Alexander Pelkim

Unheilvolle Vergangenheit


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      »Dann werde ich mich ein bisschen umschauen«, entschied Habich und drehte sich Richtung Tür, um gleich wieder kehrtzumachen. »Wo sich mein Kollege befindet, wissen Sie dann wohl auch nicht?«

      »Richtig! Er wollte glaube ich, zuerst mit den Angestellten sprechen, mehr weiß ich nicht.«

      Habich hob dankend die Hand und schickte sich an, das Büro zu verlassen, als er noch hörte, wie der ältere Birkner zu dem jüngeren Bruder sagte: »Wenn du mal Zeit hast, müssen wir uns unterhalten. Ich muss dir etwas anvertrauen.«

      Der Hauptkommissar hielt kurz inne und hörte die Antwort: »Jederzeit, sag mir nur, wann und wo.« Durch das Klingeln des Telefons wurde das Gespräch unterbrochen und Habich entfernte sich. Ihm ging der kurze Wortwechsel nicht aus dem Sinn. Hatte es etwas mit ihrem Fall zu tun oder war es harmlos und für die Ermittlungen uninteressant? Liebend gern hätte er mehr darüber erfahren, was Hermann Birkner seinem Bruder hatte sagen wollen. Sollte er noch mal zurückgehen und versuchen zu lauschen? Vielleicht würden die beiden Brüder nach dem Telefonat ihr Gespräch wieder aufnehmen. Die Entscheidung wurde Habich abgenommen, als der jüngere der Birkner-Brüder in diesem Moment das Büro verließ und zum Treppenaufgang ging, der in seine Wohnung führte. Habich ließ ihn gewähren und steuerte den Verkaufsraum an. Er wollte gerade die Tür öffnen, als ihm Rautner entgegentrat.

      »Wie weit bist du?«, fragte er ihn und deutete auf die Liste in Rautners Hand.

      »Ich habe bisher nur mit den beiden Ehefrauen von Hermann und Andreas Birkner reden können. Die zwei Mitarbeiter, die auf meinem Zettel stehen, sind schon in der Mittagspause«, sagte er mit einem Blick auf das Papier in seiner Hand und auf die Uhr. »Stefan Birkner, der Sohn des Chefs, ist heute außer Haus und dessen Frau Diana befindet sich noch an ihrer Arbeitsstelle. Sie ist Arzthelferin bei einem hier ansässigen Allgemeinmediziner. Ihre Mittagspause beginnt später und geht bis zum frühen Nachmittag, danach ist sie wieder bis abends im Einsatz.«

      »Und was sagen die Frauen?«

      »Sie hatten beide bei einer Weinprobe in ihrer Probierstube zu tun. Eine Gruppe bestehend aus fünfzehn Frauen und Männern wollte Weine verkosten. Cornelia Birkner hat sich um den Ausschank gekümmert und Waltraud Birkner die Erklärungen zum Wein beigetragen und Fragen beantwortet. Das Ganze begann gegen 18 Uhr und dauerte fast zwei Stunden. Danach haben sie noch die Bestellungen der Kunden fertig gemacht und alles für den nächsten Tag hergerichtet. Keine der beiden hat, laut ihren Aussagen, für längere Zeit die Veranstaltung verlassen. Wenn alles so stimmt, haben die Frauen für den Tatzeitraum ein Alibi.«

      »Na, dann sollten wir auch eine kleine Mittagspause einlegen. Ein Kaffee wäre jetzt recht«, meinte Theo. »Wenn mich nicht alles täuscht, gibt es ganz in der Nähe eine Bäckerei mit Café«, erinnerte sich der Hauptkommissar und strebte zum Ausgang.

      Aus dem Tor heraus, schlug Habich zielstrebig eine bestimmte Richtung ein. Rautner folgte ihm durch die Stöhrsgasse und vorbei am neu renovierten Benefizium, bis sie schließlich vor ihrem Ziel, dem »Franzenbäck« standen. Drinnen roch es herrlich nach frischen Backwaren. Zudem war nicht nur an der Dekoration und den Lichterketten deutlich zu sehen, dass es mit großen Schritten auf Weihnachten zuging, auch die im Verkaufsraum ausgestellten Christstollen, Plätzchen und Lebkuchen steuerten ihren Teil dazu bei. Im Café fanden sie ohne Schwierigkeiten einen Platz. Rautner bestellte sich einen kleinen Mittagssnack, Habich gelüstete es mehr nach etwas Süßem. Beide bestellten dazu einen großen Pott Kaffee. Nachdem die Bedienung ihre Wünsche aufgenommen hatte, setzte Theo Habich seinen Kollegen über die Unterhaltung mit den beiden Birkner-Brüdern ins Bild.

      »Was hältst du bisher von unserem neuen Fall?«, erkundigte sich der junge Kommissar, während sie auf ihr Essen warteten.

      »Sag du es mir, du hast doch am Samstag schon einen ersten Eindruck bekommen und bist mir voraus«, entgegnete Habich.

