Группа авторов

Kirche geht ...


Скачать книгу

dieser Erde und macht sich zur Stimme derer, die keine Stimme haben. Sie hat ein Ohr für die lauten und leisen Töne menschlicher Not und Verzweiflung. Ihre Gemeinden vor Ort kennen diese Musik und machen sie zu Gottes Melodie und zu ihrer Kirchenmusik.

      Unsere Kirche serviert die erlösende und befreiende Botschaft des Evangeliums und ihre Tradition des Glaubens nicht als Eintopf und Einheitsbrei. Sie verleiht ihrer Glaubensverkündigung durch die Verwendung lokaler Gewürze einen je eigenen Geschmack.

       Geht Kirche noch? Ja, wenn sie zu den Menschen geht

      Ja, sie geht nur dort in den Spuren Jesu, wo sie – wie er – zu den Menschen geht, wo der „Weg der Kirche der Mensch“ (Johannes Paul II.) ist. Kirche geht dort, wo sie bei Jesus Christus und seinem Evangelium in die Schule geht. Sie bleibt dort am Leben, wo sie am Leben bleibt, am Leben der Menschen dran bleibt. Wo sie sich vom Menschen entfernt, wird sie bedeutungslos und stirbt.

      Wie das geht und vor Ort gehen kann, das leben uns in der Kirche von heute Millionen kleiner christlicher Gemeinschaften vor. Es ist gut, ja lebensnotwendig für die Kirche in Deutschland und im deutschsprachigen Raum, dass wir uns in der Kirchen- und Gemeindeentwicklung vor Ort im Vertrauen auf das schöpferische Wirken des Geistes Gottes etwas sagen lassen und neue Wege gehen. „Wer Ohren hat zu hören, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt“ (Offb 2, 7) – diese siebenmal wiederkehrende Aufforderung und Ermutigung an die Gemeinden am Ende des 1. christlichen Jahrhunderts, wie sie uns in der Offenbarung des Johannes begegnen, sind auch Aufforderung und Ermutigung an dieses Symposion.

      Was wir voneinander hören, was wir uns gegenseitig an lokalen Kirchen- und Gemeindeentwicklungen mitteilen, kann unserer Kirche „Beine machen“, bringt uns als Kirche zum Gehen. Verfallen wir aber nicht einem gemeindetheologischen praktischen Atheismus und Pragmatismus, in der wir unsere Kirche nur als das Ergebnis von Kirchendisziplin und Strukturreformen neu erfinden und „produzieren“ wollen, „etsi Deus non daretur“ – „als ob es Gott nicht gäbe“. Vergessen wir nie, dass in unserer Kirche nicht nur Menschengeist weht, sondern der Geist Gottes in ihr und in ihren Gemeinden am Werk ist, dass unser Bruder und Herr Jesus Christus – wie mit den Jüngern von Emaus – mit uns geht und zu uns steht. Ihm und seinem Geist verdanken wir letztlich die Dynamik lokaler Kirchenentwicklung.

      Franz Weber, geboren 1945, ist Professor für interkulturelle Pastoraltheologie und Missionswissenschaft an der Universität Innsbruck. Als Combonimissionar verfügt er über eine reiche Erfahrung im Bereich der Kirchlichen Basisgemeinden in Lateinamerika, Asien und Afrika. Häufige Veröffentlichungen zum Thema. Grundlegend: Weber, Franz; Fuchs, Ottmar (2007): Gemeindetheologie interkulturell. Lateinamerika – Afrika – Asien. Mainz a. Rhein: Matthias-Grünewald-Verlag (= Kommunikative Theologie 9).

       Valentin Dessoy

       Kirche könnte gehen …

      Kirche ist Organisation und „braucht Organisation um ihrer selbst willen“ (Lames 2012, 228). Als Organisation verkörpert Kirche symbolisch den Ursprung: Bekenntnis und Auftrag Jesu Christi werden in der Welt sichtbar. Zugleich verweist sie zeichenhaft auf das angebrochene Reich Gottes (vgl. Lames 2012). Erinnerung und Verweis auf Dauer zu stellen, ist die Kernfunktion von Kirche als Organisation.

      Systemisch betrachtet, kann Kirche diese Aufgabe nur dann realisieren, wenn sie sich mit ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Umwelt koppelt. Kirchenentwicklung, die Entwicklung der Organisation Kirche, ist unabdingbar, sofern sich Gesellschaft verändert. Der vorliegende Beitrag fokussiert Kirche als Organisation, soll die Fremdperspektive eintragen. Basierend auf sozialwissenschaftlichen Konzepten und ausgehend von Erfahrungen aus kirchlichen Entwicklungsprozessen werden Kriterien skizziert, wie Kirche als Organisation in Bewegung kommen und bleiben kann.

