Klaas Kroon

Mord im Wendland


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Moment, lief dann aber hinter Kiste her in den Zufahrtsweg. Er sah auf sein Handy. »Scheiße, kein Empfang, wir können die Bullen nicht rufen«, stöhnte er, während sie den zugewachsenen Weg hinunterrannten, wobei sie sich durch dichte Mückenschwärme kämpften. Das Gewehr baumelte am Trageriemen um Olafs rechte Schulter und schlug ihm schmerzhaft gegen das Knie.

      »Ich habe doch gesagt, dass da was nicht stimmt«, sagte Olaf, als sie auf einen schmalen, nicht asphaltierten Waldweg einbogen. Nun rannten sie nicht mehr. Nach Luft schnappend gingen sie, so schnell sie konnten. Der Mond war hinter Wolken verschwunden. Es war wieder stockdunkel. Beide schwitzten aufgrund der körperlichen Anstrengung, aber auch, weil es in dieser Sommernacht sicher noch 24 Grad hatte. Handyempfang hatten sie nach wie vor keinen.

      »Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?«, fragte Kiste. »Ich meine, unser Wagen steht irgendwo da hinten.« Er deutete unbestimmt in den Wald.

      »Ja, glaub schon, das ist die richtige Richtung. Aber man kommt ja völlig durcheinander hier. Nur Bäume.« Olaf zog den Kompass aus der Tasche und sah ratlos darauf. Natürlich sagte ihm das Gerät nicht, wo sie den Golf geparkt hatten.

      »Hast du den Standort des Autos nicht in deinem Handy markiert, auf Google Maps?«, fragte Kiste, der seine Panik nicht verbergen konnte.

      »Nein, du Klugscheißer«, rief Olaf, »das wäre doch dein Job als Fahrer, oder?«

      Kiste zuckte mit den Schultern. Eine Zeitlang gingen sie schweigend den dunklen Weg entlang durch den Wald. Kiste rauchte seine letzte Zigarette. Ein Handynetz hatten sie immer noch nicht.

      »Ey, Olaf, meinst du, der Kerl, der das gemacht hat, ist hier noch irgendwo?«, fragte Kiste.

      »Glaube ich nicht«, sagte Olaf. »Der ist weg. Das ist schon ein paar Stunden her.«

      »Ach echt? Bist du jetzt ein verfickter Rechtsmediziner, oder was?«, sagte Kiste.

      »Mal was anderes, Kiste«, sagte Olaf und bemühte sich, beim Sprechen die wirren Gedanken in seinem Kopf zu ordnen. »Wenn wir die Bullen rufen, was erzählen wir denen denn, warum wir mitten in der Nacht auf diesem Hof waren? Mit einem Gewehr.«

      »Äh, ja, wir waren auf der Jagd. Schwarzwild. Das hat Saison, glaube ich.«

      Olaf blieb stehen und sah Kiste verwundert an: »Ach, bist du jetzt hier der Oberförster? Dann vergiss aber nicht, dass wir beide weder einen Jagdschein noch eine Besitzkarte für die Wumme haben.«

      Sie gingen weiter die Straße entlang. Beide dachten nach. Es schien nun wichtiger, die richtige Geschichte zu finden als das Auto.

      »Das Gewehr verstecken wir irgendwo«, sagte Kiste schließlich. »Und wir sagen einfach, dass wir spazieren waren. Schöne lauschige Sommernacht. Weißt schon.«

      »Als schwules Pärchen, oder was? Du spinnst doch, Kiste.«

      »Nein, wir haben uns verlaufen. Beim Wandern, als es dunkel wurde.«

      »Vergiss es. Das glaubt uns niemand. Am besten, wir sehen zu, dass wir den nächsten Ort erreichen und rufen dort von einer Telefonzelle aus anonym die Polizei an.«

      In einiger Entfernung kreuzte eine Landstraße. Das erkannten sie daran, dass schon zwei Autos mit hoher Geschwindigkeit vorbeigefahren waren. Es war sicher nicht die Straße, an der ihr Golf stand. Aber vielleicht konnten sie von dort ein Stück trampen.

      An der Landstraße angekommen, waren sie erneut ratlos. Links oder rechts? Sie entschieden sich für rechts, denn Olaf war sicher, dass es dort nach Gartow ging, einem Kaff, dessen Namen er auf dem Hinweg auf einem Schild gelesen hatte.

      »Eine Telefonzelle«, murmelte Kiste vor sich hin, »wo gibt es denn im verfickten Handyzeitalter noch eine Telefonzelle?«

      In diesem Moment näherte sich von hinten ein Fahrzeug. Ohne lange nachzudenken, streckte Olaf den Daumen raus. Als das Auto näher kam, erkannte er, dass es die Polizei war. Zu spät. Der Streifenwagen hielt an.

