Silvia Hess

Morgarten


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vermuten Hardtwig und Schug – und fordern, dass Historiker sich öffentlich zu Wort melden und dabei versuchen sollen, das «Interesse des grossen Publikums» ernsthaft zu verstehen. Die kulturkritischen Zweifel an der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Populärkultur, der die zwei Autoren einen «konsumistischen Kern» zuschreiben, sind nicht zu überhören. Um Geschichte «verkaufen» und «konsumieren» zu können, müsse sie in eine Ware verwandelt werden. Wie lässt sich die Verwandlung von Geschichte in eine Ware beschreiben?

      Wie ein kulturelles Produkt zu einer Ware gemacht wird, zeigt sich bei der Auszeichnung historischer Orte als «Kulturerbe». Wie Kultur zu «Kulturerbe» gemacht wird, untersuchte die Ethnologin Regina Bendix 2013.31 Bendix wählte drei schweizerische Beispiele, um einen, wie sie schreibt, vielfach gelagerten «Inwertsetzungsprozess» über einen längeren Zeitraum zeigen zu können.32 Die Historikerin Taina Syrjämaa wählte hingegen den Begriff der Kommodifizierung, um zu umschreiben, wie aus Geschichte Konsumgüter gemacht werden.33 Syrjämaa schreibt der Werbung – kleinen Broschüren, farbigen Postern, Zeitungsanzeigen und Tourismusfilmen – einen wichtigen Schritt in Richtung Kommodifizierung zu, weil Geschichte auf dieselbe Weise angepriesen werde wie Seife oder Schokolade.34

      Neue Präsentationsformen von Geschichte werden oft mit Rückgriff auf «–isierungsthesen» analysiert: Kommodifizierung (in eine Ware verwandeln), Kommerzialisierung (einer ökonomischen Logik anpassen), Personalisierung (auf einzelne Personen aus der Geschichte fokussieren), Emotionalisierung (die Absicht verstärken, Gefühle hervorzurufen), Folklorisierung (Unterhaltungsbräuche ausserhalb ihrer Sinnzusammenhänge inszenieren), Fragmentierung (Geschichte in zusammenhangslose, einzeln betrachtete Teile zerlegen), Enthistorisierung (Geschichte weniger einbeziehen), Entpolitisierung (Politik weniger einbeziehen), Retraditionalisierung (an die für Touristen inszenierten Bräuche zu glauben beginnen). Ohne diese Thesen abzulehnen, sind sie dennoch für die Quelleninterpretation wenig hilfreich, weil ihre Formulierungen vorgeben, dass es von selbst laufende Prozesse gebe, und deshalb die handelnden Personen nicht ins Sichtfeld ziehen. In diesem Buch geht es aber darum, wer in welchem Kontext und mit welchen Mitteln die Geschichte der Schlacht am Morgarten für Besucher inszenierte und wie dieses Angebot genutzt wurde. Daher tauchen hier in der Folge anstelle von «dem Tourismus» eine Vielzahl von Akteuren mit Namen auf.

      Wie historische Orte gestaltet und wahrgenommen werden, wurde bislang wenig untersucht. Eine Ausnahme bildet ein Kapitel im 2007 erschienenen Buch Geschichte im Gedächtnis von Aleida Assmann. Die Autorin beschreibt drei aktuelle Grundformen historischer Präsentation: Erzählen, Ausstellen, Inszenieren.35 Inszenierung sei ein «Schlüsselbegriff eines konstruktivistischen Weltverständnisses, demzufolge Wirklichkeit nicht vorfindlich existiert, sondern performativ hergestellt» werde.36 Auch Besucher einer Inszenierung könnten sich als Teil dieser Inszenierung betrachten. Dadurch verlassen Geschichtsinszenierungen gemäss Assmann «die geschlossenen Räume des Museums und die Fläche von Bildschirm und Leinwand», um sich an «Orten, Städten und Landschaften» auszubreiten, die «als historische Bühne begangen und aufwendig bespielt» werden.37 Assmann macht hier treffend auf ein Spezifikum historischer Orte aufmerksam: Für den touristischen Geschichtsgebrauch werden oft Aussenräume als Anschauungs- und Projektionsfläche verwendet und mit Angeboten, die für diesen spezifischen Gebrauch hergestellt werden, ausgestattet. Diese neuen Präsentationsweisen erklärt Assmann mit einem anders motivierten Publikum, für welches Geschichte auf andere Weise aufbereitet werden müsse: Die Konsumgesellschaft ersetze das Bildungsbürgertum. Geschichte sei «–was die Präsentation angeht – vielfältiger, reizvoller, raffinierter geworden», was allerdings nicht heisse, dass sie «deshalb weiter und tiefer verankert wäre». Die Präsentation, so Assmann, ziele «weniger auf Wissen als auf emotionale Anteilnahme, Schaulust und Unterhaltung» ab.38

      So plausibel diese kritischen Beobachtungen sein mögen, fällt auf, dass sie ohne Akteure auskommen und die Rezipienten in den abstrakten Begriff der «Konsumgesellschaft» fassen. Was unterscheidet die Konsumgesellschaft vom Bildungsbürgertum, wenn es um Geschichtsvermittlung geht? Wer sind die Produzenten dieser neuen «Präsentationen» und wie stellen sie Geschichte dar? Die Idee, Geschichtsbilder mit emotionaler Berührung vor Ort zu inszenieren, hat in gewisser Weise Karl Bürkli bereits 1895 vorgeführt und war damit zweifellos nicht der Erste. Wer waren seine Vorgänger?

