das Warten, das vorläufige Sich-verkleinern, Sich-demüthigen“ (Nietzsche, Nr. 10; vgl. Nr. 13).
STULTITIA, LEVIATHAN UND RISUS PASCHALIS
Das Christentum war – ebenso wie andere Religionen – von Anfang an dem Spott ausgesetzt, wie die auf dem Palatin in Rom entdeckte älteste Karikatur eines gekreuzigten Esels aus dem 2. Jahrhundert belegt: „Alexamenos sebete theon“ – „Alexamenos betet Gott an.“ Zugleich greift die christliche Theologie selbst auf die Form der Ironie zurück, und zwar keineswegs nur am Rand, sondern am Puls des Glaubens. Drei Motive mögen an dieser Stelle als Beispiele genügen: (1) die Torheit des Kreuzes (stultitia), (2) die Überlistung des Teufels (Leviathan) und (3) das Ostergelächter (risus paschalis).
(1) Die Narretei, auf die die Esels-Karikatur anspielt, wird bei Paulus als Logik des Kreuzes verkündet. Demnach verkörpert diese närrische Torheit eine Weisheit, die die Weisheit der Welt in ihrer Torheit entlarvt (vgl. 1 Kor 1,18-31). Diese Logik provozierte in der Antike nicht nur religionskritische Äußerungen eines Celsus zum Beispiel (vgl. Fresacher 2010), sondern auch asketische Figuren, die sich zum Narren um Christi willen machten und bis heute beispielsweise in den Bettelorden ihren Nachklang finden, oder in der Renaissance eine Liebe zur satirischen Kirchenkritik, wie sie im „Lob der Torheit“ des Erasmus von Rotterdam in die derbe Rede der Närrin Stultitia gekleidet ist – immer am schmalen Grat zwischen Beifall und Verurteilung (vgl. Greenblatt): wer glaubt, macht sich zum Narren.
(2) Die Darstellung des geköderten Leviathan in Text und Bild untermalte – trotz antiker Bedenken – die gängige Erlösungsvorstellung des Mittelalters (vgl. Zellinger). Sie wirkt bis heute in der frommen Alltagstheologie nach. Darin geht der Teufel dem Gottessohn in Menschengestalt auf den Leim. Er verschlingt im Tod am Kreuz mit dessen menschlicher Natur auch die göttliche. Damit begeht er einen folgenschweren Fehler: die Rettung der Menschen. Denn aufgrund der Gottheit kann er die Menschheit nicht behalten. Er muss den Gottessohn wieder ausspeien und mit ihm die ganze Menschheit von den biblischen Patriarchen angefangen. Auf diese Weise entreißt Christus dem Teufel und mit ihm dem Tod alle Menschen. An der rettenden Angelschnur werden sie aus dem Rachen des Leviathan nach oben gezogen. So – paradox – geht Erlösung. Daran hängt der mächtige Gnadenapparat der Kirche. Am Kreuz treibt Gott seinen Schabernack mit seinem Gegenspieler. Er führt den Siegessicheren in seiner Dämlichkeit vor. Sein Stolz ist sein Fall. Dankbare Demut und Bescheidenheit sind stattdessen als Tugend angesagt. Dieses Motiv von der Überlistung des Teufels findet sich in mittelalterlichen Mysterienspielen wieder und von dort Eingang in die Kunst – vom Märchen „Der Schmidt und der Teufel“ bis hin zu Hofmannsthals „Jedermann“: am Kreuz macht sich der Stolze lächerlich.
(3) Dass die Freude der Auferstehung auch körperlich über die Stränge schlägt, kommt in dem mittelalterlich weit verbreiteten Brauch des risus paschalis, des Ostergelächters, zum Ausdruck (vgl. Jacobelli und Kemper). Dabei brachte der Prediger zu Ostern in der Kirche mit Gesten und Worten die Anwesenden zum Lachen. Die vielfach anzüglichen Anspielungen sprachen insbesondere sexuelle Phantasien an – bis hin zu Darstellungen pornografischer Art. In der Neuzeit lag darin der Grund, diesen Brauch zu verbieten oder stark einzuschränken. Dagegen konnte ihm Ratzingers Kommentar dazu aus den 1980er Jahren sehr viel mehr abgewinnen: „Zur barocken Liturgie gehörte einst der risus paschalis, das österliche Lachen. Die Osterpredigt musste eine Geschichte enthalten, die zum Lachen reizte, so dass die Kirche von fröhlichem Gelächter widerhallte. Das mag eine etwas oberflächliche und vordergründige Form christlicher Freude sein. Aber ist es nicht eigentlich etwas Schönes oder Angemessenes, dass das Lachen zum liturgischen Symbol geworden war?“ (Ratzinger, 100). Diese Interpretation folgt weitgehend der scholastischen Unterscheidung des gaudium spirituale (der glückseligen, dem Geistlichen hingegebenen Heiterkeit) von der laetitia saecularis (dem körperlichen, dem Irdischen hingegebenen Lachen). In manchen Osterpredigten wird die Tradition des risus paschalis auf dem Hintergrund dieser Unterscheidung heute wieder aufgegriffen: Ostern macht Spaß.
