Alexander Pelkim

Unheilvolle Vergangenheit


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Behälter und Utensilien, die ein Weingut eben so zu bieten hatte, sonst gab es vor Ort nichts Besonderes, war Rautners Fazit.

      Der uniformierte Polizeibeamte, der bisher schweigsam dabeigestanden hatte, gab Auskunft. Er zeigte auf den Leichnam und erklärte den beiden Kommissaren: »Das ist Karl Birkner, der Senior des Weingutes. Es konnte uns niemand sagen, was er hier unten wollte. Scheinbar gibt es keine Zeugen des Unglücks.«

      »Okay. Mit wem von der Familie können wir reden? Wer ist jetzt verantwortlich?«

      »Hermann Birkner, der Sohn des Toten, leitet das Weingut. Dessen Sohn hat seinen Opa gefunden.«

      »Danke.« Rautner nickte dem Beamten zu. »Wo können wir die Herrschaften finden?«

      »Oben, irgendwo im Haus.«

      Ohne sich weiter um die zwei Frauen zu kümmern, stieg Rautner die Treppe hinauf. Die Gerichtsmedizinerin und Jasmin sahen sich überrascht an, zuckten die Schultern und zogen die Mundwinkel hoch.

      »Chefallüren«, murmelte Jasmin, nur für Frau Doktor hörbar, die daraufhin verständnisvoll lächelte.

      »Sie hören von mir, wenn ich Ergebnisse habe«, rief sie Rautner laut hinterher. Der Angesprochene zeigte keine Reaktion. An Jasmin gewandt meinte sie: »Also, ich melde mich«, nahm ihre Tasche in die Hand und machte sich ebenfalls auf den Weg nach oben. Auf halber Höhe drehte sich Dorothea Wollner noch einmal um. »Vor morgen Abend wird das aber nichts mit einem Ergebnis. Ich habe noch mehr ›Kundschaft‹, die im Kühlfach der Gerichtsmedizin auf mich wartet.«

      Nachdem Kommissarin Blume den uniformierten Kollegen gebeten hatte, so lange zu bleiben, bis die Leiche abtransportiert worden war, folgte sie den beiden hinauf.

      Jasmin trat aus der Halle ins Freie und nahm gerade noch wahr, wie Rautner im Haus schräg gegenüber verschwand. Der Hof hatte sich inzwischen deutlich mit Menschen gefüllt, die von Stand zu Stand wanderten. Viele begutachteten zuerst die angebotenen Waren oder taten sich an kleinen Kostproben gütlich, bevor sie sich entschieden, wo und was sie kaufen wollten. Eilig folgte Jasmin ihrem Kollegen ins Haus. Sie schloss die Haustür hinter sich und plötzlich wurde es ganz still. Jegliches Stimmengewirr und die Marktgeräusche waren auf einmal wie erloschen. Jasmin blieb stehen, um sich zu orientieren. Dann vernahm sie Wortfetzen aus einem der angrenzenden Räume. Sie ging in Richtung der Stimme, als sie in einem der vorderen Zimmer eine Frau sprechen hörte. Sie schien zu telefonieren. Obwohl die Tür leicht geöffnet war, konnte Jasmin ihre Worte nicht verstehen. Durch den Spalt erkannte sie einen Büroraum und eine gut proportionierte dunkelblonde Frau, deren Tonfall erregt klang. Die Neugier der Kommissarin war geweckt. Sie trat näher an die Tür heran und lauschte.

      »Glaubst du, wir haben nicht aufgepasst?«, klang es empört. »Schwiegervater hat schon immer das gemacht, was ›er‹ wollte. Aus der Ferne lässt sich leicht reden. Du warst ja nicht jeden Tag da und musstest dich mit ihm auseinandersetzen.« Es wurde still im Zimmer. Vermutlich redete gerade derjenige oder diejenige am anderen Ende der Leitung. Dann erfolgte die Antwort. »Das kannst du halten, wie du willst. Ich muss jetzt Schluss machen, wir haben die Polizei im Haus und es ist Markttag.«

      Kaum hatte sich Jasmin einige Schritte von der Tür entfernt, als diese sich öffnete und die Dunkelblonde heraustrat. Beim Anblick der jungen Frau stutzte sie. »Was machen Sie hier? Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie etwas ungehalten. Man merkte ihr ihre Erregtheit an, die Jasmin als Auswirkungen des Telefonates interpretierte. Vermutlich glaubte die Frau ihr gegenüber im ersten Moment, dass sich einer der Marktbesucher ins Haus verirrt habe.

      »Entschuldigen Sie, ich suche meinen Kollegen«, antwortete Jasmin und zückte ihren Dienstausweis.

      »Oh, jaja, kommen Sie, er ist dort hinten.« Sie warf nur einen flüchtigen Blick auf den Ausweis und zeigte den Gang entlang auf eine Glastür, an der das Schild »Privat« stand.

