Группа авторов

Deutschland trauert


Скачать книгу

Ereignis verarbeiten – aber auch die Schüler- und Lehrergeneration, die in die Gemeinschaft kommt und die Geschichte des Hauses als Außenstehende annehmen kann.

      2005 erfolgte der mehr als ein Jahr lang vorbereitete Rückzug und eröffnete die 3. Phase: das Ankommen.

      Im Rahmen einer Projektwoche – professionell begleitet und pädagogisch aufbereitet – erfolgte die Rückkehr in das Stammhaus vor den Sommerferien. Partizipation nach den eigenen Möglichkeiten war maßgebliches Kriterium, Rückkehr und Ankommen zu gestalten. Dabei wurden Wege beschritten, die keine Vorbilder hatten.

      Zuhören, Hinsehen, Reflektieren, das Unproduktive benennen und die optimale Lösung suchen: Dieses Zusammenspiel kann als Instrumentarium für den Aufarbeitungsprozess resümiert werden.

      Da, wo es galt, Entscheidungen gegen eine Rückkehr zu treffen, waren Optionen und Angebote verfügbar.

      Anzumerken ist hier, dass die Anzahl der Schüler/innen und Lehrer/innen, die diesen Weg für sich wählten, sehr gering ist; und dass diese Entscheidungen bereits zeitnah zum Ereignis gefällt wurden.

      Auch das Trauerritual zum jährlichen Gedenken an die Opfer ist einer Entwicklung unterworfen.

      Waren zunächst der Staatstrauerakt und die Gedenkveranstaltung zur ersten Wiederkehr des 26. April auf dem Erfurter Domplatz Rituale kollektiver Trauer, ist seit 2004 das jährliche Gedenken vor dem Schulgebäude ein selbstbestimmtes Gedenken.

      Schüler, Lehrer und Ehemalige bereiten langfristig das Konzept des Rituals vor. Dabei lässt sich eine hohe Schüleraktivität und -kreativität erkennen, die auch nach dem Verlassen der Abiturienta 2010 – dem letzten Jahrgang unmittelbar involvierter Schüler/innen – ungebrochen ist.

      Das Schulritual wird öffentlich durchgeführt und ermöglicht dem Angehörigen, dem Bürger der Stadt sowie ihren Besuchern die Teilnahme. Die Schule öffnet sich im Anschluss als Stätte der Begegnungen. Diese beiden Positionen stellen die Säulen des Rituals dar.

      Die inhaltliche Gestaltung des Rituals und die Begegnungsformen sind offen für aktuelle Entwicklungen in der Schulgemeinde.

      Kollektive Trauer hat das Potential, dem Einzelnen Kraft und Halt aus der Gemeinschaft zu geben, obgleich ihr Sog auch rückschlagend wirken kann.

      Daher lässt sich aus unseren Erfahrungen bestätigen, dass der Begriff der „Kontinuität“, den der Soziologe Prof. Tilmann Allert als Umgangsform mit dem Tod entwickelt hat, im Aufarbeitungsprozess für die Schule eine entscheidende Rolle gespielt hat.

      Auch nach mehr als 16 Jahren kehren Ehemalige zurück, die inzwischen ihre Biografien nach der Schule fortsetzen, deren traumatische Erlebnisse Bestandteil ihres individuellen Wegs geworden sind, um immer dann im Besonderen wieder in der Schule Gesprächspartner und Verlässlichkeit zu treffen, wenn das Ereignis zurück und in ihr aktuelles Leben greift.

      Das Gutenberg-Gymnasium in Erfurt hat den 26. April 2002 als Teil der Schulgeschichte angenommen. Die Schule fügt sich durch ihr Profil in die Erfurter Schullandschaft ein – die Annahme als Lernort ist für Eltern und Schüler ungebrochen. Sie ist aber auch ein Haus, in dem immer dann auf Erfahrungen zurückgegriffen wird, wenn eine ähnlich schockierende Tat die Menschen erneut erschüttert – Erfahrungen im Umgang zwischen Menschen mit gleichen Schicksalsschlägen – Erfahrungen mit den immer gleichen Abläufen der „Blitzlichtgewitter“, den Reden und Statements und unserer scheinbaren Ohnmacht gegenüber dem Phänomen …

      Eine Stadt trauert

       Brigitte Benz

      Nach dem Amoklauf an einem Erfurter Gymnasium am Freitag, dem 26.04.2002, mussten nicht nur die unmittelbar Betroffenen dieses Ereignis verarbeiten,1 sondern alle Bürger der Stadt waren fassungslos angesichts der Tragödie. Die Stadt befand sich in einer Art Schockzustand (so erlebte es die Autorin selbst), kein fröhliches, pulsierendes Leben, wie es sonst meist der Fall ist. Und auch Ministerpräsident Bernhard Vogel brachte dies in seiner Ansprache zum Ausdruck, als er sagte: „Es stimmt, was ein Journalist dieser Tage gesagt hat: ‚Ich habe in dieser Stadt noch nie so viele Menschen auf den Straßen gesehen, aber ich habe diese Stadt noch nie so still erlebt.‘“2

