Marius Stelzer

Diversity-Management als Dimension kirchlicher Personalentwicklung


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Diese Entwicklungsaufgaben beziehen sich auch auf Liebe und Partnerschaft, nämlich auf die Frage, den Sinn, die Schönheit und die Formen der eigenen Sexualität (genetische und körperliche Sexualität, sexuelle Identität, sexuelle Präferenz) zu entdecken, auszuprobieren und in die eigene Persönlichkeit zu integrieren (personelle, ganzheitliche Sexualität).7

      In der Ungebundenheit des jungen Erwachsenenalters, empirisch gesehen vor der Etappe der biografischen Konsolidierung (die normalerweise mit dem Eintritt in den Arbeitsmarkt beginnt bzw. mit der Weichenstellung einer bestimmten, individuell adäquaten Lebens- und Partnerschaftsform verbunden ist), geht es demnach um eine selbst verantwortete, fundamentale Programmierung des eigenen individuellen Lebensentwurfes.

      Ein großer Teil der Religiös-Gläubigen in dieser Altersgruppe steht biografisch gesehen vor genau diesen Aufgaben, lebensstilistisch gesehen sind sie jedoch „adult“ und befinden sich unlängst in den Phasen von Konsolidierung bzw. Etablierung. Sie scheinen auf unterschiedlicher Weise bereits im Leben angekommen zu sein. Dies ist jedoch nicht typisch. Die Frage nach den Ursachen und Wirkungen muss hier offen bleiben.

       Religiosität und Geschlecht

      Was hervorsticht, ist der starke Unterschied bezüglich der Selbsteinschätzung „religiös-gläubig“ und dem Geschlecht. Dieses Muster zeigt sich in vielen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen – auch in Bezug auf die Gesamtbevölkerung der BRD.8 Dieses Muster lautet: Frauen schätzen sich häufiger als religiös ein als Männer dies tun. Diese signifikanten Unterschiede können auch mit Hilfe der Daten im ALLBUS belegt werden, gleichwohl sind die Unterschiede der ALL- BUS-Daten deutlich moderater – insbesondere mit Blick auf die hier relevante Altersgruppe.9

       Sampling von Pragmatismus und bürgerlichen Werten

      Insgesamt gesehen zeigen sich jedoch deutliche Tendenzen hin zu Formen der Verbürgerlichung der Religiös-Gläubigen. Diese Hinweise verdichten sich in den Angaben zu den Persönlichkeitsfaktoren. Dabei lassen sich starke Anzeichen für den generationentypischen Pragmatismus der „Generation Y“ ablesen: Ehrgeiz, Leistungsstreben, Rationalismus. Zugleich dominieren in der Testgruppe Harmoniewerte zuungunsten hedonistischer Erlebniswerte. Hier scheinen die hohe Anpassungsfähigkeit, die gegenwärtig als lebensnotwendig für diese Generation konstatiert werden darf, und das Streben nach Glück, Harmonie, Familie, Well-Being miteinander gesampelt zu werden.

      Man kann sagen, dass die Vergleichsgruppe der 20-29-Jährigen hingegen Pragmatismus eher mit Erlebniswerten zusammenspielt. Der Zusammenhang liegt hier nicht darin, dass möglicherweise Religiös-Gläubige älter sind (und daher altersmäßig eher „angekommen“ zu sein scheinen) als die Kontrollgruppe. Die soziodemografischen Daten widerlegen dies.10

       Lebensstilistische Passung im sozialen Raum

      Im Pilotbericht unserer Studien konnten wir feststellen, wo sich im Lebensstilmodell gegenwärtig das soziale Feld der Pfarrei mit ihren Gemeinden, Gremien und Verbänden genauer verorten lässt. Die nachfolgende Grafik kombiniert diese Erkenntnis: a) die Lage des sozialen Feldes von Pfarrei und Gemeinde im Lebensstilmodell und b) die Lebensstilgruppen, in denen Religiös-Gläubige katholische 20-29-Jährige im Vergleich zur Alterskohorte der 20-29-Jährigen signifikant häufiger vorkommen. Hier zeichnet sich bereits in der Synopse beider Befunde die Dynamik kirchlicher Attraktivität bzw. lebensstilistischer Passungen ab.

      Lebensführungstypen Deutschland 2015

      20-29-jährige Frauen und Männer, katholisch,

      gläubig-religiös=trifft voll und ganz zu

      n=137, gewichtet

       Abbildung 12: Synpose „Soziales Feld der Pfarrei - Zielgruppe“, eigene Darstellung.