Merkwürdige Schweizer Geschichte, 1780–1830

      Reiseführer, Reiseberichte und Anleitungen, wie man richtig reist

      Reiseziel Schlachtfeld

      Bis ans Ende des 18. Jahrhunderts suchten nur wenige Besucher den Ort der Schlacht am Morgarten auf. Zwischen 1750 und 1790 nahm der Reiseverkehr in die Schweiz beträchtlich zu, wie beispielsweise die Anzahl publizierter Reiseberichte nahelegt.39 Laurent Tissot setzt die Prämissen des Tourismus in die Jahre 1780 bis 1830.40 In dieser Zeitspanne wurde die Schweizerreise bei Reisenden zunehmend beliebter. Die Schweiz und die Alpen wurden als Projektionsflächen für neue Theorien genutzt, die erklären, was eine schöne Landschaft ausmache und wie Menschen zusammenleben sollten.41

      Sehenswürdigkeiten der Vormoderne waren historische Waffensammlungen in Zeughäusern und vom 18. Jahrhundert an vor allem die Natur.42 Auch Schlachtfelder gehörten zu den frühen Sehenswürdigkeiten. In Goethes Faust, der Tragödie zweiter Teil (1832) fragt Mephistopheles spöttisch:

      «Sind Briten hier: Sie reisen sonst so viel.

      Schlachtfeldern nachzuspüren, Wasserfällen, Gestürzten Mauern, klassischdumpfen Stellen;

      Das wäre hier für sie ein würdig Ziel.»43

      Die gemeinsame Aufzählung von Schlachtfeldern mit Wasserfällen und Ruinen ordnet Schlachtfelder den Reisezielen des romantischen Tourismus des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts zu. Im Gebiet der heutigen Schweiz war insbesondere das Schlachtfeld von Murten ein beliebtes Ziel von Reisenden, die es oft Goethe gleichtaten und aus dem Beinhaus von Murten den Schädelteil eines Burgunders als Souvenir mitnahmen.44

      Die Schlachtfelder und Schlachtkapellen waren nicht die einzigen Orte, an denen Geschichte «besichtigt» wurde. Auch frühe Denkmäler und Zeughäuser repräsentierten Geschichte. Die Historikerin Christine von Arx untersuchte Zeughäuser als «Orte der historischen Repräsentation» im 18. und 19. Jahrhundert. Von Arx schreibt, dass in den Reiseberichten ein grosses Interesse an der mittelalterlichen Geschichte der Eidgenossenschaft, insbesondere der Kriegsgeschichte, auszumachen sei, ja sogar, dass eine Geschichtsbegeisterung massgebend die Beliebtheit der Schweiz als Reiseland bewirkt habe.45 Die Reisenden hätten den «bezeugten historischen» Schauplatz betreten wollen. Sie zitiert den englischen Reiseschriftsteller William Coxe, der in seinem Reisebericht von 1781 seine Gedanken beim Besuch des Schlachtfelds von Näfels beschrieb: «Hier wars! Hier wars, wo 350 Glarner mit Hilfe von 30 Schwyzern der ganzen Macht der österreichischen Armee widerstunden.»46 Von Arx folgert, dass die Reisenden des späten 18. Jahrhunderts bereits den «authentischen Ort» betreten wollten, um Geschichte «über alle Sinne» wahrzunehmen und somit «erst eigentlich» zu erleben. Dabei hätten die Denkmäler an den historischen Orten nur als «Zeigefinger» funktioniert, die den Schauplatz markierten, den man zu betreten wünschte. Dieser Wunsch sei, so von Arx weiter, in engem Zusammenhang mit einem neuen Naturverständnis zu verstehen. Die Landschaften seien neu «in ihrer historischen Bedeutsamkeit» wahrgenommen worden.47

      Was ist die Rolle von Landschaften in der Darstellung mittelalterlicher Geschichte? Wenn Authentizität eine Zuschreibung ist, wie Martin Sabrow es definiert, etwas Echtes und Originales, eine «unverstellte Unmittelbarkeit», vor sich zu haben – an welchen Kriterien machten die Reiseautoren eine Zuschreibung von Morgarten als authentische «historische Stätte» fest?48

      Ein erstes Beispiel stellt die Behauptung, dass die Reisenden Geschichte als «authentischen Ort» besuchen wollten, bereits in Frage. In den 1780er-Jahren reiste Christoph Meiners (1747–1810), Professor in Göttingen, streckenweise zu Fuss durch die Schweiz und schrieb einen Reisebericht in Briefform. Dieser Bericht