Bruno Meier

Ein Königshaus aus der Schweiz


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Schutz der Stifterfamilie zurückgekehrt sein. In diese Handschrift integriert ist die Abschrift einer Urkunde, die als Testament von Bischof Werner von Strassburg, dem Bruder der Ita, bezeichnet und auf das Gründungsjahr 1027 datiert wird. Heute geht man davon aus, dass diese Urkunde erst 1086 fabriziert wurde. Mit der Fälschung sollte der damalige Zustand – eine freie Abtwahl und die Habsburger Klostervogtei – gerechtfertigt werden. Das Testament berichtet von einer zusammenhängenden Gründung von Kloster und Burg. Bischof Werner wird darin zum Erbauer der Habsburg gemacht mit der Begründung, die Klostervogtei sei an die Inhaber der Habsburg gebunden. Der Bischof wird als Jugendfreund des letzten ottonischen Kaisers Heinrich II. bezeichnet und scheint als Ahnherr der Habsburger geeignet gewesen zu sein. Allerdings ist seine Herkunft sehr ungewiss. Wahrscheinlich gehörte er nicht zu den frühen Habsburgern, sondern stammte aus einer lothringischen Verwandtschaft wie seine angebliche Schwester Ita, die Gattin von Radbot. Die Fälschung von 1086 wurde für die Traditionsbildung des Klosters wichtig und war letztlich die Basis für den eingangs bereits erwähnten königlichen Freibrief, den Albrecht II. von Habsburg 1114 in Basel für das Kloster erwirken konnte. Dem Schreiber ging es in seiner Darstellung aber auch um ein erstmaliges Verzeichnis des Stiftungsgutes, das vom Stiftergeschlecht immer wieder beansprucht worden war.

      Vom romanischen Bau der Klosterkirche Muri aus dem 11. Jahrhundert ist mit Ausnahme der Hallenkrypta unter dem Chor und den Unterbauten der Türme und des Querschiffs nichts mehr erhalten. Das Schiff wurde Ende des 17. Jahrhunderts in die heute bestehende achteckige Halle umgewandelt.

      Mit den Acta Murensia führt die Suche nach der Herkunft der Habsburger ins Elsass. Als Stammvater der Gründer von Muri wird darin Guntram der Reiche genannt. Dieser Guntram kann mit relativ grosser Wahrscheinlichkeit mit dem Grafen Guntram identifiziert werden, der im Jahr 952 wegen Hochverrats von König Otto I. mit der Aberkennung seines Besitzes im Elsass und im Breisgau bestraft wurde. Dieser Guntram wiederum stammt aus dem Geschlecht der elsässischen Grafen im sogenannten Nordgau, die als Nachkommen der merowingischen Herzöge aus dem 7. Jahrhundert gelten. Als Stammvater dieser Herzöge gilt Eticho (oder Adalrich), Herzog im Elsass, gestorben Ende des 7. Jahrhunderts. Falls diese Verbindung stimmt, weisen die Habsburger eine Herkunft auf, die für das Elsass von grosser Bedeutung war.

      Hoch über dem Städtchen Obernai liegt der Odilienberg, der Mont Ste-Odile. Die Anhöhe weist eine heute noch über zehn Kilometer lange, monumentale Befestigungsmauer auf, die in vorchristliche, wahrscheinlich keltische Zeit zurückreicht. Auf diesem Berg, ursprünglich Hohenburg genannt, gründete Odilia, die Tochter Etichos, ein Kloster. Die Legende erzählt, dass sie blind zur Welt gekommen sei und am Tag ihrer Taufe das Augenlicht erlangt habe. Aus Dank dafür habe sie zusammen mit ihrem Vater das Kloster gestiftet. Innerhalb der Befestigungsmauern – der «mur païen», der Heidenmauer – sind merowingische Grabkammern gefunden worden. Die Befestigungsmauer ist von den Merowingern im 7. Jahrhundert ausgebessert worden, wie neue Funde nahelegen. Die heilige Odile, «la mère de l’Alsace», gilt als Schutzheilige des Elsass. Das Kloster erlebte seine Blütezeit im 11. und 12. Jahrhundert, und der Odilienberg ist, nach mehrmaliger Zerstörung, bis heute der wichtigste Wallfahrtsort im Elsass geblieben.

      Deutlich sichtbar ist bis heute der achteckige Zentralbau der Abteikirche von Ottmarsheim aus dem zweiten Viertel des 11. Jahrhunderts. Der Westturm (13. Jahrhundert) und die angebauten Kapellen (15. und 16. Jahrhundert) kamen später hinzu. Nach einem verheerenden Brand 1991 wurde die Kirche in den letzten Jahren restauriert.

