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Kirche geht ...


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      In lose gekoppelten Organisationsformen gelten nur ganz wenige, übergeordnete Basisprämissen und Metaregeln. Die konkreten Spielregeln werden von den jeweils Beteiligten selbst mit Hilfe zeitlich befristeter, verbindlicher und überprüfbarer Vereinbarungen festgelegt. Steuerung geschieht cross-over über Kontrakte, nicht top-down über Vorgaben.

      Das klingt trivial, ist jedoch für die Kirche eine besondere Herausforderung: Trotz anderer, hierarchisch-bürokratischer, synodal-demokratischer oder kooperativ-teamorientierter Traditionen (Dessoy 2010 [b]), ist sie in ihrem Kern durch eine monarchischfeudale, bisweilen absolutistische Form der Machtausübung geprägt (vgl. Gärtner, 2002). Kennzeichnend sind zwei Regeln:

      – 1. Regel: Persönliche Beziehungen sind entscheidend. Regeln können sich jederzeit ändern – jenseits formaler Regularien und unabhängig vom eigenen Zutun. Durchgriff und Bestrafung an formalen hierarchischen Ebenen vorbei sind möglich etc.

      – 2. Regel komplementär: Regeln und Vereinbarungen müssen nicht eingehalten werden, solange keine ernsthaften (öffentlichen) Störungen auftreten oder Machtinteressen anderer berührt werden. Die Folge ist ein ritualisiertes Muster „geplanter Folgenlosigkeit“: Man trifft sich, bespricht sich, vereinbart sich – und hält sich nicht daran.

      Dieser Mechanismus lähmt das zentrale Nervensystem der Organisation durch einen kulturell und strukturell verankerten Überhang negativer Feedback-Schleifen. Veränderungsimpulse können sich nicht fortpflanzen und verstärken. Das macht das System hochgradig stabil.

      Eine Kulturveränderung setzt gerade hier an: Ziele, Vorgehensweisen und Regeln der Zusammenarbeit sind transparent zu machen, operational zu beschreiben, verbindlich zu vereinbaren und konsequent zu überprüfen. Feudal-normative Eingriffe sind konsequent zu unterbinden. Das erfordert von den Beteiligten Mut, macht aber auf der anderen Seite auch sehr schnell deutlich, ob die Organisation in der Substanz und in der Führung bereit ist, die erforderliche Kulturveränderung mitzugehen.

       (7) Kriterium 7: Führung – ermöglichend, unterstützend, emanzipatorisch

      Organisationen, die sich in komplexen, dynamischen Kontexten bewegen, brauchen ein grundlegend verändertes (Rollen-) Verständnis von Führung und Leitung (vgl. Berkel 2008). Der Schwerpunkt verschiebt sich von der Organisation und Steuerung des Alltagsgeschäfts (dem klassischen Management) hin zur Begleitung von Innovations- und Transformationsprozessen. Der Manager der Zukunft ist „Systemarchitekt, Katalysator, Trainer und Spielführer, der die Mannschaft richtig einsetzt und zum Sieg führt“ (Doppler 2006, 33).

      Wenn die Transformation von Kirche im Rahmen einer offensiv-missionarischen Reformstrategie auf maximale Einheit und maximale Selbststeuerung zielt, besteht die Kunst des Führens und Leitens darin, kontextuell-situativ zu erkennen, was die Menschen im jeweiligen System aus eigener Kraft und Kompetenz zu leisten in der Lage sind, um sie an dieser Stelle zu unterstützen, den nächsten Lernschritt im Sinne der kirchlichen Gesamtstrategie zu gehen.

      In einem Szenario, das Kirche als Netzwerk multipler selbststeuernder „Kirchorte“ oder „Gemeinden“ begreift, sind kirchliche Führungs-/Leitungskräfte nicht in erster Linie für die operative Seelsorge oder deren Steuerung, sondern dafür verantwortlich, angemessene Bedingungen für lokale Lern- und Entwicklungsprozesse zu schaffen, also Differenzierung und Innovation durch größtmögliche Autonomie und Selbststeuerung zu ermöglichen. Modern formuliert: Die Kirche braucht zukünftig Führungskräfte, die sich als Coaches, also Spielertrainer, verstehen.

      Die Grundregeln, an die sich F&L-Kräfte zu halten haben, sind vergleichsweise einfach. Es gilt, nichts zu tun, was der Übernahme von Selbstverantwortung im Wege steht oder diese verhindert, dagegen alles dafür zu tun, dass die Verantwortung für die Seelsorge, ihre Organisation und Weiterentwicklung vom jeweiligen System, also den Menschen selbst aufgrund ihrer Taufwürde, wahrgenommen wird (vgl. Dessoy 2010 [b], Schrappe 2012). Konsequent angewandt lösen diese Prinzipien natürlich zunächst massiven Widerstand aus. Auf Dauer haben sie eine durchschlagende emanzipatorische Wirkung.

