Ist nicht so mein Ding. Außerdem hätte ein längerer Aufenthalt meiner Taille noch mehr geschadet«, lächelte er und strich sich über den Bauch.
Auf den letzten Teil von Habichs Erklärung ging Dorothea Wollner gar nicht ein. »Sie sind kein Familienmensch?«
Verlegen druckste Hauptkommissar Habich herum. »Nun, was meine Verwandtschaft betrifft eher nicht, und Familie …, na ja, für eine eigene ist es schon ein bisschen zu spät.«
»Es ist nie zu spät.« Die blonde Rechtsmedizinerin schüttelte den Kopf und fixierte ihn aus ihren blauen Augen. »Aber lassen wir das, deswegen sind Sie sicherlich nicht gekommen. Wir sind gerade bei der inneren Leichenschau.« Sie deutete auf den nackten Leichnam, der dort mit geöffneter Bauchdecke auf dem kalten Edelstahltisch lag. Der Hauptkommissar zeigte keine Reaktion, er war solche Anblicke gewöhnt. »Karl Birkner ist nicht alleine durch Genickbruch gestorben … Nein, anders ausgedrückt, er hätte auch ohne den Sturz nicht mehr lange gelebt … «
»Und warum?«
»Weil es bei dem alten Birkner gleich mehrere mögliche Todesursachen gibt«, bemerkte die Gerichtsmedizinerin ungerührt, so als wenn das alltäglich wäre.
»Wie geht denn so etwas?«
»Es gibt einerseits Anzeichen für einen Herzinfarkt, dann haben wir den Genickbruch und außerdem noch eine weitere Verletzung … «
»Wie definiert sich ›weitere Verletzung‹ genau?«
Nach Habichs Frage entstand eine kleine Pause. Frau Doktor Wollner atmete hörbar aus. »Bei der äußeren Leichenschau haben wir Hämatome im Bauchbereich entdeckt … «
»Verursacht durch was?«
»Kann ich noch nicht genau sagen.«
»Was vermuten Sie aufgrund Ihrer bisherigen Diagnose?«
Jetzt wiegte die Medizinerin den Kopf hin und her. »Vermutungen gebe ich eigentlich nicht gerne ab … «
»Na ja, soll ja nichts Offizielles sein, nur mal so unter uns … rein spekulativ.«
Nach einer weiteren kurzen Denkpause meinte Dorothea Wollner: »Also, die Druckstellen an den Oberarmen haben sich bestätigt. Davon ausgehend ist das wahrscheinlichste Szenario: Birkner wurde bedroht und an den Armen gepackt. Er bekam Angst oder Panik, das wiederum löste einen Infarkt aus. Zum einen durch seinen hohen Blutdruck und seinen Diabetes, zum anderen durch Nikotin und Übergewicht – gegen die ersten beiden Beschwerden nahm er auch Medikamente. Damit gehörte er sowieso zur absoluten Infarkt-Risikogruppe. Gleichzeitig oder ziemlich zeitnah erhielt er möglicherweise Schläge oder Tritte in den Bauch. Vielleicht wurde er auch mit Wucht gegen irgendwas geschleudert oder gedrückt«, überlegte die Medizinerin. »Dadurch entstanden innere Verletzungen und es kam zu Blutungen im Bauchraum. Kurz danach muss er dann gestürzt sein und brach sich zusätzlich das Genick.«
»Die Gewaltanwendung konnte vor Ort nicht festgestellt werden?«
»Nein, weil ich durch seine Kleidung nichts bemerkt habe und andere äußerliche Anzeichen gab es nicht. Der Notarzt hat Genickbruch diagnostiziert und die Bauchverletzung ebenfalls nicht festgestellt, geschweige denn den Infarkt. Somit habe ich die anderen möglichen Todesumstände erst im entkleideten Zustand und bei der Obduktion heute früh erkannt.«
»Also kein natürlicher Tod?«
»Das möchte ich bezweifeln! Wenn er sich die Hämatome nicht selbst zugefügt hat oder diese sonst durch einen Unfall passierten, dann wahrscheinlich nicht«, meinte die Rechtsmedizinerin etwas ironisch.
»Selbst zugefügt … Unfall …?« Habich runzelte die Stirn, »Wie wäre das möglich?«
»Eigentlich gar nicht.« Nach kurzem Überlegen fuhr Frau Doktor fort: »Gestolpert und mit dem Bauch gegen etwas gestoßen oder auf etwas gefallen. Mehr kann ich Ihnen vielleicht nach meinen weiteren Untersuchungen sagen. Der Infarkt ›könnte‹ natürliche Auslöser haben, die Druckstellen an den Armen dagegen eher nicht oder er hätte sie sich selbst zugefügt.« Auch jetzt schien der Hauptkommissar die leichte Ironie in Wollners Stimme nicht zu bemerken.
