Wegen, uns gegen seine Macht zu wappnen und uns aus seinem Bann zu lösen […] Wir legen die Hand vor die Augen, um uns den Anblick des Schrecklichen zu ersparen.« (Nuland 1994, S. 15 f.)
Nuland berührt hier die Grundlagen der modernen, internationalen Hospizbewegung, der es nicht nur um eine humanere, kompetentere und umfassendere Versorgung Sterbender und ihrer Angehörigen geht, sondern auch um die Integration von Sterben, Tod und Trauer in das gesellschaftliche Leben, die (Wieder-)Entdeckung der fundamentalen Bedeutung des Todes für das Leben und die Lebenden. Annäherung, Akzeptanz, Anteilgeben und Anteilnehmen versus Ausgrenzung, Abschiebung, Isolation, Entfremdung.
»Alleinsein und dann allein gelassen werden wollen, keine Freunde haben und dann den Menschen misstrauen und sie verachten, die anderen vergessen und dann vergessen werden, für niemanden da sein und von niemandem gebraucht werden, um niemanden Angst haben und nicht wollen, dass einer sich Sorgen um einen macht, […]: der schreckliche Tod […]« (Sölle 1973; zitiert nach Kaldewey und Niehl 1992, S. 65).
Das Sterben ist vor allem auch ein soziales Geschehen, ein Prozess im Miteinander der Menschen – neben aller physischen Dimension (vgl. Schneider 2011)! »Wenn man recht erwägt, was eigentlich das Leben ist, so besteht es darin, seine Mitbürger sterben und geboren werden zu sehen« (Friedrich der Große am 10. August 1786; zitiert nach Kaldewey und Niehl 1992, S. 77). Die soziologische Perspektive, in der die handfesten medizinisch-pflegerischen Leistungen der Palliativversorgung zurücktreten, rückt die kulturell-philosophische Frage nach Haltung und Umgang mit Tod und Sterben sowie Trauer in den Mittelpunkt. In der bayerischen Begleitstudie zur SAPV 2010–2011 beeindruckt u. a. ein die Wirksamkeit dieser neuen Versorgungsform berührendes Ergebnis: Es ist gelungen, ein subjektives Gefühl der Sicherheit im Umgang mit dem Sterben zu Hause zu schaffen (vgl. Schneider 2010).
Für den CHV ging es von Anfang an um die Multiperspektivität, die
»im Idealfall […] zu einer Horizontverschmelzung führen kann, die es dem Team erlaubt, für den jeweiligen Menschen mitsamt seinem sozialen Umfeld die angemessene Form der Begleitung zu erspüren. Die psychosoziale und spirituelle Dimension stellt dabei jenen Mehrwert dar, der den Unterschied zwischen Cure (gesund machen) und Care (liebevoll betreuen) ausmacht« (Borasio 2011, S. 194).
3.2 Sozialarbeit und Palliative Care
Nicht von ungefähr stellte also der CHV bereits Ende der 1980er Jahre eine erste Sozialarbeiterin an. Es tut einem Sozialarbeiter gut, wenn er in dem so beeindruckend einfach und gut geschriebenen Buch »Über das Sterben« von Prof. Borasio liest: »Die Soziale Arbeit gehört zu den wichtigsten und am meisten unterschätzten Berufen in der Betreuung Schwerstkranker und Sterbender« (Borasio 2011, S. 82). Der Mediziner erläutert, welchen wesentlichen Beitrag die Soziale Arbeit in Palliative Care zu leisten vermag, nämlich den systemischen Blick und die Orientierung an den Ressourcen, die Aspekte des Empowerments, der Befähigung der sozialen Systeme, der Familien und Bezugspersonen einzubringen.
Jürgen Wälde, ein Sozialarbeiter im CHV, bearbeitete in seiner Diplomarbeit das Thema: »Der Beitrag der Sozialen Arbeit zum Palliative Care-Konzept der Hospizbewegung« (vgl. Wälde 1999). Er baut dabei das Selbstverständnis von Sozialer Arbeit in Hospiz und Palliative Care auf dem Hintergrund des ökologischen bzw. ökosozialen Paradigmas auf (Wälde 1999, S. 53). Lebensbelastungsfaktoren, wie eine schwere Erkrankung oder drohendes Lebensende, stören den Abstimmungsgrad zwischen Person(en) und Umwelt erheblich. Bewältigungsstrategien versuchen das Anpassungsgleichgewicht wiederherzustellen. Günstige Faktoren in diesem dynamischen Prozess sind nach Wälde: Beziehungsfähigkeit, ein Gefühl der Kompetenz, das nicht zuletzt darüber entscheidet, ob und wie Hilfe angenommen werden kann, das Selbstwertgefühl und ein Gefühl von Kontroll- und Steuerungsmöglichkeit, das betroffene Menschen in die Lage versetzt, Verantwortung zu übernehmen.
