lachte fröhlich, blieb stehen und nahm die Brille ab. »Ich bin da. Es hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen, Herr Rogge.«
»Ebenfalls, Frau Weber. Und viel Spaß bei der Gymnastik.«
Auf dem Rückweg zu seinem Auto setzte Rogge sich für eine Zigarettenlänge auf eine Bank im Park. Wenn Inge Weber heuchelte, hatte er es mit einer beachtlichen Gegnerin zu tun. Und dieser Spaziergang hatte nicht nur seiner Gesundheit genutzt, sondern ihm auch einen Anhaltspunkt gegeben: Sie war kräftig und energisch, keine Frau, die man rein durch Einschüchterung dazu bekam, ein Kleid und die Schuhe auszuziehen, brav in einem Auto sitzen zu bleiben und sich dann widerstandslos auf einem Parkplatz abladen zu lassen wie ein überflüssiges Möbelstück. Schön, vor der Mündung einer Pistole reduzierte sich jeder Mut, aber neben der körperlichen Kraft, eine Gegenwehr zu versuchen, verfügte sie auch über das nötige Temperament, um viel zu riskieren.
Auf der Rückfahrt ins Präsidium musste Rogge vor einer Ampel einmal hart auf die Bremse steigen, weil er das Umspringen auf Gelb verdöst hatte. Hinter ihm kreischten Reifen, instinktiv sah er in den Rückspiegel, es hatte gerade noch gereicht, aber zwischen beide Stoßstangen passte wahrscheinlich nur noch ein Blatt Papier. Entschuldigend hob er eine Hand, doch der Fahrer senkte rasch den Kopf, als wolle er verbergen, was er von dem Trottel vor ihm wirklich dachte.
»Blödmann!«, grummelte Rogge verärgert. Einer dieser unerträglich schönen Sonnenbrillentypen.
Den Rest der Strecke fuhr Rogge vorsichtiger, schaute häufiger in den Rückspiegel, aber er begann sich erst zu wundern, als er vom zweiten Ring in die Einbahnstraße abgebogen war und dieser Schönling immer noch hinter ihm hing. Wollte der was von ihm? Doch als er auf den Parkplatz des Präsidiums steuerte, gab der Knabe Gas und röhrte ganz knapp hinter seinem Heck vorbei. Es gab schon seltsame Geschöpfe auf Gottes weiter Welt!
Von den zehn Planstellen des Ersten Kommissariats waren drei nicht besetzt. Kollege Schubert lag nach einem Autounfall immer noch in der Klinik, der Trümmerbruch wollte einfach nicht verheilen. Nach der Versetzung der Kollegin Ackermann musste ihre Stelle im Zuge der Sparmaßnahmen sechs Monate frei bleiben. Für den Kollegen Henrich, der zu einem Lehrgang abgestellt war, gab es erst recht keinen Ersatz. Früher hatten zwei Frauen die Sekretariatsarbeiten im Dienstzimmer erledigt; seit dort der Computer Einzug gehalten hatte, war eine Stelle gestrichen worden. Es klemmte an allen Ecken und Kanten und die Schutzpolizei verlangte lautstark, mehr als bisher bei der Kripo zu sparen. Das immer schon wenig harmonische Verhältnis hatte einen bösen Knacks bekommen, nachdem das Tageblatt Anfang des Jahres ein von der Schutzpolizeiführung ausgearbeitetes Organisationskonzept veröffentlicht hatte. Danach sollten das Präsidium drastisch verkleinert und auf allen Revieren selbstständige Kriminalwachen eingerichtet werden. Uniform macht dumm und machtgeile Imperialisten hatte der Bund der Kriminalbeamten in seinem BdK-Verbandsorgan zurückgekeilt, was genau den falschen Auftakt für eine, wie Rogge fand, längst überfällige Reformdiskussion abgab. Im Moment wurde geschimpft, wann immer sich eine Gelegenheit dazu bot. Unmittelbar vor den Personalratswahlen hatte der BdK in einer Öffentlichkeitsaktion die ob der steigenden Kriminalität verunsicherten Bürger aufgefordert, Möbel und technisches Gerät für die völlig unzureichend ausgestattete und deshalb so erfolglose Schutzpolizei zu spenden; die Erfinder der Aktion rieben sich die Hände, es flössen tatsächlich Spenden, und die Schutzpolizeiführung, die zähneknirschend diese Wohltaten in Empfang nehmen musste, überlegte krampfhaft, wie sie diese Gemeinheit heimzahlen konnte. Seit einiger Zeit kursierten Memoranden und Unterschriftenlisten aller möglichen Gruppen im Präsidium und Rogge wollte nicht darauf wetten, dass seine Leute seine dienstliche Anweisung befolgten, sich aus diesem Zank herauszuhalten und keine Stellung zu beziehen. Natürlich war dieser Befehl längst im ganzen Haus bekannt und einte wahrscheinlich die Zerstrittenen wenigstens in einem Punkt, nämlich in ihrer Abneigung gegen den Leiter des Ersten K., der sich bis jetzt geweigert hatte, seine Meinung kundzutun. Grem gehörte zu den lautstarken Verteidigern der Kripo und reagierte wie der Stier auf das rote Tuch, wenn er nur die Wörter Gewerkschaft der Polizei hörte. Und er verfocht mit Grem’scher Sturheit die These, dass jeder gegen ihn sei, der sich nicht explizit für ihn aussprach.