      Viele Menschen zog es zum Ort des Amoklaufes, in die Kirchen der Stadt, besonders den Dom, oder zum Rathaus, um Blumen niederzulegen, Kerzen zu entzünden oder sich in eines der Kondolenzbücher im Rathaus einzutragen. Sie wollten ihr Mitgefühl mit den Opfern und deren Angehörigen, aber auch die eigene Betroffenheit zum Ausdruck bringen. Es ist sicher auch nicht falsch anzunehmen, dass die Menschen im – schweigenden – Zusammenstehen auch gegenseitig Halt und Unterstützung suchten. Die Menschen wollten nicht allein sein und andere nicht allein lassen in der Katastrophe. Schnell war dann klar, dass eine Trauerfeier für die Stadt gehalten werden muss. Dafür engagierte sich besonders der damalige Oberbürgermeister Manfred Ruge, der auch die beiden Großkirchen ansprach und um ihre Beteiligung bat. Im Folgenden werden einige der ersten Reaktionen (1), einzelne Aspekte der zentralen Gedenkfeier eine Woche nach dem Amoklauf (2) und ausgewählte Punkte des Gedenkens in den folgenden Jahren, besonders auf die Stadt bezogen (3), vorgestellt.

       1. Die ersten Stunden und Tage

      Sehr schnell nach Bekanntwerden des Amoklaufes fanden sich die ersten Menschen in der Nähe des Gutenberg-Gymnasiums, welches zu diesem Zeitpunkt weiträumig abgesperrt war, ein, um Blumen abzulegen. Auch in den folgenden Tagen war das Gymnasium ein wichtiger Anlaufpunkt für die Bürger der Stadt. Sie legten nicht nur Blumen ab, sondern auch Zettel mit der Aufschrift „Warum?“, viele entzündeten Kerzen. Dergleichen war besonders auch im Erfurter Dom und auf den Domstufen (diese führen vom Domplatz zum Domberg hinauf) zu beobachten. Der Dom blieb in der Nacht nach der Tragödie durchgehend geöffnet, um den Menschen einen Ort der Trauer und des Beisammenseins in Stille und Gebet zu geben.3

      Im Erfurter Rathaus lagen ab dem Tag nach der Tragödie Kondolenzbücher aus, in welche sich viele Erfurter, aber auch Vertreter aus der Bundespolitik (u. a.) eintrugen, so z. B. der damalige Außenminister Joschka Fischer.4 „Vor dem Rathaus bildeten sich den ganzen Tag über lange Schlangen von Trauernden, die sich in das Buch eintragen wollten.“5

      Die Stadt sagte verschiedene Veranstaltungen ab, darunter den „Autofrühling“, welcher auf dem Domplatz hätte stattfinden sollen. Die digitalen Anzeigetafeln der Stadtinformation zeigten am 27.04. die Aufschrift „Erfurt trauert um die Opfer einer sinnlosen Tat!“6.

      In einem der zur Bewältigung der Tragödie gebildeten Krisenstäbe wurde dann die Frage einer zentralen Trauerfeier besprochen.7 Dass die Trauerfeier genau eine Woche nach dem Amoklauf auf dem Erfurter Domplatz gehalten wurde, ermöglichte es ca. 100.000 Menschen, direkt an ihr teilzunehmen.

       2. Beteiligung der Stadt Erfurt und des Landes Thüringen an der Trauerfeier

      Die zentrale Erfurter Trauerfeier war bisher die einzige derartige Trauerfeier, die nicht in einer Kirche, sondern auf einem öffentlichen Platz stattfand. Auch sie gliederte sich, wie spätere Feiern, in einen staatlichen Akt und einen ökumenischen Gottesdienst, wobei in Erfurt zunächst der staatliche Akt gehalten wurde.8 Die Verantwortung für den ökumenischen Gottesdienst lag bei einer Vorbereitungsgruppe aus Angehörigen beider Großkirchen, für den staatlichen Akt zeichnete die Erfurter Staatskanzlei verantwortlich.9 Daraus kann abgeleitet werden, dass besonders der staatliche Akt den Ort der direkten Beteiligung von Stadt Erfurt und Land Thüringen darstellte. Dies ist auch an der Rednerliste ersichtlich. So sprach nach einem einleitenden Musikstück zunächst Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel, danach Bundespräsident Johannes Rau, ihm folgten die Schülersprecherin des Gutenberg-Gymnasiums Constanze Krieg und der Erfurter Oberbürgermeister Manfred Ruge. Nach einer kurzen Stille läuteten um 11 Uhr (und damit zum Zeitpunkt des Amoklaufes) alle Glocken der Stadt. Beendet wurde der staatliche Akt mit der Ansprache der Thüringer Landtagspräsidentin Christine Lieberknecht.

      Die Rednerliste zeigt den lokalen Bezug der Trauerfeier. Auch wenn sich Menschen in ganz