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Soziale Arbeit in Palliative Care


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erheblich anwachsen. Etwa 30 % der Menschen über 80 Jahre und 50 % der Menschen über 90 Jahre sind pflegebedürftig (Kuhlmey und Schaeffer 2008, S. 80–92). 60 % der über 80-Jährigen haben chronische Schmerzen, ca. 600.000–900.000 Krebs, je 20 % haben eine Depression oder eine Demenz. Für die Versorgung dieser Menschen stellt der bedürfnisorientierte Ansatz von Palliative Care eine wchtige Orientierung in der gesundheitlichen Versorgungsplanung dar. Praktische und ethische Fragen in der medizinischen und psychosozialen Betreuung alter Menschen werden die Gesundheitsversorgung in den nächsten Jahren wesentlich bestimmen.

      Die Betreuung alter und hochbetagter Menschen unter palliativen Aspekten wird in den nächsten Jahren eine der größten Herausforderungen in der Medizin und im sozialen Miteinander werden. Die Prinzipien, die durch Palliative Care wieder stärker in die Debatte zur Versorgung aber auch zu Entscheidungsproblemen am Lebensende hineingetragen wurden, stellen hier eine wichtige Orientierung dar.

      Zur Palliativmedizin bzw. Palliative Care gehört nicht nur die Linderung körperlicher Symptome, sondern vor allem auch ein die individuelle Lebenssituation berücksichtigendes Verständnis des Leidens sowie Zeit und Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen des Krankseins und Sterbens, die im medizinischen Alltag meist nicht vorhanden sind. Dies erfordert eine personale, am bio-psycho-sozialen Modell orientierte Herangehensweise, die den kranken Menschen mit seinen biografischen Besonderheiten, gesunden Potenzialen und tragfähigen sozialen Bezügen in den Mittelpunkt stellt. Für Patienten mit fortgeschrittenen Erkrankungen ist dieser Ansatz besonders wichtig. Die Belastung durch körperliche Beschwerden und besonders auch das Leiden in der Sterbephase können gemindert werden, wenn kommunikative und spirituelle Dimensionen des Leidens frühzeitig berücksichtigt werden (vgl. Müller-Busch 2004).

      2.2 Interdisziplinäre Aufgaben und multiprofessionelle Orientierung von Palliative Care

      In der im Jahre 2002 revidierten Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird darauf hingewiesen, dass Palliativmedizin/Palliative Care ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien ist. Dazu gehört nicht nur das Lindern von belastenden Symptomen und Leiden, sondern insbesondere auch die Prävention. Dies geschieht durch »frühzeitige Erkennung, die sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art« (World Health Organization 2002c). Durch eine ganzheitliche Herangehensweise soll Leiden umfassend gelindert werden, um Patienten und ihren Angehörigen bei der Krankheitsbewältigung zu helfen und deren Lebensqualität zu verbessern. Palliativmedizin bejaht das Leben und sieht im Sterben einen natürlichen Prozess. Das Leben soll nicht künstlich verlängert und der Sterbeprozess nicht beschleunigt werden. Palliativversorgung soll interdisziplinär und multiprofessionell erfolgen, so heißt es in der Präambel der Satzung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP 2008). Wenn man sich vergegenwärtigt, dass von jedem Sterbefall im Durchschnitt vier bis fünf Angehörige betroffen sind, die in der Trauer Unterstützung und in manchen Situationen durchaus auch professionelle Begleitung benötigen, dann zeigt das, welche Dimension das Sterben auch für die sozialen Berufe hat.

      In einer zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin in vielen palliativmedizinischen Einrichtungen regelmäßig durchgeführten Erhebung wurde festgestellt, dass neben den somatischen Problemen bei 37,5 % der Patienten psychische Belastungen vorliegen, für die in fast 40 % der Fälle eine Indikation zur speziellen psychosozialen Unterstützung als notwendig erachtet wird (Lindena et al. 2005, S. 555–565). Weitere Untersuchungen zeigten, dass psychosoziale Interventionen wesentlich dazu beitragen können, krankheitsbedingte Belastungen und Suizide bei Angehörigen von Patienten mit unheilbaren Erkrankungen zu reduzieren.

      Palliative Aspekte sollten nicht erst dann erwogen werden, wenn nichts mehr getan werden kann, sondern sie sollten kurative Behandlungsstrategien begleiten und ergänzen, falls dies erforderlich ist. Neben fachlicher Kompetenz zu einer umfassend angelegten Beschwerdelinderung erfordern palliativmedizinische Konzepte auch eine multiprofessionelle und interdisziplinäre Herangehensweise an die Sorgen und Probleme der Patienten und die der Angehörigen. Dies gilt im Besonderen für Menschen mit Krebserkrankungen, aber inzwischen auch – trotz der großen Fortschritte in der Medizin – für Menschen mit lebensbegrenzenden und belastenden kardiopulmonalen Erkrankungen sowie für Patienten mit neurologischen Systemerkrankungen in fortgeschrittenen Erkrankungsstadien. In Abhängigkeit von der Prognose der Grunderkrankung lassen sich deshalb auch in der Palliativmedizin unterschiedliche Stadien von der Rehabilitation bis zur eigentlichen finalen Sterbephase unterscheiden. Der palliative Ansatz ist neben Prävention, Kuration und Rehabilitation ein unverzichtbarer Teil einer menschengemäßen Medizin und sozialen Begleitung schwerstkranker Menschen, der in allen Berufsfeldern stärker berücksichtigt werden sollte.