       1. Was passiert, wenn Kirche geht

      Zunächst drei Vorbemerkungen zum Stichwort „gehen“, um die Grundrichtung zu skizzieren.

       (1) Kirche entsteht

      Für Kirchenmenschen ist es provokativ, für Systemiker dagegen selbstverständlich: Es gibt – für uns endliche Menschen könnte man einschränkend sagen – keine Wirklichkeit an sich.

      Systeme, Wirklichkeit und damit auch Wahrheit im semantischen Sinn – jenseits logischer Widerspruchsfreiheit – entstehen, wenn Menschen sich im Kommunikationsprozess selektierend beobachten, wechselseitig aufeinander beziehen und ihrem Verhalten auf diese Weise Sinn zuschreiben (Luhmann 1993). So entsteht Kirche, so entfaltet sich Offenbarung. Wohlgemerkt, Kirche bzw. Offenbarung ist diese Kommunikation.

      Wenn sich Getaufte auf den Weg machen und zusammenkommen, um ihre (Glaubens-)Erfahrungen auszutauschen und zu reflektieren, dann sind sie Kirche, betreiben sie Kirchenentwicklung und zeigen: „Kirche geht!“. Damit ist alles gesagt. Es geht um ein im Schwerpunkt verändertes Kirchenverständnis. Exemplarisch hierfür mag die Emmausgeschichte (Lk 24, 13–35) stehen. Das II. Vatikanische Konzil benutzt dafür die Bilder des pilgernden Gottesvolkes und der Communio, der lebendigen Gemeinschaft (u. a. LG 4).

       (2) Kirche lernt

      Sprache speichert Wissen. Daher lohnt ein genauer Blick auf das Wort „gehen“. Die Wortwahl ist Programm. Etymologisch geht das Verb „gehen“ auf die idg. Wurzel ĝhē[i] zurück, die „klaffen, leer sein, verlassen, [fort]gehen“ bedeutet. Ich kann nur gehen, wenn ich etwas verlasse, also los- oder zurücklasse.

      Gehen hat viel mit „lernen“ zu tun. Das Verb „lernen“ leitet sich aus ahd. leisten ab und bedeutet ursprünglich „einer Spur nachgehen, nachspüren“. Lernen geht nur über „Er-fahrung“, ist also ein aktiver, selbstgesteuerter Vorgang. Wenn Kirche geht, macht sie (neue) Erfahrungen und dadurch lernt sie.

      Gehen hat auch mit „führen“ und „leiten“ zu tun. Die idg. Wurzel leit[h] steht für „gehen, dahingehen“. Im ahd. und mhd. entspricht dieser Bedeutung das Wort „leiden“, erst unter christlichem Einfluss wird daraus „dulden, ertragen, Schmerz, Kummer empfinden“. Das Verb „leiten“ ist das Veranlassungswort zu „leiden“, bedeutet ursprünglich „gehen oder fahren machen“. Ähnlich verhält es sich mit dem Wort „führen“, dem Veranlassungswort zu „fahren“. Das also ist die Kernaufgabe von Führung und Leitung: Nicht von oben zu bestimmen, was zu tun ist, sondern in Bewegung zu bringen, Erfahrung zu ermöglichen, Lernen in Gang zu setzen und den Übergang zu gestalten.

       (3) Kirche bleibt

      Zurück zum Titel des Kongresses: „Kirche geht“. Der Titel lässt unterschiedliche Assoziationen zu. Zwei scheinen besonders prägnant und in unserem Zusammenhang von Bedeutung zu sein.

      Die erste: „Kirche geht“ ist eine (generalisierende) Feststellung, ein Fazit: Kirche funktioniert! Das ist – selbst für den geneigten Beobachter – eine steile These. Die Realität sieht anders aus. Von außen hat man eher den Eindruck, dass sich die Kirche bei uns im fortgeschrittenen Stadium der Auflösung befindet. Ist man etwas näher dran, hört man von den Verantwortlichen, dass sie gerade nicht wissen, wie es geht. Aber alle wissen: Kirche (wie wir sie kennen) geht nicht mehr.

      Die zweite Assoziation: „Kirche geht“ ist eine Beschreibung: Kirche macht sich auf den Weg, kommt in Bewegung, ist (schon) unterwegs. Die Aussage ist bescheidener, öffnet den Blick auf Zukunft hin. Sie verweist auf Aufbrüche, gemeinsame Wege und neue Erfahrungen. Unvollständigkeit und Ungewissheit, Irrwege und Sackgassen gehören mit ins Bild.

      In der Verknüpfung beider Assoziationen liegt das Entscheidende: „Kirche geht nicht, wenn sie stehen bleibt“ also „Kirche vergeht, wenn sie bleibt