      Das soziale Feld der klassischen Pfarrei zeigt sich phänotypisch in der gegenwärtigen pastoralen Realität u.a. als eine nach außen sichtbare Verschmelzung des patriarchalischen Pfarrer- und Pastoralbildes der pianischen Epoche mit ihrer weit reichenden volkskirchlichen Grundstruktur, einer vielgliedrigen Pfarreistruktur der Nachkriegszeit (Gemeinden, Schulen und Verbände als Bollwerke gegen die Säkularisierung bzw. die Errichtung von Kirchen „in Ruf- und Reichweite“), in der die Frömmigkeitsformen des 19. Jahrhunderts fortdauern (durchaus in moderner Variation), eines nicht vollständig eingelösten diakonischen Kirchenverständnisses des Zweiten Vatikanischen Konzils (LG1) und einer Gemeindeidee, in der die „Hoffnungsgemeinschaft“ der Würzburger Synode vielfach in einem pfarrfamiliären Teilhabe- und Mitmachdiskurs aufgegangen ist. Das heißt: In dieser Regelform von Pfarrei, Gemeinden und Verbänden spielen Familien- und Harmoniewerte, flankiert von einem postmateriellen Wachstumsverständnis der ausgehenden 1980er Jahre, die zentrale Rolle und weisen trotz der rasanten gesellschaftlichen Entwicklungen der Spätmoderne/Nachmoderne eine erstaunliche Stabilität auf – bei sinkenden Partizipationszahlen.

      Es wundert kaum, dass die Kernzielgruppe kirchlicher Personalgewinnung, die hier empirische eingekreist wird in Bezug auf Religiosität und die damit korrespondierenden konventionellen Formen kirchlicher Gemeinden dem sozialen Feld dieser kirchlichen Gemeinden sehr nah ist. Das lebensstilistische Religiositätsparadigma der Kernzielgruppe junger Erwachsener scheint mit dem sozialen Feld von „Gemeinde“ und den darin praktizierten Vollzügen in den Bereichen Liturgie, Diakonie, Verkündigung und Vergemeinschaftung sehr kongruent zu sein. Das heißt aber auch, dass die prophetische Kraft und das ekklesiogenetische Potenzial derjenigen, die sich in der Phase der biografischen Offenheit befinden, von Seiten der kirchlichen Personalgewinnung (Berufungspastoral) praktisch kaum abgerufen werden kann. Denn die Zielgruppe junger, moderner, akademisch-intellektueller Frauen und Männer, die sich als moderat religiös bezeichnen (Intellektuelle, Avantgardisten, Leistungsorientierte und Pragmatische, jeweils ca. 14%) kommt für kirchliche Personalgewinnung grundsätzlich in Frage. Wenn das gegenwärtige kirchliche System mit Blick auf den Zulassungs- und Erlaubnisdiskurs kirchlicher Zugehörigkeit innerhalb der Pfarreien und Gemeinden jedoch verlangt, dass hohe Religiosität und das korrekte Glaubensbekenntnis die zentralen Schlüssel sind, um in diesen (Ausbildungs-)Diskurs einsteigen zu können, sind hier die Chancen der Personalgewinnung als schwach einzuordnen. Die qualitativen Befunde unserer Studie weisen diesbezüglich deutliche Exit-Tendenzen auf.11

      Zu diskutieren wäre auch der Zulassungs- und Erlaubnisdiskurs innerhalb der kirchlichen Dienste hinsichtlich der Lebensformen, insbesondere mit Blick auf die zölibatäre Lebensform und mit Umgang der Vitalitätsthemen junger Erwachsener.

      Schlussfolgerungen

      Es ist genau zu schauen, mit welchen psychosozialen Ressourcen junge Frauen und Männer kommen, die sich für einen kirchlichen Beruf interessieren. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass vielfach junge Leute in die Studiengänge, Seminare und Institute kommen, die nach außen einen sehr reifen, erwachsenen Eindruck machen, nach innen jedoch ein hohes Entwicklungspotenzial bzw. einen hohen Entwicklungsbedarf haben. Personalauswahl muss bereits vor Studienbeginn die individuelle Reife in den Blick nehmen. Justierungen wären möglich durch: a) Festlegung eines Mindestalters, b) Überprüfung der Standards im Auswahlverfahren (psychologische Tests, u.a.), c) Studiendauer, besonders mit Blick auf die KatHO Paderborn (lediglich sechssemestriges Studium), d) offensives Werben über die Aufnahme eines (geförderten) Zweitstudiums.

      Wenn die Befunde grundsätzlich stimmen, dann scheinen vor allem Frauen für das Religiositätsthema affin zu sein, weniger Männer. Das hat Auswirkung auf die Priesterberufungen (mit Blick auf die wenigen Männer!) und Laienberufungen. Besonders mit Blick auf Priesterberufungen unter jungen Männern ist hier höchste Sorgfalt auf die Personalauswahl zu legen, denn aus dem Pool der wenigen Kandidaten müssen auf absehbare Zeit Führungskräfte hervorgehen können. Führungskräfteentwicklung fängt mit Berufungspastoral an.12

      Damit verbunden ist auch eine (kritische) Beleuchtung des Images und der Imageentwicklung pastoraler Berufe, vor allem mit Blick auf die Tendenzen der Feminisierung der Spiritualität im Zuge der pianischen Epoche und der Prägung priesterlicher Rollenmuster an der Schnittstelle von Männlichkeit/Weiblichkeit