Bruno Meier

Ein Königshaus aus der Schweiz


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braucht auch die Habsburg eine Gründungssage. Und wie die meisten Sagen, wird auch diese Geschichte Jahrhunderte später entstanden und noch später aufgeschrieben worden sein. Danach soll der Grossvater von Otto II., Graf Radbot, der ein festes Haus in Altenburg an der Aare in dem von den Römern erbauten Kastell besass, auf der Jagd seines Habichts verlustig gegangen sein. Auf der Suche nach dem entflohenen Vogel stieg die Jagdgesellschaft auf den dicht bewaldeten Wülpelsberg. Zuoberst auf dem Hügel fand man den Habicht. Radbot erkannte sofort, dass sich dieser Ort für den Bau einer Burg eignete – und nahm die Aufgabe in Angriff.4 Eine schöne Geschichte, wenn auch eher von einer Vorstellung des mittelalterlichen Ritterlebens aus dem 19. Jahrhundert inspiriert. Vielleicht hatte der Geschichtenerzähler den jungen Staufer Konradin auf Beizjagd vor Augen, eine Miniatur aus der Manessischen Liederhandschrift, die immerhin an den Beginn des 14. Jahrhunderts gehört. Auf jeden Fall, Fortsetzung folgt …

      Richtig an dieser Geschichte ist, dass die Habsburg tatsächlich als Rodungsburg in den Wald gebaut worden ist. Ebenfalls richtig könnte die Verkürzung des Namens von Habichtsburg auf Habsburg sein, eine Bezeichnung, die seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert gebräuchlich wird, auch wenn schon andere Herleitungen vorgeschlagen worden sind.5 Wie kommt aber Graf Radbot von Altenburg dazu, sich auf dem Hügel eine Burg zu bauen? Er tut das, was viele seiner Standesgenossen auch machen. Burgen werden im 11. und 12. Jahrhundert zuhauf gebaut. Frühere Geschichtsschreiber gingen davon aus, dass die Burgen primär als Befestigungen erstellt wurden, um das eigene Land oder die Grenze zum Nachbarland zu beschützen. Für den Bau der Habsburg wäre demzufolge die Auseinandersetzung zwischen dem deutschen König und dem Königreich Burgund im Vordergrund gestanden. Die Habsburg hätte dabei die Funktion einer Grenzburg gehabt, verlief doch die alte Grenze zu Burgund entlang der Reuss.6 Heute geht man jedoch davon aus, dass der Burgenbau in erster Linie dem Landesausbau diente. Das 11. und 12. Jahrhundert ist eine Zeit, in der die Bevölkerung wächst. Vom Klima begünstigt, entwickelten sich die Lebensgrundlagen positiv, die Erträge in der Landwirtschaft stiegen mit der neu eingeführten Dreifelderwirtschaft an, Wälder wurden gerodet und der Boden urbar gemacht. Eine wichtige Rolle in dieser Entwicklung spielten die lokalen Adligen. Sie gründeten Klöster und bauten Burgen, um diesen Landesausbau voranzutreiben und ihre Machtbasis auszuweiten. Mit dem Burgenbau setzten sie weithin sichtbare Herrschaftssymbole. Die frühen Habsburger verhielten sich nicht anders, als sie die Burg auf dem Wülpelsberg erbauen liessen.

      Was müssen wir uns aber unter dieser neuen Burg vorstellen? Was hat die Realität mit der Burgen- und Ritterromantik aus Büchern und Filmen zu tun? Die Archäologen haben in den letzten 25 Jahren mehrmals auf der Habsburg gegraben und spannende Bezüge zur schriftlichen Überlieferung herstellen können. Und dabei hat sich herausgestellt, dass die Habsburg vielleicht doch nicht nur als eine Burg unter vielen anderen erbaut worden ist, sondern dass sie etwas mehr darstellte.7

      Graf Radbot von Altenburg hatte zu wenig Geld, um sich eine neue Burg zu bauen. Deshalb bat er den Bruder seiner Frau, den mächtigen Bischof Werner von Strassburg, um Unterstützung. So geht die Sage von der Erbauung der Burg weiter. Bischof Werner habe ihm Unterstützung zugesagt und dann seinen Besuch angekündigt, um das von ihm mitfinanzierte Werk zu begutachten. Er war enttäuscht, als er auf der Anhöhe des Wülpelsbergs nur einen bescheidenen Wohnturm ohne eine starke Mauer vorfand. Sein Schwager versicherte ihm, dass er in der Lage sei, über Nacht ein solche Mauer zu erstellen. Als der Bischof am nächsten Morgen erwachte und aus dem Fenster blickte, erschrak er. Rund um den Turm lagerte eine grosse Zahl gepanzerter Ritter mit ihren Knechten. Bischof Werner glaubte sich in den schwach befestigten Mauern belagert. Graf Radbot beruhigte ihn. Die Ritter seien seine Gefolgsleute und auf seinen Ruf hin herbeigeeilt, um eine eiserne Mauer zu bilden und ihn zu verteidigen. Werner war erleichtert und sah sein Geld gut angelegt. Was nützen dicke Mauern, wenn niemand da ist, um sie zu verteidigen?

      Der noch erhaltene Teil der Habsburg besteht aus der erst am Ende des 12. Jahrhunderts erbauten hinteren Burg, wird heute als Gastbetrieb genutzt und beherbergt eine kleine Ausstellung zur Geschichte der Habsburger.