      Die Herkunft aus dem merowingischen Geschlecht der Etichonen lässt ein weiteres Ereignis in anderem Licht erscheinen. Das Kloster Ottmarsheim, um 1030 von Rudolf, dem Bruder Radbots von Altenburg, gestiftet, wurde im Jahr 1049 vom damaligen Papst Leo IX. geweiht. Man fragt sich, wie es der kleine Frühhabsburger schaffte, einen Papst zur Weihe seiner Grabeskirche aufzubieten. Leo IX. war aber niemand anderer als Bruno von Eguisheim (1002–1054) aus dem Geschlecht der Grafen von Eguisheim. Und diese Grafen stammen aus derselben Sippe wie die Grafen im Nordgau. Bruno von Eguisheim war der Urenkel von Eberhard IV., Graf im Nordgau, des Bruders von Guntram dem Reichen. Die Weihe seiner Kirche vertraute Rudolf also einem Verwandten an, der 1027 Bischof von Toul und 1049 Papst geworden war. Auch scheint Rudolf ein engeres Verhältnis zu Leo IX. gehabt zu haben. In der Tradition wird berichtet, dass er in päpstlichem Sold 1053 am Krieg gegen die Normannen in Sizilien teilgenommen habe und dort auch umgekommen sei.

      Wenn die in den chronikalischen Quellen überlieferte Herkunft für bare Münze genommen werden kann, stammen die Habsburger aus einer elsässischen Adelsgruppe mit Verbindungen in die vorkarolingische Zeit: eine Herkunft, die sich wahrlich sehen lassen kann. Allerdings: Sowohl die merowingische Herkunft wie die lothringische Verwandtschaft stammen aus Quellen, die im 13. Jahrhundert, als sich der Aufstieg der Habsburger zur Macht vollzog, kaum bekannt waren oder von ihnen selbst nicht als Legitimation verwendet wurden. Sie brauchten andere Begründungen, um ihren Anspruch als Reichsfürsten und Könige zu legitimieren.

      Die ersten Habsburger, die nicht aus der Tradition der Acta Murensia, sondern über urkundliche Quellen miteinander in Verbindung gebracht werden können, sind der bereits erwähnte, 1111 ermordete Otto II. und sein Sohn Werner II., der 1167 vor Rom gestorben ist. Die Habsburger des 12. Jahrhunderts bewegen sich in einem Adelsumfeld, das zum engeren Kreis der Herzöge von Zähringen gehört. Dazu zählen etwa die Lenzburger: Richenza, die Tochter von Radbot, wird als Gattin des Ulrich von Lenzburg-Baden geführt. Sodann die Ortenberg-Hirrlingen aus dem Haus Zollern: Judenta war die Frau des 1141 verstorbenen Adalbert oder Albrecht II. von Habsburg. Die Pfullendorf: Albrecht III. heiratete Ita, die Tochter des Rudolf von Pfullendorf, die nördlich des Bodensees ihren Besitz hatten. Weiter die Herren von Staufen im Breisgau: Rudolf II. heiratete Agnes von Staufen. Zudem bestanden Verwandtschaften im Raum Oberelsass gegen Burgund: die beiden Schwestern von Albrecht III., Gertrud, verheiratet mit Theoderich III. von Mömpelgard (Montbéliard), und Richenza, verheiratet mit Ludwig I. von Pfirt (Ferrette), banden die Nachbarn im Westen an das Haus. Und die wichtigste Verbindung, diejenige zu den Zähringern: Albrecht IV. heiratete Heilwig von Kyburg, Tochter des Ulrich von Kyburg und der Anna von Zähringen, ihrerseits Tochter von Berthold V., dem letzten der Zähringer, die sich seit 1098 mit den Hohenstaufen das Herzogtum Schwaben teilten. Die beiden Schwestern Albrechts IV. heirateten beide in das im Jura zwischen Basel und Olten beheimatete Geschlecht der Froburger.

      DIE FRÜHEN HABSBURGER

      Die Zähringer übten ihre Macht im südwestlichen Teil von Schwaben aus, im Thurgau, in Zürich, im Aargau, im Breisgau und im Elsass sowie im Schwarzwald bis an den Neckar. Dieser Raum deckt sich weitgehend mit dem verwandtschaftlichen Aktionsradius der Habsburger im 11. und 12. Jahrhundert. Rudolf IV., der 1273 zum deutschen König gewählt wurde, war also mütterlicherseits ein Enkel der Herzöge von Zähringen. Seine Gattin Gertrud von Hohenberg nahm nach der Krönung den Namen Anna an, die Tochter Gertrud den Namen Agnes, beides Namen aus zähringischer Tradition. Es waren die Colmarer Chronisten, die aus dem Umfeld der Dominikaner stammten und den Habsburgern wohlgesonnen waren, die diese zähringische Herkunft kolportierten. Die Berufung auf das Herzogtum Schwaben, das im sogenannten Interregnum zwischen 1250 und 1273 als reales politisches Gebilde zerfiel, war für die Habsburger auch in späterer Zeit immer wieder ein Thema.14 Schwaben gehörte zu den zentralen Ländern des deutschen Reichs und war Kernland der Stauferkönige gewesen, in deren Tradition die Habsburger sich sahen. Pläne für eine Wiedererrichtung des Herzogtums sind in mehreren Generationen festzustellen. Besonders auf die Anstrengungen des Habsburgers Rudolf des Stifters nach 1358 wird zurückzukommen sein.

      Die Worte «wolauf hinz Speier, da mehr meiner vorfahren sind, die auch könige waren» legte der österreichische Reimchronist Ottokar Rudolf von Habsburg in den Mund, als dieser am 14. Juli 1291, einen