      »Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«

      »Ich bin Waltraud Birkner, die Frau von Hermann Birkner, der das Weingut leitet.« Während der Erklärung ging sie voraus. »Muss denn dieser Aufwand wirklich sein? Ich meine … also, ist das denn kein … kein natürlicher Tod … gibt es da etwa Zweifel?«, druckste Frau Birkner herum.

      »Nun ja, da niemand dabei war und gesehen hat, wie es passierte … « Jasmin ließ den Rest ihrer Andeutung offen. »Wollen Sie nicht auch wissen, ob Fremdeinwirkung im Spiel war? Die Obduktion wird uns Gewissheit liefern.«

      Die beiden Frauen betraten den privaten Bereich der Familie Birkner. Von der Diele aus hörten sie jemand reden. Auf der rechten Seite stand die erste Tür zur Hälfte offen, von dort drang eine Stimme zu den Frauen heraus.

      »Das ist das Wohnzimmer, gehen Sie ruhig hinein«, forderte Frau Birkner Jasmin auf und deutete auf die Tür.

      Als die Kommissarin eintrat, vernahm sie gerade Rautners Worte: »Sie haben keinerlei Vorstellung, was Ihr Vater da unten zu suchen hatte?«

      In dem Zimmer erblickte Jasmin fünf Personen. Drei davon saßen verteilt auf Sesseln und Sofa, ein junger Mann lehnte an der Fensterbank. Mit dem Rücken zum Eingang stand ihr Kollege mitten im Raum und führte seine Befragung durch.

      »Nein! Niemand von uns hatte eine Ahnung, dass Vater gestern Abend in den Keller wollte.« Hermann Birkner schüttelte den Kopf.

      Ein zweiter Mann, mit ähnlichen Gesichtszügen wie die des korpulenten Weingutchefs, meinte nachdenklich: »Ich kann mir nur vorstellen, dass er ganz einfach noch mal eine Kontrollrunde machen wollte, da heute Vormittag eine Kellerführung geplant ist.« Der Sprecher war Andreas Birkner, der jüngere Bruder von Hermann. Von der Statur her bedeutend schlanker als sein Bruder, konnte er im Gegensatz zu diesem nur mit einem leicht angedeuteten Bauchansatz aufwarten und besaß noch sein volles dunkelbraunes Haar. Er war im Weingut für die Kellerarbeiten und den Weinausbau verantwortlich. Das dunkelhaarige weibliche Wesen neben ihm entpuppte sich als seine Ehefrau Cornelia, die schweigend das Geschehen verfolgte.

      »Sie haben gestern Abend niemand Fremdes im Anwesen gesehen, der mit der Sache in Verbindung stehen könnte?«, hakte Rautner nach.

      Jetzt mischte sich der junge Mann am Fenster ein. Stefan, der Sohn von Hermann Birkner, meinte etwas ungläubig: »Sie wissen aber schon, wo Sie hier sind? Dies ist ein Weingut, in dem Kundschaft ein und aus geht, um unseren Wein zu kaufen. Natürlich waren gestern Fremde da. Wir hatten ab spätem Nachmittag eine Weinprobe mit fünfzehn Personen und zusätzlich auch noch weitere Kunden. Das ging alles bis …?« Sein fragender Blick richtete sich auf seine Mutter, die hinter Jasmin das Zimmer betreten hatte.

      »Meine Weinprobe war erst nach 20 Uhr beendet. Einige wollten etwas mitnehmen«, überlegte sie laut. »Ich musste die Bestellungen fertig machen und abkassieren. So gegen 20.30 Uhr waren alle gegangen. Danach habe ich Feierabend gemacht. Nein, stimmt gar nicht«, korrigierte Waltraud Birkner sich mit einem Blick auf ihre Schwägerin, »ich habe Cornelia noch geholfen. Es muss schon nach 21 Uhr gewesen sein, als wir fertig waren.«

      »Und wer von Ihnen war gestern sonst noch da?«, wollte Rautner wissen.

      Hermann Birkner antwortete: »Alle, die wir hier sind, außerdem Stefans Frau Diana und noch zwei Angestellte.«

      Jasmin legte ihrem Kollegen die Hand auf den Arm und raunte ihm zu: »Chris, sollten wir nicht abwarten, was die Obduktion ergibt? Vielleicht stellt sich alles als ein tragischer Unglücksfall dar und … « Die Kommissarin ließ offen, dass diese Aktion jetzt und hier völlig sinnlos und hinfällig war, falls sich die Sache als Unglück herausstellen sollte.

      Kommissar Rautner zögerte kurz und nickte dann wortlos. Er brach die Befragung mit dem Hinweis ab, dass die Unglücksstelle abgesperrt sei und so lange von niemand betreten werden dürfte, bis man Klarheit über den Tod von Karl Birkner habe.

      Draußen auf dem Hof knurrte er missmutig: »Warum sind wir dann eigentlich gerufen worden, wenn wir noch nicht ermitteln können? Es hätte doch gereicht, uns zu verständigen, wenn Frau Doktor Wollner ein entsprechendes Ergebnis hat.« Immer noch hatte Chris nicht ganz verkraftet, dass sich der Samstag anders gestaltete, als er es sich frühmorgens