KOGNITIVE DISSONANZEN
Im Deutschen gebrauchen wir das Wort „Witz“ in mindestens drei verschiedenen Bedeutungsvarianten: 1) als etwas, das Vergnügen bereitet, lustvoll und unterhaltsam („einen Witz machen“, englisch: joke), 2) als etwas, in dem das Wesentliche zum Ausdruck kommt, spezifisch und pointiert („der Witz einer Sache“, englisch: wit), und 3) als etwas, das eine Wahrheit enthält, die nicht restlos beschreibbar und in Regeln zu fassen ist („ein Witz, den man erklärt, geht verloren“, im Sinn von Wittgenstein). Der Witz ist das, was in allen Beschreibungen unbeschreibbar bleibt und dennoch notwendig ist, um das Beschriebene zu verstehen. Wer den Witz nicht versteht, dem helfen auch keine Regeln. Man kann dieses Verhältnis auf Religion und Glauben übertragen: sie sind mehr als das, was sich in Geschichten, Formeln und Lehren beschreiben lässt. Wer den Witz dessen, was eine Religion oder was den Glauben ausmacht, nicht versteht, kann auch mit deren Geschichten, Formeln und Lehren nichts anfangen.
Auch wenn die Satire bis in ihre derbsten Formen hinein beliebt war, wurde dem Witz bis in die Neuzeit keine eigene Erkenntniskompetenz zugesprochen. Deshalb liegt die Nähe zwischen Religion und Witz, zwischen Glauben und Humor bis heute nicht sofort auf der Hand. Mit der Romantik (Jean Paul) änderte sich diese Sicht, und die ästhetischen Formen des Humors gewannen sowohl an heuristischem als auch an epistemologischem Wert. Aus diesem Geist heraus und in Auseinandersetzung mit der antiken Philosophie Platons beschrieb Søren Kierkegaard den Humor als Vorstufe zum Glauben („Religion inkognito“), die den Sprung von der ethischen zur religiösen Ebene ermögliche: „Der Humorist setzt beständig […] die Gottesvorstellung mit anderen zusammen und bringt den Widerspruch heraus – aber er verhält sich nicht selbst in religiöser Leidenschaft […] zu Gott, er verwandelt sich selbst in eine scherzende und doch tiefsinnige Durchgangsstelle für alle diese Umsatzgeschäfte… Der Religiöse tut dasselbe, er setzt die Gottesvorstellung mit allem zusammen und sieht den Widerspruch, aber in seinem Innersten verhält er sich zu Gott…“ (Kierkegaard, 214f.) Im Sinn der sokratischen Maieutik öffnet demnach der Humor den Blick für eine andere Welt. Er führt uns durch das Widersprüchliche, Ungereimte und Absurde dieser Welt hindurch zu einer anderen Sichtweise. So ist es auch mit dem Glauben. Dieser stürzt – so Kierkegaard – aber nicht in Verzweiflung, sondern weckt Hoffnung daraus: „Credo quia absurdum/Ich glaube, weil es absurd ist“ (Tertullian).
ÜBERRASCHENDE PARADOXIEN
Diese Parallelisierung von Religion und Humor lenkt die Aufmerksamkeit auf das Inkongruente, Ambivalente und Fragmentarische, in dem sich ebenfalls Wahrheit offenbart. Die religiöse Form wird mit der komischen Form in Bezug auf diese Erkenntnis- und Wissenslage verglichen. Insofern erklärt sich „ein heimliches Konkurrieren“ (Luhmann, 47) zwischen diesen beiden Formen. Beide Male geht es um ein Aufeinandertreffen des Verschiedenen beziehungsweise des Gegensätzlichen (zum Beispiel im Motiv der rettenden Angel). Der Humor entfacht sich am überraschend Paradoxen einer Aussage oder Geschichte. Die Theologie greift auf paradoxe Formeln zurück, um im selben Atemzug Greifbarkeit und Entzogenheit (similitudo und dissimilitudo) für die Gottesrede festzuhalten: ein Wesen in drei Personen, zwei Wesen in einer Person (vgl. Fresacher 2013). Solche kognitiven Dissonanzen halten den Glaubenssinn wach, ähnlich wie sie den Körper zum Lachen bringen. In beiden Fällen handelt es sich um einen performativen Vorgang der ungewöhnlichen Verschiebung, des Wechsels und der Relativierung der Sichtweise und mit ihr der Realität (vgl. auch Berger). Insofern überrascht der starke Hang zum Metaphorischen nicht, das sowohl der religiösen Gottesrede als auch der komischen Überzeichnung eine ihrer grundlegenden ästhetischen Formen verleiht.
DER WITZ ALS LOCUS THEOLOGICUS
Der Witz jongliert mit seiner Mehrdeutigkeit (s. die Karikatur). Er lässt sich nicht in eine einzige Bedeutung zwingen. Er zündet im Moment des Verstehens. Es geht also um die Spezifik einer Wahrheit, die einer adäquaten ästhetischen Form bedarf, um sie zu