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Kirche geht ...


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wird immer größer und die Lösungsansätze werden im Gegenzug vielfach noch defensiver. Eine weitere Verdichtung ist sinnlos. Das bisherige Reformparadigma führt die Kirche ins gesellschaftliche Abseits.

      Kirchenreformen, die dem österlichen Sendungsauftrag (Mt 28,19) und den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gerecht werden, erfordern ein Reformparadigma, das langfristig-strategisch, offensiv-missionarisch und experimentellwirkungsorientiert angelegt ist. Der qualitative Sprung: Kirche muss (neu) lernen, sich von der Zukunft her zu denken, Veränderung und Entwicklung als zentrale und bleibende Aufgabe zu verstehen. Dreh- und Angelpunkt ist die Frage, wie die Menschen heute für die Frohe Botschaft und für die Mitarbeit am Reich Gottes gewonnen werden können (vgl. Dessoy 2010 [a]).

       (3) Kriterium 3: Umweltstrategie – dialogisch, lebensweltorientiert, kleinräumig

      Systeme überleben, wenn sie in der Lage sind, nachhaltig Umweltreferenz herzustellen. Die Kirche hat immer wieder kulturelle Gegebenheiten und gesellschaftliche Impulse aufgegriffen und in die bestehende Systemlogik integriert. In den ersten Jahrhunderten wurde die christliche Botschaft in unterschiedlichste Kulturen eingetragen. Durch Kopplung mit der Umwelt, die Transformation von Bildern und Begriffen, durch Reflexion und Normierung entstand der Kanon und in der Folge die kirchliche Tradition.

      Durch fortschreitende Institutionalisierung und Traditionsbildung wurde der Spielraum für Variationen allerdings zusehends geringer. Exklusion und Assimilation entwickelten sich im Mittelalter zu den vorherrschenden Kommunikationsstrategien, um sich mit Unterschieden (Fremdheit) auseinander zu setzen und den erreichten Status Quo abzusichern.

      Inzwischen hat sich Gesellschaft emanzipiert. Die Exklusionsstrategie ist wirkungslos, die Assimilationsstrategie versagt angesichts der zunehmenden Differenzierung und Dynamik gesellschaftlicher Prozesse. Stattdessen findet „Exkulturation“ statt, eine „wachsende (Selbst-)Distanzierung von kulturellen, ästhetischen und sozialen Erfahrungsräumen und Ausdrucksformen der Menschen“ (Spielberg 2008, 76, 417).

      Kirche muss sich entscheiden, ob sie den Weg der Weiterentwicklung im Dialog mit der Gesellschaft gehen will oder den individualistisch und spirituell ausgerichteten Weg der Innerlichkeit und der Abgrenzung von Gesellschaft, der nicht selten doktrinäre Züge aufweist und in ein Nischendasein mündet. Kirchensysteme, die auf Dialog setzen, müssen realisieren, dass sie sich im Markt bewähren müssen, weil sich die Menschen in dieser Logik bewegen. Kirchliches Handeln (Botschaft, Kult, Praxis) muss dann auch – ähnlich, wie in der Frühzeit – dauerhaft und stetig kleinräumig und experimentell im Blick auf Lebenswirklichkeiten und ästhetischen Orientierungen transformiert werden.

      Mission geschieht an Hecken und Zäunen. Sie wird nur funktionieren, wenn die Kirche ihre Umweltstrategie von Exklusion und Assimilation auf Inklusion und Differenzierung umstellt (vgl. Lames 2012).

       (4) Kriterium 4: Produktstrategie – projekthaft, prototypisch, experimentell

      Ein System kann nicht zugleich maximal funktionieren und optimal lernen. Produktivität und Lernen verlaufen antizyklisch. Wenn ein System lernt, funktioniert es nicht (optimal). Es wird viel ausprobiert. Lösungen sind pragmatisch. Entscheidungen gelten für begrenzte Zeit und können revidiert werden. Fehler bzw. Störungen sind erlaubt und willkommen. Prozesse, Ergebnisse und Wirkungen werden kommuniziert und evaluiert.

      Ganz anders Systeme im Zustand hoher Funktionsfähigkeit, im Status der Massenproduktion: Output ist das Kriterium. Es liegen Routinen vor, die effizienzoptimiert sind. Störungen und Fehler sind lästig, müssen abgestellt werden. Am Fließband gibt es keine Möglichkeit, zurückzutreten, zu reflektieren, zu kommunizieren oder gar Änderungen vorzunehmen.

