Schreibtisch.«

      Leider verbarg die Sonnenbrille ihre Augen, sie drehte kurz den Kopf zu ihm und Rogge vermutete, dass sie ihn halb erstaunt, halb amüsiert betrachtete.

      »Na denn.« Sie schlug ein beachtliches Tempo ein. Nach einer Weile gestand Inge Weber unvermittelt: »Mit diesem Herrn Grembowski bin ich nicht ausgekommen.«

      »Ja, ich kann’s mir gut vorstellen, Grem hält Sie nämlich für eine Simulantin.«

      »Und Sie? - Glauben Sie auch, ich spiele Theater?«

      »Nein«, erwiderte er friedfertig.

      »Gott sei Dank«, murmelte sie. »Aber Sie sind doch nicht vorbeigekommen, um mir das zu sagen?«

      »Nein, ich wollte Sie einmal sehen, mir ein Bild von Ihnen machen.«

      Das schien sie zu erheitern, aber sie antwortete nicht.

      Mehrere Minuten liefen sie schweigend, sie bog in den Reschenpark ab und erkundigte sich ernsthaft: »Gehe ich zu schnell?«

      »Nein, noch kann ich mithalten.«

      »Dieses Stehen - ich hab hinterher das Gefühl, meine Beine sind doppelt so dick.«

      »Können Sie sich zwischendurch nicht mal setzen?«

      »Doch, natürlich, aber heute war wieder ein Betrieb, man ist gar nicht dazu gekommen.«

      »Ja. Frau Weber, eine Frage hätte ich allerdings: Als Sie in Jödels Auto auf gewacht sind — wie haben Sie das alles betrachtet, das Auto, die Autobahn, dann die Polizei? Ist Ihnen das fremd vorgekommen? Oder vertraut?«

      »Darauf sind die Psychiater auch herumgeritten. Nein. Ich war natürlich erstaunt und verwirrt, eine ganze Zeit auch ängstlich, aber nicht wegen der Gegenstände oder Personen, sondern wegen meiner Situation.«

      »Sie sprechen ein völlig akzent- und dialektfreies Hochdeutsch.«

      »Alle vermuten - oder gehen davon aus, dass ich auch vor meinem grauen Loch in Deutschland gelebt habe.«

      Er nickte zufrieden. Auch Grem hatte in seiner persönlichen Beurteilung ihre schnelle Auffassungsgabe und Intelligenz hervorgehoben. Aber weil Grem sich in den Gedanken verrannt hatte, sie täusche den Gedächtnisverlust vor, war er nie auf die logische Alternative verfallen: Entweder schwieg Inge Weber über ihre Vergangenheit, weil ihr Gedächtnis tatsächlich blockiert war - oder sie schwieg, weil sie etwas zu verbergen hatte; in beiden Fällen durfte er von ihr keine Informationen erhoffen.

      Der Reschenpark war nicht groß, zweihundert Meter lang, um die fünfzig breit, ein grüner Fleck in dem dicht bebauten Viertel. Am Ausgang Collinistraße hielt Inge Weber sich links, jetzt schlenderte sie sehr viel langsamer.

      »Was werden Sie tun, Herr Rogge?«

      »Das weiß ich noch nicht«, wich er aus. »Mit Leuten reden.«

      »Verhaften Sie diese Psychiater!«

      »Warum denn das?«

      »Weil die mich wahnsinnig machen. Reden geschwollen daher, stehlen meine Zeit und produzieren nur warme Luft.«

      »Vorsicht,