»Der berufliche Auftrag Sozialer Arbeit in der Perspektive des ökosozialen Paradigmas besteht nun in der gezielten Beeinflussung von Person-Umwelt-Wechselwirkungen – und zwar dahingehend, dass sie das Wachstums- und Entwicklungspotential der Menschen freisetzen […] und die Vielseitigkeit und die unterstützende Qualität der Umwelt befördern.« (Wälde 1999, S. 53)
Die Hospizbewegung in Deutschland versteht sich als Garant für eine integrierte Weiterentwicklung von Palliative Care – eines Fürsorge-Konzepts, das sich nicht isoliert spezialisiert und medizinisch-pflegerische Fertigkeiten und Versorgungseinheiten befördert –, die die Menschen in unserer Gesellschaft zwar als Nutznießer, jedoch nicht als Partner und Solidargemeinschaft sieht. So unbestritten wichtig und unentbehrlich Schmerz- und Symptomkontrolle innerhalb von Palliative Care sind, so unverzichtbar ist der Mehrwert der Multiperspektivität, die sich einer simplen Spezialisierung, Professionalisierung und schließlich Gettoisierung verweigert und sich stattdessen konsequent in sozio-kulturelle Dynamiken einbindet. Nicht eine Polarisierung ist hilfreich und zielführend (Student et al. 2004, S. 36), sondern mutige Schritte in beide Richtungen.
3.3 Stationen auf dem Weg
Die Geschichte des CHV zeichnet sich in der Weise aus, dass auf der Basis internationaler Vernetzung Ärzte, Pflegekräfte, Pädagogen, Psychologen und Therapeuten, Seelsorger und Sozialarbeiter in enger Verbindung mit bürgerschaftlich engagierten Freiwilligen sehr früh konkrete Anstrengungen in den Bereichen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, ambulante und stationäre Versorgung sowie organisatorische und politische Vernetzung unternahmen: Theorie und Praxis, professionelles Handeln und Bürgerbewegung, allgemeine und spezialisierte Versorgung, medizinischpflegerische sowie psychosoziale und spirituelle Perspektivität (vgl. Everding, Westrich 2003). Im Folgenden werden einige wesentliche Punkte ausgeführt.
3.4 Ambulanter Hospizdienst und Palliative-Care-Team
Im Jahr 1987 begann der CHV mit einer ersten Schulung von ehrenamtlichen Hospizhelfern. Die langjährigen und bewährten Modelle der ehrenamtlichen Klinikseelsorge bildeten eine sehr gute Grundlage. Die ambulante Hospizarbeit nahm ihren Anfang: Sozialarbeit und Pflege sollten sich um die Einbindung in die ambulanten Betreuungsnetze und die stationären Strukturen kümmern.
»Es fällt manchen Beteiligten noch schwer, zu akzeptieren, daß es bei dieser Vernetzung ›kein Oben und kein Unten‹, keine hierarchischen Strukturen geben darf. Nur dann steht der Patient wirklich im Mittelpunkt. Wer jeweils beteiligt ist an einer Begleitung, ist von Fall zu Fall verschieden.« (Diez und Diez 1996)
Wenn von Anfang an für den CHV die Gewinnung und Schulung von ehrenamtlichen Begleiterinnen und Begleitern eine Säule für die Entwicklung war, so ist sie dies auch nach über 25 Jahren. Heute sind etwa 220 sog. Hospizhelfer aktiv, wovon sich 180 in der Begleitung von Patienten einbringen. Jedes Jahr wurden etwa 30 geschult. Es zeichnet den CHV aus, dass er von Anfang an in der Leitung des ehrenamtlichen Dienstes auf die Kompetenz von Sozialer Arbeit und eine professionelle Einbindung und Koordination setzte. Wie leider häufiger in unserem Gesundheitswesen auf Bundes- und Landesebene, hatte die Soziale Arbeit das Nachsehen gegenüber der Pflege, als es 2001 um die Rahmenvereinbarungen zum § 39a Abs. 2 SGB V (Bausewein et.al. 2007, S. 11) ging (vgl. Hirsch und Raischl 2001 sowie von Hayek 2006). Die Koordinationsstellen sollten vor allem mit Pflegefachkräften besetzt werden.
Aus dem ursprünglichen Kern des CHV ist ein ambulantes Team von 6 Palliativpflegekräften, 8 Palliativfachkräften der Sozialen Arbeit und 5 Ärzten gewachsen. 2009 wurde mit den Krankenkassen in Bayern ein Vertrag zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) geschlossen. Die personellen Ressourcen stellen sicherlich ein Privileg dar. Das Team übernimmt Aufgaben in allen Bereichen des Christophorus-Hauses: Bildung, Öffentlichkeitsarbeit, ambulanter Hospizdienst, palliativ-geriatrischer Dienst, spezialisiertes ambulantes Palliativteam, stationäres Hospiz.
3.5 Palliativstation
Das erste sogenannte Christophorus Hospiz entstand 1996/1997 mit der Palliativstation im Städtischen Klinikum München-Harlaching. Der CHV unterstützte konzeptionell, personell und finanziell. Zur sorgfältigen Planung gehörte eine möglichst optimale Vorbereitung des Teams. Von Anfang an sollten ehrenamtliche Hospizhelfer das Stationsteam