der Verbundenheit mit Jesus Christus).
2) Spiritualität ist Leben im Umgang mit der Wirklichkeit. Dualistisch verstandene Weltferne oder Wirklichkeitsenthobenheit ist kein Kennzeichen authentischer Spiritualität. Vielmehr wird diese gerade in der alltäglichen Wirklichkeit die Spuren Gottes zu entdecken versuchen. Spiritualität deutet die »Zeichen der Zeit« (GS 4). Nichts in dieser Welt ist von einem spirituellen Umgang prinzipiell ausgeschlossen. Spiritualität meint eine bestimmte Form der Wahr-Nehmung der je geschichtlich vorfindbaren Situation in Einheit von Erkennen und Tun.
3) Spiritualität ist eine »Gestalt des Glaubens« (Bernhard Fraling 1970, 193): Sie ist mehr als eine bloße innere Grundhaltung, etwa der Hingabe, des gläubigen Vertrauens, der Hoffnung (vgl. Hans Urs von Balthasar 1965, 715). Sie umfasst diese zweifellos, schließt aber zudem deren geschichtlich bedingten, je konkreten Ausdruck ein, ist also »fleischgewordene«, in einem Lebensstil gelebte Grundhaltung.
4) Spiritualität im Singular ist die eine, »epochale Grundgestalt des Glaubens« (Bernhard Fraling 1970, 193): Natürlich gibt es notwendig (!) Spiritualitäten verschiedener Individuen, Gruppen oder Bewegungen im Plural. Zunächst aber bezeichnet Spiritualität die in einer Zeit und einer Religion vorfindbare Grundgestalt geistlichen Lebens. Vorrangige Trägerin christlicher Spiritualität ist demzufolge die Kirche, deren Überlieferung in Schrift und Tradition die Gestaltwerdung der Spiritualität in eine konkrete Zeit hinein erst ermöglicht und deren Liturgie ihr den zentralen Kristallisationspunkt bietet. Christliche Spiritualität ist – bewusst oder unbewusst, gewollt oder nicht – immer kirchlich.
Aus diesen vier Komponenten lässt sich nun die Definition der Spiritualität in einem Satz zusammenfassen:
Gegenstand der Spiritualität ist immer die Einheit von individueller und struktureller Wirklichkeit. Strukturelle Rahmenbedingungen als Ermöglichungsgrund individuellen Verhaltens müssen gleichermaßen spirituell durchdrungen und gestaltet werden. Klassisches Beispiel hierfür sind die Ordensregeln, Meisterstücke einer in Normen und Leitbilder gegossenen Spiritualität. Die Sorge um angemessene Strukturen in Kirche und Staat – in demokratischen Gesellschaften vorwiegend eine (kirchen-)politische Aufgabe – ist folglich keinesfalls nebensächlich. Im Gegenteil: Mystik und Politik sind untrennbar miteinander verbunden. Politik ohne Spiritualität wäre herz-los: Ihr fehlte die tragende Mitte. Und Spiritualität ohne politischen Biss bliebe halb-herzig: Sie wäre in romantischen Träumen gefangen. Die klassische Zweiteilung von Weltdienst und Heilsdienst als material voneinander abtrennbaren Bereichen ist damit überholt: In allem menschlichen Tun und Überlegen geht es um das Heil der Welt.
Spiritualität markiert in einer pluralen Welt einen Glaubensstandpunkt. Dieser mag pointiert und dezidiert vertreten werden, er bleibt rechtfertigungspflichtig (!) und wird zugleich gerade so, nämlich als dezidiert vertretener kommunikabel, rechtfertigungsfähig gegenüber Menschen anderer Religion oder Weltanschauung (vgl. Andreas Renz/Hansjörg Schmid/Jutta Sperber 2006 [Hg.]), aber auch zwischen Menschen desselben christlichen Glaubens – sei es, um strittige Fragen zu klären, sei es, um diese Spiritualität weiterzugeben. Dazu muss er freilich vernunftmäßig erschlossen und plausibel dargestellt werden. Denn die Vernunft ist in der abendländischen Tradition die anerkannte Basis jeden Dialogs.
Genau dieser vernunftbasierte Dialog ad intra und ad extra über christliche Spiritualität ist Aufgabe des Fachs »Theologie der Spiritualität« als eines eigenen Faches oder Fachbereichs innerhalb des theologischen Fächerkanons. Sein Materialobjekt ist die christliche Spiritualität. Sein Formalobjekt ist einerseits die (primär) philosophische Anthropologie. Sie stellt aus der Außenperspektive des (relativ) distanzierten Beobachters die Frage, inwieweit Spiritualität dem menschlichen Existenzvollzug dient, ihn spiegelt und etwas über den Menschen und seine Gottesvorstellung sagt. Sein Formalobjekt ist andererseits die theologische Analyse. Diese untersucht aus der Binnenperspektive des engagierten Teilnehmers (also des spirituell lebenden Christen), inwieweit das Evangelium etwas von der christlichen Spiritualität und diese etwas von Gott sagt. Nach Karl Rahner ist Theologie immer zuerst und zuletzt Anthropologie: Da Gott verborgen bleibt, können wir letztlich nur über uns und über unsere Offenheit auf das absolute Geheimnis hin sprechen. Die beiden Formalobjekte der Theologie der Spiritualität lassen sich also gar nicht voneinander trennen.
