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Deutschland trauert


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sind sehr gut zu beobachten. Das entspricht heutigen Raumtheorien, in deren Analysen Raum nicht wie ein Behälter abgegrenzt und festgelegt verstanden wird, sondern als etwas, das in unterschiedlichen Nutzungen und Wahrnehmungen je neu konstituiert wird.31 Es zeigt sich zugleich, dass es Unterschiede von Feier zu Feier gibt und dass die Kirchen gerade im Umgang mit anderen Religionen auf der Suche sind.

      2.3 Vielfältige Beteiligungen

      Zunehmend werden also andere Religionen in die Gruppe der Akteure eingebunden, besonders eindrücklich geschah dies in München. Konfessions- und Religionsgrenzen verlieren angesichts des Geschehenen an Gewicht. Das religiöse Ritual segregiert im Idealfall nicht zwischen religiösen Gruppen, sondern integriert in neuer Weise. Eine temporäre Gemeinschaft mit Menschen unterschiedlicher Bekenntnisse und Weltanschauungen wird durch das gottesdienstliche Ritual begründet.32 Es geht im besten Sinne des Wortes für alle Beteiligten, nicht nur die Kirchen, um einen Lernprozess. Er steht allerdings noch ganz am Anfang. Das zeigen Kerzen für getötete Muslime bei einer Trauerfeier in Duisburg, die mit christlicher oder zumindest als christlich deutbarer Ikonografie geschmückt waren,33 und die gerade erwähnten Suchbewegungen bei der Verortung jüdischer oder muslimischer Gebete im Ritus. Zudem muss die Frage diskutiert werden, wie Menschen ohne Religionszugehörigkeit in solchen Feiern vorkommen.34 Positiv gewendet experimentieren die Kirchen in eine Richtung, die für das Zusammenleben der Gesellschaft insgesamt von Interesse ist.

      Vielfalt der Partizipation spricht ein Doppeltes an: Die Vorstellung einer „tätigen Teilnahme“, wie sie mit längerer Vorgeschichte durch die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils formuliert und dann durch die nachkonziliare Kirche, kirchliche Praxis und Liturgiewissenschaft vor allem für den Gemeindegottesdienst weiter ausgearbeitet worden ist, greift nur zum Teil. Das traditionelle Verständnis liturgischer Teilnahme geht vom Mitbeten und Mitfeiern aus und hat das christlich-konfessionell sozialisierte und initiierte Glaubenssubjekt vor Augen.35 Heute bedarf es eines breiteren Verständnisses von Teilnahme, welches das Handeln der Gemeinschaft wie des Subjekts besser zusammendenken kann.36 Dazu zählt die Akzeptanz unterschiedlicher Formen der Teilnahme, und zwar vom wirklichen Mitbeten bis hin zu einem bewussten Anwesendsein.37 Das gilt für die Trauerfeiern, ist aber ebenso auf andere Liturgien hin zu diskutieren.

      Müssen diese Trauerfeiern religiös exklusiv, also dem Wortsinn nach „ausschließend“ sein, oder müssen sie andere Religionen und Weltanschauungen so einschließen (können), dass diese aktiv partizipieren können? Sie sollten sich dann als Trauernde im jeweiligen Ritual in der Weise angesprochen fühlen, dass sie trauern und Hoffnung schöpfen können; es kann aber auch heißen, dass sie selbst aus ihren heiligen Schriften Texte verlesen und Gebete sprechen können. Insbesondere die Trauerfeier in München zeigt, dass dies offensichtlich praktikabel ist. Dafür gibt es theologische Gründe wie kirchliche Grundlagen(dokumente).

      Die Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen, Nostra Aetate, eröffnet insbesondere in den Art. 1 und 2 Perspektiven, ohne dass die bestehenden theologischen Differenzen zwischen den Religionen negiert werden.38 Das Dokument geht von der Einheit der Heilsgeschichte aus, die alle Menschen umgreift. Diese Erkenntnis wird trinitätstheologisch unterlegt. Gottes- und Menschenliebe werden eng aufeinander bezogen, sodass das Engagement für die Menschheit jenseits religiöser Grenzen als Ausdruck der Gottesliebe verstanden wird.39 Nostra Aetate hat nicht nur eine enorme Wirkung in der Doktrin der katholischen Kirche40 und in der Theologie41 bis in die Gegenwart entfaltet, sondern zugleich rituell-liturgische Konsequenzen gehabt, beispielsweise in den – in unterschiedlicher Form durchgeführten – Gebetstreffen von Assisi seit 1986.42 Gemeinschaft kann in extremer Bedrängnis wie nach einer Naturkatastrophe oder einem Anschlag auch im Gebet innerhalb einer Liturgiefeier zum Ausdruck kommen. Dafür gelten aus guten Gründen besondere Kriterien. Es muss situationsgerecht beurteilt werden, wann wie zu handeln ist, und es darf nicht nach starren Normen verfahren werden.43 Die Trauerfeier muss seitens religiöser Akteure so gestaltet sein, dass sie der pluralen Gesellschaft eine Hilfe bietet. Dementsprechend ist mit religiösen und konfessionellen Identitäten und Profilen umzugehen. Entscheidend ist das Miteinander, das durch den Rahmen einer Feier und an einem Ort begangen wird. So entsteht ein gemeinsamer Raum zum Trauern.

