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Deutschland trauert


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eine Trauerfeier für die Erfurter und Thüringer.10 Auch im ökumenischen Gottesdienst wurde dies deutlich, wie bei zwei der neun Fürbitten an der Reihenfolge der Nennung derjenigen, für die gebetet wird, gezeigt werden kann – zunächst Erfurt, dann Thüringen, dann darüber hinaus. So hieß es dort:

      „Wir bitten für die Politiker der Stadt Erfurt, des Landes Thüringen und des Bundes, dass sie über das Geschehene sprechen, dass sie es nicht im politischen Alltagsgeschehen verdrängen, dass sie nach Konsequenzen Ausschau halten, die sich aus der blutigen Tat ergeben.“

      „Wir bitten für die Bewohner der Stadt Erfurt, für alle Menschen guten Willens, dass sie einander beistehen, dass sie freundlich und respektvoll miteinander umgehen.“

      Auch in den Ansprachen während des staatlichen Aktes kam immer wieder zum Ausdruck, dass hier eine Stadt und ihre Bewohner betroffen und zur gemeinsamen Trauer auf dem Domplatz vereint waren.11 So sagte z. B. Oberbürgermeister Ruge:

      „Wir fühlen mit den Familien, die so plötzlich auseinandergerissen wurden. Wir fühlen mit den Freunden und all den Opfern, die diesen nahegestanden haben. […] Das schier unglaubliche Begegnen mit dem Grauen, dieses hat uns gelähmt. Schock, Trauer, Entsetzen, Fassungslosigkeit, bittere Tränen fließen. […]

      Liebe Erfurterinnen und Erfurter, ich bitte Sie, ich bitte Euch, bewahren wir uns den Geist dieser Woche. Zeigen wir Hilfsbereitschaft, Solidarität und Unterstützung. Hören wir einander zu, geben wir aufeinander acht, versuchen wir, das Schwere gemeinsam zu verarbeiten, rücken wir näher zusammen, kämpfen wir dagegen an, dass unsere Stadt das Lebens- und Liebenswerte verliert.“

      Sowohl darin, dass der Domplatz als Ort der Trauerfeier ausgewählt wurde, als auch in den Worten der verschiedenen Sprecher während der Trauerfeier zeigte sich, dass die Verantwortlichen sich ihrer Verpflichtung gegenüber den unmittelbar Betroffenen, aber auch den Bürgern Erfurts bewusst waren. Mit dem Domplatz wurde ein Ort gewählt, der einer möglichst großen Anzahl von Menschen das Dabeisein ermöglichte.12 Dass damit genau den Bedürfnissen der Erfurter entsprochen wurde, zeigte die Zahl von ca. 100.000 Teilnehmern an der Trauerfeier.

      Die zentrale Trauerfeier wurde medial begleitet. Dagegen hatte die Stadt Erfurt

      „Foto- und Fernsehaufnahmen von den Beerdigungen der Opfer des Massakers im Gutenberg-Gymnasium untersagt. Auf dem Hauptfriedhof würden auch sonstige Berichterstatter nicht zugelassen, sagte ein Sprecher der Stadtverwaltung. Die Stadt wolle ihr Hausrecht nutzen, um die Intimsphäre der Angehörigen der Opfer so weit wie möglich zu schützen.“13

      Eine solche Intervention zugunsten der Betroffenen war ein besonderer Ausdruck des Verantwortungsgefühls der Stadtverwaltung, da nur sie eine derartige Anordnung treffen konnte.

       3. Gedenken in den Jahren seit der Tragödie

      Im Jahr nach dem Amoklauf fand nochmals eine Trauerfeier auf dem Domplatz statt, allerdings als eine säkulare Feier mit religiösen Elementen. Hauptredner in dieser Feier waren zu Beginn der Erfurter Oberbürgermeister Ruge und am Ende Thüringens Ministerpräsident Vogel. Nach Oberbürgermeister Ruge folgten in einem religiösen Block neben einem für diesen Tag formulierten Psalm kurze Ansprachen von Dechant Wolfgang Schönefeld und Pfarrerin Ruth-Elisabeth Schlemmer. Daran anschließend wurden keine Fürbitten, sondern Lebenswünsche – Wünsche ohne Bezugnahme auf ein Gegenüber – vorgetragen. Die die Gedenkfeier abschließende Ansprache des Ministerpräsidenten beendete dieser mit den Worten: „Für alle Zukunft wird der 26. April in Erfurt und in Thüringen ein Tag des Gedenkens sein. Ein Tag des Erinnerns und ein Tag des Lebens.“14

      Dies war die letzte Trauer-/Gedenkfeier, welche wesentlich von Vertretern der Stadt geplant wurde. Im folgenden Jahr gedachte die Schulgemeinschaft am Interimsort unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Opfer. Mit dem Rückzug in das, nun sanierte, Gutenberg-Gymnasium fand das Gedenken seinen festen Platz.15 An der Feier, welche vor einer an der Schule angebrachten Gedenktafel mit den Namen der Opfer gehalten wird, nehmen alljährlich auch Vertreter aus der Politik (so z. B. immer der jeweilige Oberbürgermeister Erfurts) teil, ohne jedoch einen aktiven Part zu übernehmen. Die Beteiligung beschränkt sich auf das Niederlegen eines Kranzes am Ende der Gedenkfeier. Mit dieser Zurückhaltung wird dem Wunsch der Schulgemeinschaft entsprochen. Ein weiteres Ritual hat sich außerdem herausgebildet. An den Gräbern der Opfer wird (wenn die Angehörigen dies wünschen)16 durch die Stadt am Tag des Amoklaufes jeweils ein Blumengebinde abgelegt.