      Die Kirche tut alles, um genau in diesem Modus zu bleiben. Wie soll sie da lernen? Die Prioritäten müssen neu justiert werden: Nicht Produktion und deren Steuerung, Innovation und Entwicklung werden gebraucht. Mindestens 2/3 der verfügbaren Ressourcen sind in die Gestaltung von Lern- und Entwicklungsprozessen zu investieren, die geeignet sind, bestehende Routinen zu stören, produktive Unterschiede hervorzubringen und Neukunden zu gewinnen. Die Pastoral der Zukunft ist experimentell: Ästhetische Differenzierung des Portfolios, innovative Projekte und prototypisches Arbeiten sind gefordert. Mit den Worten von Linus Pauling, dem zweimaligen Nobelpreisträger: „To have a good idea, you must have lots of ideas”.

      Hierfür braucht es angemessene Lernarchitekturen, die Räume bereitstellen, in denen methodisch fundiert in einem geschützten Rahmen kreativ-divergent gedacht und systematisch experimentiert werden kann. Feedback-Schleifen dienen dazu, Wirkungen kontinuierlich zu evaluieren. Qualifizierte Entscheidungsprozesse stellen sicher, dass die Ergebnisse von Suchprozessen nicht versanden und gefundene Lösungen implementiert werden (vgl. Dessoy 2012 [b]).

       (5) Kriterium 5: Sozialgestalt – dezentral, lose gekoppelt, multistabil

      Komplexe, dynamische Umwelten erfordern Strukturen, die multistabil, also flexibel und beweglich sind. Demnach gilt die Struktur den Unternehmen heute lediglich als Mittel, um die jeweilige (Markt-)Strategie umzusetzen („structure follows strategy“).

      Netzwerkstrukturen eignen sich in besonderer Weise, die Kopplung im System im Blick auf Prozesse bedarfsgerecht zu variieren. Nicht die Aufgabenträger und ihre Funktion sind der Ausgangspunkt, sondern die Kunden und die Prozesse, die gebraucht werden, um die Kundenbedürfnisse zu befriedigen. Netzwerkstrukturen setzen auf dezentrale Ressourcenverantwortung und die Selbststeuerung autonomer Teilsysteme in Teams und Projekten. Sie fördern die horizontale Vielfalt (Differenzierung und Diversität) und erhöhen damit die Wahrscheinlichkeit, über Abweichung vom Standard Innovationen hervorzubringen.

      Die Kirche ist eine heterogene Mischorganisation, in der gleichzeitig unterschiedlichste Organisationsmodelle wirksam sind. Es besteht in der Vertikalen eine hohe formal-strukturelle Komplexität, die eine Vielzahl höchst langwieriger und redundanter Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse erforderlich macht. Das dient der Vereinheitlichung und der Stabilität, verhindert aber eine zeitnahe und flexible Anpassung an veränderte Umweltanforderungen. Das System ist strukturell fixiert (vgl. Dessoy 2010 [b]).

      Angesichts der Krise reagiert die Kirche über weite Strecken nach altem Muster. Sie versucht, die Kopplung noch enger zu zurren, teils mit normativ-ideologischer („Hl. Rest“, „Leuchtender Berg“, „Biotope des Glaubens“) teils funktional-administrativer Begründung („bessere Steuerung“, „effizienteres Management“). In beiden Fällen wird Kompetenz nach innen und oben verlagert.

      Das Gegenteil scheint angeraten: Die auf größtmögliche Stabilität und Funktionalität ausgerichtete Gestalt ist so zu transformieren, dass sie sich nachhaltig in einem dynamischen Umfeld bewegen kann, das maximale Flexibilität und Innovation erfordert. Kundennähe, Differenzierung und Beweglichkeit gewinnt Kirche dann zurück, wenn sie Strukturen und Prozesse im Binnenbereich dezentral organisiert, also ihre horizontale Komplexität erhöht, und zugleich ihre vertikale Struktur vereinfacht, sich im Overhead wesentlich schlanker aufstellt als bisher.

      Die Kirche der Zukunft wird sich als Netzwerk multipler Kirchorte darstellen: Lose gekoppelte, autonome (selbststeuernde) Einheiten unterschiedlicher Formate („Gemeinden“) kooperieren in großen pastoralen Räumen prozess- und projektbezogen miteinander. Einzelne profilierte kirchliche Zentren bündeln die pastorale Arbeit inhaltlich und personell, richten Akteure und Aktivitäten auf das Ganze und die Einheit aus, schärfen exemplarisch das Profil von Kirche nach innen und außen und sichern ggf. eine knapp bemessene „Grundversorgung“ (vgl. Dessoy 2009, Kehl 2009). Wie aber geschieht hier Steuerung?

       (6) Kriterium 6: Prozesse – rational, transparent, verbindlich

      Lernprozesse in Organisationen setzen voraus, dass Basisprämissen und Regeln transparent und für alle Beteiligten gleichermaßen verbindlich sind. Sie können nicht einseitig und beliebig geändert oder außer Kraft gesetzt werden. Umgekehrt sind sie