Oberkommissar Hans Kirchbauer hatte alle zu der üblichen Abendbesprechung zusammengerufen. Obwohl Rogge sich hundertprozentig auf ihn verlassen konnte, war Rogge mit seinem Vertreter, der überall seine Ohren aufsperrte, das Gras wachsen hörte und jede Intrige im Voraus witterte, nie recht warm geworden. Das behinderte sie nicht im täglichen Geschäft, führte aber dazu, dass sie privaten Kontakt mieden.
Der Einzige, der diese Spannung nicht zu spüren schien, war Hauptmeister Kilian Haindl, ein schwarzlockiger Energie- und Temperamentsbolzen und umtriebiger Hansdampf in allen Gassen. Kili, wie er allgemein genannt wurde, hatte das große Los gezogen, bei einem steinreichen Onkel mietfrei in einem großzügigen Apartment zu wohnen und die gar nicht so alten Autos seines Onkels, wie er spottete, auftragen zu können. Geldsorgen kannte er folglich nicht, notfalls half der liebe Onkel aus, der immer noch hoffte, Kili würde eines Tages sein Geschäft übernehmen. So konzentrierte sich der Herzensbrecher in erster Linie auf Frauen, dann auf seine Computer und zum Schluss auf seinen Beruf. Rogge schätzte Kilis Intelligenz und Fantasie, bemängelte aber dessen Bereitschaft, fünf auch einmal gerade sein zu lassen.
Wie immer hatte es Kili geschafft, sich neben die Kollegin Petra Steiniger zu drängen, die ihn mit permanenter Missachtung strafte und seine täglichen Annäherungsversuche hoheitsvoll abprallen ließ, weshalb Kili sie gerne Petra Peiniger nannte. Dann allerdings startete die große Obermeisterin sofort unter die Decke. Sie war wirklich eine schöne Frau, was Kili automatisch herausforderte, und besaß einen dicken Kopf, was Kili einfach nicht wahrhaben wollte.
Dagegen gab die schüchterne Erika Scholz zu erkennen, dass sie für Kili viel übrig hatte, sehr zum Ärger ihres Kollegen Peter Dingeldey, der sich vergeblich um Erika bemühte. Obermeister Dingeldey kultivierte im Übermaß, was Kili Haindl abging, Gründlichkeit und eine schwerblütige Langsamkeit, die den Umgang mit ihm nicht eben erleichterten.
Kommissar Achim Born war der scharfe Hund des Ersten, klein, drahtig und ungeduldig. Mit Bello Born arbeitete niemand gern zusammen, weil Born verlangte, dass sich alles nach ihm richtete. Bei Kili zog er damit regelmäßig den Kürzeren, mit Dingeldey brachte er nicht die nötige Geduld auf und sein bevorzugter Partner Schubert, den ein gesundes Phlegma vor allen Aufregungen schützte, faulenzte im Krankenhaus, wie Born regelmäßig schimpfte. Permanenter Krieg herrschte zwischen Born und Hertha Wassmuth, ihrer Dienstzimmerkommandantin, die in dreißig Jahren so viele Kommissare hatte kommen und gehen sehen, dass der Grauhaarigen niemand mehr imponierte, geschweige denn Furcht einjagte. Tüchtig und zuverlässig war sie, das erkannten alle an, und Rogge schmunzelte oft bei dem Gedanken, sie habe von allen Kollegen am besten gelernt, sich durch Bärbeißigkeit unnütze Arbeit vom Halse zu halten. Anerkanntermaßen kochte sie den besten Kommissariatskaffee des Präsidiums und ihre Technik, für die Kaffeekasse zu sammeln, streifte oft den Tatbestand der Nötigung.
Die laufenden Fälle waren schnell besprochen, man konnte über Kirchbauer denken, was man wollte, sein Geschäft verstand er und Rogge saß deshalb schweigend auf der Fensterbank und hörte nur mit halbem Ohr zu, bis Kili ihn direkt anflachste: »Im Hause schleicht das Gerücht umher, du würdest den Leibwächter für eine schöne Frau spielen.«
»Simon hat mir diese Inge Weber aufs Auge gedrückt.«
»Ach nee! Will er Grem eins überbraten?«
»Möglich.«
»Was ist denn mit der Weber wirklich los? Simuliert sie?«
»Nein, das glaube ich nicht.« Dabei schüttelte Rogge unmerklich den Kopf, damit Kili seine nächste Frage verschluckte, die ihm auf der Zunge lag. »Ich habe auch schon eine Idee und werde in den nächsten Tagen was nachprüfen.«
»Das hört sich an, als würdest du dich ausklinken,«
»Ja, das habe ich vor. Im Augenblick braucht ihr mich nicht und für den Fall, dass es eng wird, hinterlasse ich bei Hertha, wo ihr mich finden könnt.«
Kili wollte noch etwas sagen, aber Rogge blinzelte ihm zu und sein Adlatus kapierte,