      Sagen und Legenden haben oft einen wahren Kern, auch wenn sie frei erfunden und ausgeschmückt wurden. Die archäologischen Untersuchungen der Habsburg haben, nicht unerwartet, diesen ersten «Wohnturm» zutage gefördert. Auf der vorderen Burg, die heute nur noch in den Fundamenten erkennbar ist, muss im zweiten Viertel des 11. Jahrhunderts nicht ein Turm, sondern ein erstes festes Haus errichtet worden sein: eine typische Rodungsburg mit dem dazugehörenden Burggut, dem Dorf Habsburg und der inselförmig im Wald liegenden Feldflur. Rund um das steinerne Haus werden Holzhäuser und Ställe gestanden haben. Eine Rodungsburg in dieser Zeit war nichts anderes als ein fest gebauter grosser Bauernhof, in dem ein Adliger über seine rundherum ansässigen Bauern gebot.

      Allerdings: Schon der erste Bau beeindruckt durch seine Grösse und Mauerdicke. Er ist wesentlich grösser als der Wohnturm auf der Lenzburg, der mehr als ein halbes Jahrhundert später erbaut wurde und Sitz der Grafen im Aargau war. Vergleichbare Bauten müssen relativ weit weg gesucht werden, in Frankreich oder Deutschland. Mit diesem ersten Bau manifestiert Radbot, der etwa zur selben Zeit zusammen mit seiner Frau Ita von Lothringen das Kloster Muri stiftet, einen Anspruch auf Grösse, der nach dem Warum fragen lässt. In dieser Zeit gründet sein Bruder Rudolf das Kloster Ottmarsheim unweit von Mülhausen. Ottmarsheim liegt am Rhein, am Rand des Hardtwaldes, an der alten Römerstrasse von Basel nach Strassburg. Und: Die Kirche von Ottmarsheim, die bis heute in den Grundzügen unverändert geblieben ist, stellt in ihrem Aufbau eine vereinfachte Kopie der Pfalzkapelle in Aachen dar, der Grabstätte Karls des Grossen. Der kleine Graf Rudolf baut sich also eine Kirche nach dem Aachener Vorbild, die vielleicht als seine Grabeskirche gedacht ist. Die Frühhabsburger zeigen mit diesen Gründungen ein Selbstverständnis, das man fast als Programm für den kommenden Aufstieg lesen kann. Auf das Warum wird zurückzukommen sein.

      Die Habsburg wächst in den folgenden Jahrzehnten rasch. Etwa um 1070 wird die Anlage mit einer ansehnlichen Befestigung des ganzen Hügels erweitert, an den Kernbau werden zwei feste Türme angebaut. Vielleicht stammen die ersten Steinbauten auf der hinteren Burg auch schon aus dieser Zeit. Noch im 11. Jahrhundert nimmt die Habsburg monumentale Formen an, die sie von vergleichbaren Burgen im grösseren Umfeld abhebt. Es ist diese Generation der Frühhabsburger, die sich als erste nach der Burg nennt. Otto II. und sein Sohn Werner halten sich im näheren Umfeld der deutschen Könige und Kaiser auf und erhalten wichtige Ämter. Die Habsburg wird zum repräsentativen Sitz eines aufstrebenden Adelsgeschlechts.

      Ein weiterer Ausbauschritt lässt wahrscheinlich mehr als 100 Jahre auf sich warten. In der Zeit um 1200 entstehen die wichtigsten Teile der hinteren Burg – der Wohnturm und die Erweiterung der Ringmauern. Vielleicht hat schon Albrecht III., der Sohn Werners, aber sicher Rudolf II. von Habsburg das Landgrafenamt im Aargau inne, das die 1173 ausgestorbenen Grafen von Lenzburg ursprünglich ausübten. Die Burgen der Lenzburger – die Lenzburg selbst und der Stein in Baden – sind zu diesem Zeitpunkt aber in der Hand der Kyburger. Dies mag den Ausbau der Habsburg befördert haben. Die Burg ist zu dieser Zeit eine mächtige und stark befestigte Anlage.

      Sehr behaglich kann das Leben auf der Burg nicht gewesen sein. Der erste Kernbau verfügte wahrscheinlich über zwei oder drei hohe Säle. Zumindest die Obergeschosse wurden als Wohnraum genutzt. Man wohnte, ass und schlief gemeinsam in denselben Räumen. Die kleinen, schartenartigen Fenster waren unverglast und mussten im Winter mit Brettern und Stroh notdürftig zugestopft werden. Im Nordturm bestand ein offenes Herdfeuer als Heizung, seit dem 12. Jahrhundert könnte es Kachelöfen gegeben haben. Die Abortanlagen standen offen zu den Wohnräumen, man verrichtete sein Geschäft in Gesellschaft. Der spätere Ausbau der hinteren Burg im 13. und 14. Jahrhundert zeigt, wie sich mit der Zeit die Wohnlichkeit verbesserte. Mit Holz getäferte Wände, geschnitzte Balkendecken und verglaste Fenster liessen etwas Behaglichkeit und Komfort aufkommen. Knechte und Gesinde wohnten in den angegliederten Holzbauten oder ausserhalb der Burg. Das Leben auf der Burg unterschied sich nicht allzu stark vom Alltag eines reichen Bauern. Die Burg war vor allem Statussymbol und Zeichen der Macht. Zu den Funden