      Das Gedenken an den Gräbern geht bereits auf den damaligen Oberbürgermeister Manfred Ruge zurück.

      „‚Dafür gibt es keine schriftlichen Festlegungen oder Stadtratsbeschlüsse, aber es war uns von Anfang an ein Herzensbedürfnis, auf diese Weise unsere Trauer mit auszudrücken‘, sagt er [Ruge]. Seine ‚rechte Hand‘, Martina König, fuhr jedes Jahr am 26. April in der Frühe persönlich auf die Friedhöfe, um sich dort mit um den Grabschmuck zu kümmern. ‚Ich bin sehr froh, dass mein Nachfolger das so fortführt‘, meint Manfred Ruge.“17

      Ein weiterer öffentlicher Ort des Gedenkens ist die Andreaskirche, in welcher Jahr für Jahr am 26. April um 18 Uhr eine Gedenkandacht stattfindet.

      Mit dem jährlichen Gedenken an der Schule, in der Andreaskirche und an den Gräbern der Opfer haben sich die Worte Bernhard Vogels bewahrheitet, dass der 26. April „für alle Zukunft ein Tag des Gedenkens“ sein und bleiben wird. Und auch wenn es sich nicht um einen gesetzlich festgelegten Stillen Tag handelt, so wird er doch in der Stadt als solcher verstanden. So schreibt 2017 Oberbürgermeister Andreas Bausewein an die Erfurter:

      „Den 26. April begehen wir Erfurter als ‚stillen Tag‘ und respektieren die Wünsche der Schule, ihrer Schüler und Lehrer bezüglich der Gedenkfeier. Wie in jedem Jahr richtet die Schule eine Veranstaltung aus. Die Stadt legt, sofern von den Angehörigen gewünscht, Gebinde auf den Gräbern der Verstorbenen nieder. […]

      Zum Zeichen der Verbundenheit, zum Gedenken an die Opfer dieser sinnlosen Gewalttat und als Aufruf zu einem Moment der Stille werden in Erfurt um 11:00 Uhr die Glocken vieler Kirchen läuten. […]

      Halten auch Sie inne, nehmen Sie, wenn Sie mögen, an der Gedenkfeier des Gutenberggymnasiums teil und nehmen Sie sich Zeit für Menschen, die Ihnen wichtig sind.“18

      Wenn man am 26. April einmal selbst zum Gutenberg-Gymnasium oder in die Andreaskirche geht, kann man erleben, dass Menschen kommen, welche nicht selbst unmittelbar betroffen waren. Und auch wenn diese in der Minderheit sind, zeigen sie, dass ein Bedürfnis nach gemeinsamem Gedenken besteht. Deshalb ist es wichtig, dass auch in Zukunft die Gedenkfeier in der Schule und die Andacht in der Andreaskirche offen für alle sind.

      Zusammenfassend kann man es so formulieren: Auch wenn die Politik zunächst federführend in Organisation und Gestaltung der Trauer- und Gedenkfeiern war, so hat sie sich seit 2004 doch deutlich zurückgenommen. Politiker, besonders in der Person des Oberbürgermeisters, sind am Gymnasium anwesend und legen Blumen nieder, halten jedoch keine Ansprachen o. Ä. Für die Bürger Erfurts war es wichtig, dass im Jahr des Amoklaufes die Trauerfeier auf dem Domplatz gehalten wurde, und auch im ersten Jahr war die Beteiligung noch so groß, dass der Domplatz als Ort angemessen war. Heute sind es nur noch wenige, die den Weg zum Gymnasium oder in die Kirche finden, aber es gibt sie. Manch einer meldet sich auch in den sozialen Medien, z. B. auf der Facebook-Seite der Stadt Erfurt, um hier seine Gedanken zu den Ereignissen von 2002 zu äußern oder am Tag des Amoklaufes eine virtuelle Kerze zu entzünden.19 Für die meisten Erfurter scheint das Läuten der Glocken ein ausreichendes Zeichen der Erinnerung zu sein.

      Die verschiedenen Wege, das Geschehen in Erinnerung zu behalten und es damit auch als Mahnung dienen zu lassen, ergänzen sich dabei.

      Eine Stadt trauert – nicht immer in der gleichen Weise und jeder Bewohner mit einem eigenen Maß. Eine Stadt trauert – heute stiller als kurz nach dem Amoklauf. Nicht mehr „die große Bühne“ – sprich der Domplatz, sondern der Platz vor der Gedenktafel an der Schule.

      Dieser Ort und die Andreaskirche geben heute der Stadt und ihren Bewohnern die Möglichkeit, sich am Gedenken