In der hier vorgeschlagenen Ausrichtung ist die Theologie der Spiritualität Teil der systematischen Theologie. Natürlich muss sie auf biblische, historische und praktische Erkenntnisse zurückgreifen. Doch wird sie diese in einen systematischen Fragehorizont einordnen. Das gilt logischerweise auch für die hier vorgelegte Abhandlung einer Theologie des Gebets. Diese kann v.a. – und das soll von vorneherein eigens betont werden – nicht primär oder ausschließlich liturgiewissenschaftlich erfolgen. Zu keiner Zeit war christliches Beten beschränkt auf die Liturgie. Wenngleich dem liturgischen Beten im kirchlichen Leben eine herausragende Rolle zukommt, wäre es doch eine Verkümmerung der Spiritualität, würden die ChristInnen nur in der Liturgie und nur in liturgischen Formen beten. Eine Theologie des Gebets muss also material weiter ausgreifen als eine liturgiewissenschaftliche Untersuchung, sie hat aber auch formal eine viel fundamentalere Perspektive: Es geht ihr nicht um Ort und Bedeutung des Gebets in der Liturgie, sondern im menschlichen Leben ganz allgemein.
1.4 Die spezifische Rolle einer Reflexion des Gebets für die Theologie
»Oratio est propriae religionis actus« – »Das Gebet ist der ureigenste Vollzug der Religion« (Thomas von Aquin, s.th. II–II, q 83 a 3). Mit diesem lakonischen Satz charakterisiert Thomas das Gebet als innersten Kern der Religiosität – wir würden heute sagen: der Spiritualität. Ohne Gebet wäre Religion nicht Religion und ein spirituelles Leben unmöglich. Die Reflexion dessen, was Gebet ist, kann also nicht beliebig zur Disposition gestellt werden. Ohne Theologie des Gebets wäre Theologie keine Theologie und eine Theologie der Spiritualität nicht möglich.
Insbesondere aber schlägt die Theologie des Gebets zu zwei theologischen Disziplinen eine besondere Brücke:
– Im Sinne des alten Satzes »Lex orandi est lex credendi« (»Das Gesetz des Gebets ist das Gesetz des Glaubens«) ist jedes Gebet »sprechender Glaube« (Gisbert Greshake 2005, 57) und ein Bekenntnis. Die Lehre der Kirche darf der Praxis ihres Betens nicht widersprechen, sondern muss sich vielmehr daran orientieren. Und wiederum möchte ich betonen: es geht hier nicht nur um das Gesetz liturgischen Betens! Nicht nur die Orationen der liturgischen Bücher sind normgebend für die kirchliche Dogmatik, sondern auch die persönlichen Gebete und Gebetsformen der Gläubigen – von den Gebeten großer Heiliger bis zu Ausdrucksformen des gläubigen Volkes in anderen Kulturen, von den Gebetsvertonungen der Gregorianik bis zu den Gebetstänzen in Afrika. Sie alle sind loci theologici, theologische Orte, auf die die kirchliche Lehre zurückgreifen muss. Dass umgekehrt dogmatische Festlegungen auch kritisierend und korrigierend auf die Gebetspraxis der Gläubigen einwirken müssen, versteht sich von selbst. Niemand glaubt allein, niemand betet allein. Beten ist immer Ausdruck gemeinschaftlicher Vollzüge und Bezüge.
– In einer Abwandlung möchte ich aber ebenso sagen: »Lex orandi est lex vivendi« (»Das Gesetz des Gebets ist das Gesetz guten Lebens«). Beten ist »praktischer Glaube« – es gibt menschlichem Handeln Orientierung und Korrektur, Motivation und Gelassenheit. Die christliche Gebetspraxis ist also nicht nur normgebend für die kirchliche Dogmatik, sondern auch für die kirchliche Morallehre. Wie sich Glaubende im alltäglichen Leben praktisch verhalten, wird durch ihr Beten maßgeblich mitbestimmt. – Wiederum gilt auch die Umkehrung: Moraltheologische Einsichten müssen kritisierend und korrigierend auf die Gebetspraxis der Gläubigen einwirken. Es gibt im christlichen Beten Auswüchse der Unbarmherzigkeit und Intoleranz, aber auch der Passivität und falsch verstandenen Gottvertrauens. Solche Auswüchse dürfen nicht unkommentiert hingenommen werden.
Wenn die Theologie des Gebets somit gerade zu Dogmatik und Moraltheologie eine Brücke schlägt, darf sie zu Recht als Herzstück der Theologie insgesamt bezeichnet werden. Im