       (8) Kriterium 8: Personalpolitik – flexibel, charismenorientiert, leistungsbezogen

      Monolithische Rollenarchitekturen und ein bürokratisches Amtsverständnis sind denkbar ungeeignet, flexibel kundenorientierte Prozessketten zu knüpfen und netzwerkartige Organisationsstrukturen aufzubauen. Moderne Unternehmen setzen daher auf flexible Rollenarchitekturen. Sie stellen umfangreiche Qualifizierungs-, Förder- und Anreizsysteme bereit, damit die Mitarbeiter/innen den Sinn eines besonderen Einsatzes erkennen können und ihre Potenziale abrufen bzw. weiterentwickeln.

      Ganz anders in der Kirche: In traditioneller Logik hat der Priester mit Studium, Weihe und Beauftragung alles, was er zu seinem Dienst braucht. Sein Lernprozess ist abgeschlossen. Gleichwohl fehlt ihm zumeist das in der Praxis erforderliche Knowhow. In Personal- und Organisationsentwicklungsprozessen zeigt sich regelmäßig auf allen Ebenen ein tiefgreifender Mangel an strategisch-struktureller und systemisch-prozesshafter Wahrnehmungs- und Handlungskompetenz, also jene Fähigkeiten, die gebraucht werden, um auf Distanz führen und Entwicklungsprozesse gestalten zu können (vgl. Berkel 2008).

      Das klassische Rollenverständnis („allen alles“) entfaltet mit der generellen Kompetenzzuschreibung („alle können alles“) und dem am einzelnen ausgerichteten Seelsorgeverständnis in dynamischen Kirchenumwelten eine fatale Wirkung: Die Mehrzahl der Priester ist massiv überfordert. Viele lösen den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit durch Komplexreduktion, durch Rückzug oder Krankheit. Die Verantwortlichen müssen akzeptieren, dass nur ein begrenzter Teil des Klerus geeignet (bzw. qualifizierbar) ist, die erforderlichen Veränderungen mitzugehen, geschweige denn dabei die Führung zu übernehmen. Bei haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen ist die Situation häufig umgekehrt: Ressourcen, Kompetenzen und Motivation sind vorhanden, können jedoch nicht angemessen eingesetzt werden.

      Eine auf Innovation und Nachhaltigkeit ausgerichtete Personalpolitik setzt auf eine differenzierte und flexible Rollengestaltung/-architektur, einen charismenorientierten Personaleinsatz, eine strategisch ausgerichtete Personalentwicklung und eine leistungsbezogene Gratifikation (vgl. Schrappe 2012). Diese Prinzipien gelten gleichermaßen für die Arbeit mit hauptberuflichen wie mit ehrenamtlich tätigen Mitarbeiter/innen.

       (9) Kriterium 9: Kommunikation – wertschätzend, ermutigend, inspirierend

      Eine Kultur der Erneuerung lebt von einer Kommunikation, die wertschätzend, ermutigend und inspirierend ist. Es gibt ein grundlegendes Vertrauen, dass man gemeinsam auf der Suche nach dem richtigen Weg ist. Abweichungen und Fehler sind erlaubt und erwünscht, um Unterschiede zu produzieren, neue Erfahrungen zu machen und neues Wissen zu generieren. Wer dies tut, macht andere stark, ganz im Sinne der Worte Jesu an Petrus: Stärke Deine Brüder! (Lk 22,32). Empowerment ist das Zauberwort.

      Kirche, wie wir sie kennen, funktioniert traditionell und auch heute vielfach noch ganz anders. Normativ auf Erhalt programmiert, sind Transparenz und diskursive Differenz (trotz vieler anderslautender Bekundungen) nicht wirklich erwünscht. Kleinste Abweichungen werden bestraft, nicht gefördert, geschweige denn gezielt initiiert. Wenn Öffentlichkeit ins Spiel kommt, hört der Spaß auf, folgen Sanktionen, ggf. Exklusion. „Divide et impera“, isolieren und abstrafen, ist noch immer die Methode der Wahl. Umgekehrt werden kriminelle Machenschaften über Jahrzehnte hinweg systematisch gedeckt und vertuscht, um das „System Kirche“ zu schützen und bestehende Machtverhältnisse zu bewahren. Wen wundert es, dass die besten Köpfe auswandern?

      Der Kirche muss es gelingen, ihre kulturgeschichtlich größte Stärke, die soteriologische Dimension ihrer Botschaft, die heilende und befreiende Kraft des Evangeliums wieder zu entdecken. Diesmal aber nicht im Gegenüber, sondern im Ringen mit sich selbst. Wenn ihr dies – Transparenz und Emanzipation nach innen – gelingt, und nur dann, wird sie ihre Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Dann ist sie auch in der Lage, ihre Botschaft in moderner Gesellschaft zu bezeugen und zu plausibilisieren.