»Die Kriminaltechnik soll sich vor Ort mal umschauen, ob sie dort Dinge findet, an denen man sich so eine Verletzung zuziehen kann.«
»Warten Sie, bis ich weiß, um was es sich handeln könnte oder es zumindest näher eingrenzen kann.«
»Wann sind Sie so weit?«
»Geben Sie mir bis zum späten Nachmittag Zeit. Ich rufe Sie an und dann bekommen Sie auch umgehend meinen Bericht.«
»Sagen Sie, wie lange hätte es bei dieser Verletzung im Bauchraum gedauert, bis man stirbt?«
»Je nach Schwere der Verletzung schätze ich mal, so drei bis vier, maximal zehn Minuten.«
»Können Sie mir schon etwas über die Todeszeit sagen?«
Frau Doktor Wollner beugte sich wieder dem Toten zu und meinte beiläufig: »Auch hierüber Genaueres später.« Habich verstand dies als Aufforderung zu gehen. Er hatte gerade die Hand am Türgriff, als er in seinem Rücken die Worte vernahm: »Wann darf ich mich mal bei Ihnen revanchieren?« Überrascht drehte sich Habich noch einmal um und sah die Rechtsmedizinerin schmunzeln. »Inzwischen habe ich meine neue Küche«, schickte sie als Erklärung hinterher.
Der Hauptkommissar hatte Dorothea Wollner mehrmals zum Essen ausgeführt, nachdem sie ihn nach Empfehlungen, in Würzburg und Umgebung gut Essen zu gehen, gefragt hatte. Sie war erst vor wenigen Monaten wegen ihres neuen Postens als Gerichtsmedizinerin in die Stadt am Main gezogen und musste ewig auf die Lieferung ihrer bestellten Küche warten. Da man vom Hauptkommissar wusste, dass er ein kleiner Gourmet in Sachen fränkische Küche und fränkischer Wein war, hatte man Frau Doktor Wollner an ihn verwiesen. Als Single mit gescheiterten Beziehungen war Habich der Weiblichkeit gegenüber ein wenig zurückhaltend, aber die hübsche Blondine hatte ihn wieder wach gerüttelt und Empfindungen in ihm geweckt. Trotzdem wusste er den privaten Kontakt mit der neuen Gerichtsmedizinerin noch nicht richtig einzuordnen. Er spürte, dass da von seiner Seite aus etwas war, aber er war auch ein gebranntes Kind und sie erst kürzlich mit einer Scheidung behaftet gewesen.
»Jederzeit«, antwortete Habich. »Schade, ich wollte Ihnen noch einige gute Lokale zeigen.«
»Das dürfen Sie gerne, aber jetzt bin ich erst mal dran. Wie wäre es mit nächstem Samstag bei mir?«
»Soll mir recht sein.«
»Dann erwarte ich Sie um 19 Uhr. – Kleiderordnung bitte völlig leger und zwanglos«, rief sie ihm hinterher.
Ach herrje, jetzt war es passiert. Die bedeutungsvollen Blicke und das leichte Grinsen von Wollners Mitarbeitern ließ erahnen, was gedanklich hinter deren Stirn vor sich ging. Es konnte nicht lange dauern und der »Buschfunk« würde das Date mit allen Vermutungen und Mutmaßungen in den Büros verbreiten.
Theo hatte noch nicht den Ausgang erreicht, als ihm ein Gedanke durch den Kopf schoss. Für die Einladung brauchte er ein Mitbringsel, dabei kannte er weder Dorothea Wollners Wohnung noch ihren Geschmack oder woran sie Gefallen finden würde. Hier stand er vor einem echten Problem. In solchen Dingen war er nicht bewandert und auf Beratung angewiesen.
Der Anruf von Frau Doktor Wollner erreichte Hauptkommissar Habich im Büro. Draußen war es schon dunkel, aber Habich hatte keine Lust gehabt, nach Hause zu gehen. Plötzlich war ihm seine Wohnung einsam und leer vorgekommen und so hatte er sich auf der Dienststelle in Arbeit vertieft. »Hallo Herr Hauptkommissar, hier ist die Gerichtsmedizin. Den Abschlussbericht müssten Sie in Ihrem Postfach finden, ich habe ihn an Ihre dienstliche Mailadresse geschickt.«
»Was können Sie mir vorab sagen?«
»Also, es war auf jeden Fall kein natürlicher Tod. Meine Vermutungen haben sich insoweit bestätigt, wie ich es Ihnen heute Mittag schon geschildert habe. Ob es ein Unglück oder Mord war, müssen Sie jetzt herausfinden.«
»Wie sieht es mit dem Todeszeitpunkt aus?«
»Die