      Effektive Kommunikation, reflektiertes Entscheiden sowie transparentes (nachvollziehbares) Handeln können als Kernelemente der Palliativmedizin bzw. von Palliative Care angesehen werden. Wille und Wohl des Betroffenen stehen im Mittelpunkt des Dialogs aller, die einen Menschen, der sich krankheitsbedingt nicht mehr mitteilen bzw. aktuell nicht entscheiden kann, begleiten. In Betreuungseinrichtungen der Palliativ- und Hospizversorgung sind diese Aspekte selbstverständlich – in Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern und sonstigen Orten des Sterbens bestehen hierzu leider oft noch erhebliche Defizite. Effektive Kommunikation bedeutet, Krankheit nicht nur als pathophysiologische Funktionsstörung, sondern als Prozess und Kranksein als individuelle Erfahrung zu berücksichtigen. Es bedeutet aber auch, alle Dimensionen des Krankseins zu erfassen, zu wissen, wo bzw. in welcher Lebenssituation sich der andere befindet und welche Werte er hat. Es bedeutet gemeinsame Ebenen zu finden und alle Aspekte von Heilung im Blick zu haben. Reflektiertes Entscheiden beruht darauf, im Dialog immer dem Willen des Patienten auf der Spur zu sein, egal ob es um Therapiewünsche am Lebensende, die Interpretation von Patientenverfügungen, den Umgang mit Sterbewünschen oder die Beendigung lebensverlängernder Maßnahmen geht. Nur so werden Entscheidungen ermöglicht, die auf der Grundlage einer vertrauensvollen Beziehung von allen getragen werden. Transparentes Handeln sollte dazu beitragen, dass dieses für andere nachvollziehbar wird. Es kann weder bedeuten, alles zu tun, was möglich ist, noch alles zu tun, was gewünscht wird. Medizinische Indikation bestätigt sich im Dialog und verwirklicht sich in der Palliativversorgung, in der Begleitung des sterbenden Menschen und seines Umfeldes für ein Sterben unter würdigen Bedingungen. Neben bestmöglicher Symptomkontrolle benötigt ein gutes Sterben immer auch achtsame Nähe und Zuwendung sowie professionelle Unterstützung im Umgang mit psychosozialen und spirituellen Problemen.

      Weiterführende Literatur

      Müller-Busch HC (2012) Abschied braucht Zeit – Palliativmedizin und Ethik des Sterbens. Berlin: Suhrkamp.

      3 Entwicklungen am Beispiel des Christophorus Hospiz Vereins e. V. in München (CHV)

      Josef Raischl und Hermann Reigber

      3.1 Die Anfänge

      Im katholisch-nachkonziliaren Jahr 1969 begleitete ein junger Jesuit seinen Mitbruder Pater Karl Rahner SJ, einen der größten katholischen Theologen des 20. Jahrhunderts, zum Empfang einer Ehrendoktorwürde nach England. Der junge Reinhold Iblacker SJ begegnete bei dieser Gelegenheit Dr. Cicely Saunders und der Hospizidee in Großbritannien (Seitz und Seitz 2002, S. 76–77). Die Begegnung inspirierte ihn, der in die Medienarbeit einsteigen wollte, über das St. Christopher’s Hospice in London einen Film zu drehen: 1971 lief »Noch 16 Tage« im ZDF. Die Hospizidee infizierte die Gesellschaft auf dem europäischen Kontinent mehr und mehr (vgl. Funiok 2018). Der Pater sollte bis zu seinem Tod im Jahr 1996 die deutsche Hospizbewegung inspirieren. Mit vielen Mitstreitern hat er dem Christophorus Hospiz Verein in München, dem ältesten deutschen Hospizverein, Gestalt und Richtung gegeben.

      Dabei spielten von Anfang an vielfältige Perspektiven eine Rolle, darunter gesellschafts- und sozialwissenschaftliche, religiös-spirituelle und philosophische, aber natürlich auch pflegerische und medizinische (vgl. Greiner 2019). Wie konnten diese Aspekte in die praktische Patienten-Versorgung integriert werden?

      »Kein Mensch scheint seelisch in der Lage, den Gedanken an seinen Tod zu ertragen