      Kapitel 3

      Sabine Langkafel war hundemüde. Stunden nach Feierabend war ein Notruf eingegangen, und weil sie die Einzige war, die in der Nähe der Polizeistation Gartow wohnte, musste sie raus. Genau genommen lebte auch ihr Vorgesetzter Jakob Metzger im Ort, sogar in der kleinen Wohnung über der Wache in dem hübschen Rotklinker-Fachwerkhaus, aber Metzger war an einem Freitagabend nach 24 Uhr nicht mehr fahrtüchtig. Eigentlich an keinem Abend der Woche.

      Also hatte Sabine sich entgegen den Gepflogenheiten alleine aufgemacht. Ein richtiger Notruf war es sowieso nicht. In Trebel lief offenbar eine Gartenparty aus dem Ruder, und mehrere Nachbarn hatten die 110 gewählt und die Beamten beschimpft, die darauf hingewiesen hatten, dass das für solchen Kleinkram die falsche Nummer sei.

      Die zehn Kilometer über die schnurgerade B493 durch den Wald bis Trebel legte Sabine mit dem Streifenwagen um diese Nachtzeit in weniger als zehn Minuten zurück. Als sie in die Straße einbog, die als Herd der Unruhe gemeldet worden war, drang der Partylärm durch das offene Fenster zu ihr. Überall am Straßenrand waren Autos geparkt. Kennzeichen aus der Gegend, aber auch aus Hamburg und Celle.

      Vor einem großen, modernen Einfamilienhaus hielt sie an. Eine Handvoll junger Leute stand und saß im Vorgarten, Flaschen und Gläser in den Händen, einige tanzten. Durch die geöffnete Eingangstür und die beleuchteten Fenster sah Sabine noch mehr Menschen. Das Haus war regelrecht vollgestopft mit Partygästen. Und sie vermutete, dass es dahinter im Garten weiterging. Technomusik dröhnte zu ihr herüber, begleitet vom Lachen und Kreischen der Feiernden.

      Sabine stieg aus dem Streifenwagen, verschloss ihn, setzte die Dienstmütze auf und ging auf das Gebäude zu. Es war immer noch sehr warm, deshalb trug sie nur Uniformhemd und -hose, keine Jacke. Zwei junge Kerle, 20 vielleicht, bemerkten sie und musterten sie von oben bis unten.

      »Du hast dich aber originell verkleidet, Süße«, sagte einer von ihnen. Er war offensichtlich völlig betrunken. »Bist du die Stripperin, die Emil uns versprochen hat?«

      »Ganz vorsichtig«, entgegnete Sabine und sah den Burschen böse an. »Sonst können Sie gleich im Wagen Platz nehmen.«

      »Ist ja schon gut«, sagte er verschreckt.

      »Wo finde ich denn den Veranstalter dieses exklusiven Events?«, fragte sie die beiden.

      »Der Emil? Der ist sicher im Garten. Am Pool. Oder so.«

      »Emil weiter?«

      »Emil Möller«, sagte nun der andere Junge, der nicht ganz so betrunken schien wie sein Freund.

      Sabine ging ums Haus und gelangte in einen großen Garten, der von einem offenen Swimmingpool beherrscht wurde. Neben dem Pool standen auf Stativen riesige Boxen. Bunte Scheinwerfer tauchten das Geschehen in eine discoartige Beleuchtung. In einer Feuerschale brannten dicke Holzscheite. Sabine schätzte, dass sich ungefähr 40 Leute im Garten aufhielten. Viele im Pool. Manche in voller Bekleidung, andere in Badesachen, ein Junge und ein Mädchen ganz nackt. Auf der Wiese lagen engumschlungene Paare, auf der Terrasse wurde getanzt. Niemand hier war über 25. Auf den zahlreichen Gartenmöbeln saßen die Menschen, lachten, tranken, rauchten und schliefen. Ein leichter Hauch von Marihuana wehte zu Sabine herüber.

      Die meisten der Feiernden nahmen keine Notiz von der Polizistin, die da mitten unter ihnen stand und ganz offensichtlich keine Stripperin war, sondern echt und bewaffnet.

      »Suchen Sie mich?«, fragte eine Stimme hinter ihr plötzlich. Sabine drehte sich um. Ein junger Mann lächelte sie herausfordernd an. Er war blond, groß, schlank, gutaussehend. Er trug eine kurze helle Leinenhose, sonst nichts. Sein trainierter Oberkörper war braungebrannt. Falls er so betrunken war wie seine Gäste, konnte er das gut verbergen.

      »Wenn Sie Emil Möller sind, dann ja.«

      »Haben sich meine Dorfdeppennachbarn wieder beschwert?«, fragte er und nahm einen Schluck aus der Bierflasche, die er lässig in der Hand hielt. Eine junge Frau kam aus dem Dunkel des Gartens. Sie rückte sich ihren kurzen Rock und das knappe Top zurecht und stellte sich dicht neben Emil.

      »Man