      »Wenn diese Sache mit den Druckstellen an den Oberarmen des Toten nicht wären, würde ich es immer noch für einen Unfall halten. Bisher gibt es keinen erkennbaren Grund für eine Gewaltanwendung.«

      »Na ja, der alte Birkner war vermutlich nicht immer ein angenehmer Zeitgenosse. Das gaben mir seine beiden Söhne auf ihre Art und Weise zu verstehen.«

      »Von der Sorte Mensch gibt es genug, da müsste die Mordrate bedeutend höher sein«, gab Rautner zu bedenken.

      »Auch wieder wahr«, brummte Habich und nippte an seinem Heißgetränk, das soeben vor ihnen abgestellt worden war. »Okay, wir haben noch nicht alle befragt und wenn dabei nichts herauskommt, dann müssen wir wie immer tiefer graben, um den Grund für seinen Tod zu finden.«

      »Also, die beiden Frauen können wir mit größter Wahrscheinlichkeit ausschließen … «

      »Dagegen sind die Ehemänner noch nicht aus dem Schneider«, überlegte Habich. »Mit diesem Fichtner, der bei Andreas Birkner gewesen sein soll, haben wir noch nicht gesprochen und Hermann Birkner war alleine im Büro. Seine Frau ist nach ihrer eigenen Aussage erst gegen 21 Uhr bei ihm gewesen.«

      »Aber warum sollte einer der Männer seinen eigenen Vater umbringen? Die Nachfolge war doch schon lange geregelt und ich vermute mal, alles andere auch.«

      Schulterzuckend antwortete Habich: »Es muss ja nicht absichtlich geschehen sein. Wenn sich der alte Birkner immer noch eingemischt hat, wer weiß, um was es ging. Vielleicht ein Streit, eine kleine Auseinandersetzung, ein Wortgefecht, eine Handgreiflichkeit, im Eifer oder in Wut, ein Griff an die Arme, ein Schubserer und zack, ist es passiert.« Der Hauptkommissar lehnte sich zurück und beobachtete, wie ihre Essensbestellung aufgetragen wurde. Mit Appetit machte er sich über das süße Teilchen her. Kauend murmelte er: »Es könnte natürlich auch ganz andere Gründe haben.«

      »Sehr geistreich«, grinste Rautner, »bei der Fußball-Talksendung im Fernsehen hättest du jetzt dafür ein paar Euro ins Phrasenschwein werfen müssen.«

      Habich wischte sich mit der Serviette den Mund ab und wollte gerade etwas entgegnen, als er durch die Türglocke abgelenkt wurde. Seine Aufmerksamkeit galt dem neuen Gast, der das Café betrat. Ein betagter weißhaariger, aber noch sehr vital wirkender Mann setzte sich an den leeren Tisch nebenan. Habich musterte den Neuankömmling, da er ihm bekannt vorkam. Erst nachdem der Fremde Platz genommen hatte, schien dieser die beiden Kommissare zu bemerken. Sein Blick kreuzte sich mit dem des Hauptkommissars.

      Ein leichtes Schmunzeln spielte um die Lippen des Mannes, während er Habich zunickte. »Hallo Herr Hauptkommissar, kennen Sie mich noch?«

      Sekundenlang herrschte Stille. Gerade wollte der Mann am Nachbartisch seine Stimme erheben, als Habich abwehrend die Hand hob. »Nein, sagen Sie nichts! Herr … Herr Boskov?«

      »Nein, Proskov … Horst Proskov.«

      »Genau, jetzt weiß ich es wieder! Damals bei dem Fall vor etlichen Jahren sind wir uns im ›Achterle‹ begegnet.« Habichs Erinnerung war wieder vollständig da. Es war in der soeben namentlich genannten Iphöfer Weinstube gewesen, wo er mit Geschäftsleuten zusammengetroffen war, in deren Runde sich der Weißhaarige befunden hatte. »Sie waren Lehrer, wenn ich mich recht besinne.«

      »Beides genau richtig!«, nickte Proskov lächelnd. »Und jetzt treffen wir uns wieder bei Ihrem nächsten Fall.« Der Satz klang mehr wie eine Frage.

      »Ahh, es hat sich schon herumgesprochen.«

      »Natürlich! Dahingehend ist Iphofen ein Dorf.«

      »Na ja, wir sind uns noch nicht ganz sicher, ob es ein Fall für uns ist. Dazu sind unsere Ermittlungen noch nicht weit genug fortgeschritten.«

      »Also könnte es auch ein … ein Unglück sein?« Proskov hatte nach dem richtigen Wort gesucht.

      »Hmm!«, war Habichs einziger Kommentar dazu, dann kam seine Gegenfrage: »Kannten Sie Karl Birkner gut?«

      »Das will ich meinen«, stimmte der ehemalige Lehrer zu. »Er war zwar eineinhalb Jahre älter als ich, aber wir kannten uns schon in jungen Jahren und waren Freunde, wenn man das so bezeichnen darf.«

      »Möchten