      2.4 Trauerfeiern im Kontext eines Trauerprozesses

      Eine kurze Bemerkung muss genügen, eigene Forschung ist notwendig: Solche Trauerfeiern stehen im Kontext weiterer Feiern und Riten, was bislang wenig beachtet und untersucht worden ist. Bevor eine solche Trauerfeier überhaupt geplant ist, gibt es fast immer schon Orte, an denen Kerzen, Blumen, Briefe, Bilder, Blätter mit Gebeten, ein Plakat mit der Frage „Warum?“ abgelegt werden. Hier findet individuelle Trauer statt. Einzelne können sich mit dem, was sie für sich persönlich als wichtig erachten, ausdrücken. Es gibt oft zudem schon Gottesdienste im kleinen Kreis, die nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind.

      Und es gibt ein Nachher, Trauerzeiten und Gedenkgottesdienste. Die Angehörigen der Toten der Loveparade in Duisburg treffen sich bis heute zum Gedenken und zum Gottesdienst. In Erfurt wird weiterhin am Gedenktag des Amoklaufs in einem Gymnasium der Toten gedacht und in einem Gottesdienst für alle Betroffenen gebetet. Andernorts werden Gedenkorte eingerichtet.44 Die Trauerfeiern stehen folglich nicht isoliert da, sondern sind Teil eines vermutlich lebenslangen Weges. Sie sind aber der Akt, in dem Gemeinschaft angesichts der Katastrophe dicht erfahrbar wird. Auch das spricht für eine gemeinsame Feier, wie sie heute üblich ist, und macht skeptisch gegenüber anderen Formen – wie etwa dem Assisi-Modell, die letztlich nach Religionsgemeinschaften und damit Menschen trennen.

       3. Liturgie mit diakonischem Anspruch

      3.1 Kirchliche Perspektive

      Eine Liturgie mit diakonischem Anspruch will in einer schwierigen Lebenssituation helfen und muss sich folglich nach den Anforderungen dieser Lebenssituation richten, wenn sie Trost und Hoffnung zusprechen will. Die Liturgie erweist sich dabei als dynamisch und richtet sich an der jeweiligen Lebenssituation aus. Das ist katholischer Liturgie im Umfeld von Tod und Trauer offensichtlich nicht fremd, wie eine Analyse von Dokumenten der katholischen Kirche zeigt. So hat die Deutsche Bischofskonferenz 2017 in dritter Auflage eine Broschüre „Tote begraben und Trauernde trösten“ veröffentlicht, in der u. a. Möglichkeiten der Bestattung von Nichtkatholiken beschrieben werden. Der entsprechende Passus im Heft steht unter der Überschrift „Begleitung, wenn ein kirchliches Begräbnis nicht möglich ist“. Es handelt sich um Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind und mit ihr gebrochen haben. Dabei geht es um ein Ritual – die Arbeitshilfe spricht nicht von „Liturgie“, obwohl es sich faktisch darum handelt –, dem sich die katholische Kirche lange verweigert hat. Aber die Kirchenleitung kann sich eine solche Form der Beteiligung mit Blick auf die Angehörigen vorstellen, die bewusst kirchlich leben und deshalb um diese seelsorgliche Unterstützung bitten. „Die Teilnahme eines Seelsorgers kann Angehörige in ihrer Trauer stützen und heilsam begleiten.“45

      In der Situation des Verlustes eines Menschen kann, so muss man diese Arbeitshilfe lesen, aus seelsorglichen und theologischen Gründen eine durch die Kirche gesetzte Norm von ihr selbst überschritten werden. Der Ritus, der angeboten wird, kann Einführung, Gebet, Lesung, Ansprache, Stilles Gedenken, den Gang zum Grab, Beisetzung, Gebet des Herrn und Segenswort umfassen. Der Unterschied zum Begräbnis wird durchgehalten, wenn es beispielsweise heißt: Der Priester, Diakon oder eine andere beauftragte Person „geht nicht vor dem Sarg, sondern begleitet die Angehörigen zum Grab.“46 Dennoch handelt es sich um eine kirchlich mitgestaltete Liturgie, in der die Kirche aber mit Respekt vor der Entscheidung des Toten wie der Bitte der Angehörigen mit einem anderen Habitus handeln will als bei einem kirchlichen Begräbnis. Wie immer man den Ritus im Einzelnen beurteilen mag: Im Umgang mit dem Tod kennt die Kirche unterschiedliches rituelles Auftreten. Sie kann ihre Rollen ändern und auf Menschen zugehen, die sich von ihr abgewandt haben. Jeder Mensch ist von Gott „geschaffen und geliebt“, heißt es etwa in der Eröffnung. Die verstorbene Person wird Gottes Erbarmen empfohlen. Es wird Trost für die Trauernden erbeten.47 Wenn das für Menschen möglich ist, die sich von